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Sie möchten also ein Wissenschaftler werden

Julius Sumner Miller, Professor für Physik am El Camino College in Kalifornien wird wegen seiner Fähigkeit, wissenschaftliche Themen für jung und alt gleichermaßen verständlich und spannend zu gestalten, international anerkannt. Wir vermitteln unseren Lesern eine Ansprache, die er am 25. Mai 1968 im Los Angeles County Museum of Natural History (Museum für Naturgeschichte) in los Angeles nach den Abschlußprüfungen eines Naturwissenschaftlichen Seminars hielt. - Der Herausgeber

 

 

 

Man sagt, die Welt wird durch die Wissenschaft vorangebracht, und eine Menge junger Leute strebt deshalb nach solch einer Laufbahn. Es ist "Mode" in unserer Zeit! Aber nach fast fünfzigjähriger Tätigkeit auf diesem Gebiet besitze ich einige Erfahrung und möchte Ihnen einige sehr wichtige Dinge dazu sagen. Ihr Ehrgeiz ist wirklich großartig und lobenswert, und dennoch würde ich es freudig begrüßen, wenn Sie ein Dichter oder Sprachforscher oder Rechtsanwalt werden möchten, oder wenn Sie Ihr Leben damit verbringen würden Geschichte niederzuschreiben. Sie sollen daraus ersehen, daß alle edlen Bestrebungen in gleichem Maße geachtet werden müssen. Die Wissenschaft ist keine heilige Kuh!

Nun, das erste, was Sie wissen müssen, ist: Es heißt, die Naturwissenschaft stünde auf der einen Seite und die Humanistischen Wissensgebiete auf der anderen. Wer das sagt, meint natürlich damit, daß die Naturwissenschaftler die Welt ganz anders betrachten als die Humanisten. Das ist nicht wahr. Auf allen Gebieten des menschlichen Wissens und bei allem, was die Menschen tun, ist die Wissenschaft wirklich am meisten humanistisch. Um das verstehen zu können, müssen Sie die Biographien jener berühmten Menschen lesen, die in unaufhörlichem Streben jene Beiträge schufen, die den Hauptbestandteil der Wissenschaft ausmachen. Als Kepler nach zweiundzwanzig Jahren mühsamer Arbeit die Gesetze fand, nach denen sich die Planeten bewegen, sagte er: "... Ich betrachte ihre Schönheit mit unglaublichem und hinreißendem Entzücken." Wo können wir einen imponierenderen Ausdruck des Humanismus finden?

Das führt uns nun direkt zum Sinn und Zweck der Wissenschaft, den Sie ganz klar erkennen müssen. Es ist tatsächlich bedauerlich, daß die wenigsten es überhaupt verstehen. Fragen Sie den "Mann auf der Straße", was Wissenschaft ist, so wird er wohl antworten: "Geschosse, Raketen, Satelliten, Sputnik, Atomzertrümmerer, Wasserstoffbomben!" Oder er erwidert: "Das Telephon, Fernsehen, Waschmaschinen, Konserven, Zellophanverpackungen." Er mag tatsächlich an jene unglaublichen Erfindungen denken, die rechnen, ein Gedächtnis besitzen, die Schach spielen und russische Sprache übersetzen. Er mag von unserem Kampf gegen Krankheiten sprechen, von der Nutzbarmachung der Sonnenenergie und vom Regenmachen. Er mag vorbringen, daß die Wissenschaft unsere Sorgen mit Chemikalien verbannt, uns warm hält, uns Kühlung verschafft und daß sie uns morgen eine Expedition zum Mond geben wird. Dies sind praktische Ergebnisse. Sie sind Technologie. Sie sind nicht Wissenschaft. Wo natürlich diese materiellen Dinge Schmerzen lindern, Krankheiten überwinden, den Hungrigen satt machen, dort besitzen sie etwas vom Geist der Wissenschaft. So kommt es, daß die Wissenschaft einen ganz anderen Zweck hat als die Technologie, und im edelsten Sinne ist der Zweck der Wissenschaft: die wohlgeordnete Schönheit der Natur zu enthüllen. Newton drückte es in einem der schönsten dichterischen Sätze aus, die je gesprochen wurden: "... und woher ist all diese Ordnung und Schönheit, die wir in der Welt erblicken, gekommen?"

So können wir sehen, daß die Naturwissenschaften und die Geisteswissenschaften nicht auseinandergehen, und Ihre beste Vorbereitung für die Wissenschaft ist ein umfangreiches Studium der Literatur, der Philosophie, Biographie und Geschichte. Auf diese Weise können Sie die größten Bemühungen des Menschen, die Natur zu verstehen, verfolgen, und Sie werden von jenen genialen Menschen inspiriert werden, deren Leben oft von Arbeit und Fehlschlägen erfüllt war, und deren bloßen Gedankengängen entgegengearbeitet wurde, nur weil sie neu gewesen waren. Wurde nicht Galileo zum Schweigen gebracht, weil er der Ansicht von Kopernikus beipflichtete, daß die Erde sich bewegt? Und wurde nicht Bruno auf dem Scheiterhaufen verbrannt, weil er dasselbe lehrte? Und befand sich nicht Pasteur mit seinen neuen Ideen in Gefahr und wurde nicht Röntgen verspottet? Und jener großartige österreichische Mönch Gregor Mendel - sie hörten ihm noch nicht einmal zu!

Wir dürfen in dieser Erörterung natürlich nicht gewisse andere Aspekte des Wissens vergessen, die eine Rolle spielen und die für Ihre Laufbahn notwendig sind. Eine mathematische Befähigung ist absolut erforderlich, und diese entsteht nicht durch Auswendiglernen von Formeln. Es wäre gut, wenn Sie das in Ihre Rechnung mit einkalkulieren würden, bevor Sie auf die Universität gehen. Warum Ihre jungen Jahre verschwenden? Selbst wenn Sie ein Lepidopteriker (einer, der Schmetterlinge studiert) werden möchten, sollten Sie unbedingt Mathematik begreifen, um die wunderbare Arbeitsweise ihrer Flügel verstehen zu können. Und um ein guter Erforscher der Arachniden (Spinnentiere) zu sein, brauchen Sie eine grundlegende Beherrschung der höheren Mathematik, um die außergewöhnlichen Eigenschaften eines Spinngewebes zu studieren.

Außerdem sollten Sie Sprachen erlernen und, wenn einer von Ihnen Lust dazu hat, so würde ich ihm raten, etwas Latein und Griechisch zu lernen. Das Lesen wird wirklich außerordentlich erleichtert, wenn man imstande ist, die Bedeutung der Worte zu erfassen, selbst wenn man nur auf Englisch liest. Auf alle Fälle sollte man Deutsch, Französisch und Russisch lernen.

Mit fachkundlichem Lesen - das sich wiederum nur durch Lesen bildet - kommt die Fähigkeit zum Schreiben und Sprechen. Behalten Sie im Gedächtnis, daß das meiste Wissen, das die menschliche Rasse gesammelt hat, in gedruckten Schriften festgehalten ist, und man muß wirklich gut und sicher erfassen können, was man liest, wenn man etwas dabei gewinnen will. Und was das Schreiben und Sprechen anbetrifft - wie kann die Welt erfahren, was Sie zu sagen haben, wenn Sie es nicht mitteilen können!

Nun, abgesehen von diesen äußerlichen Erfordernissen gibt es einige charakteristische Dinge, deren sich ein junger Mensch befleißigen sollte. Ich will sie aufzählen. Sie brauchen keine lange Erklärung. Sie können sofort erkennen, was sie bedeuten.

1. Sie sollten lernen logisch zu denken und sich weniger auf das Gedächtnis verlassen. Ein Studium der Logik, wie es moderne Mathematik ist, ist gut dafür.

2. Sie sollten lernen zu sehen, wenn Sie schauen und zu hören, wenn Sie zuhören. Ich hoffe, Sie verstehen, worin hier der Unterschied liegt. Eine Anekdote vom berühmten Lord Rutherford zeigt, wie wichtig das ist. Wissen Sie wie Lord Rutherford, der große intellektuelle Riese, der den Atomkern entdeckte, zum Studium der Physik kam? Die Anekdote ist reizend und ungefähr so: Als Rutherford im Alter gefragt wurde: "Lord Rutherford, wie gelangten Sie zur Physik?" erwiderte er: "Als ich ein kleiner Junge war, mußte ich in meiner Heimat Neu-Seeland Schafe hüten. Eines Tages, als alles seinen gewohnten Gang ging, hob ich einen Stock auf und steckte ihn in einen Wassertümpel - und der Stab war gebogen! - sobald ich ihn herauszog, war er gerade. Steckte ich ihn wieder ins Wasser, so war er abermals gebogen. Sollte das einen jungen Burschen nicht nachdenklich machen?" Sehen Sie, Rutherford schaute nur auf einen Stock im Wasser. Die Konsequenzen für die menschliche Rasse waren durch dieses kleine Ereignis ohnegleichen. Der Eintritt Rutherfords in die Physik veränderte die Welt!

3. Bei jeder Bewegung und überall um sich herum können Sie Dinge sehen - lediglich Dinge, so wie Rutherford einen Stock sah - doch dahinter liegen in ihnen Schönheit und Drama, Ursache und Wirkung verborgen, die Wissenschaft sind, wenn sie begriffen werden. Ein Tautropfen auf einem Grashalm - warum leuchtet er? Der Geruch eines zerdrückten Geranienblattes - warum duftet es? Ein Vogel, der sein Gefieder bei Sonnenuntergang aufplustert - was denkt er?

4. Plagen Sie sich mit der Frage, warum! Warum ist der Himmel blau? Warum ist der Sonnenuntergang rot? Warum bleiben die Wolken oben am Himmel? Warum murmelt ein Bach? Haben Sie ihm schon einmal zugehört?

5. Lernen Sie Fragen zu stellen, die nicht im Buch und im Klassenzimmer beantwortet werden. Die wirklich großen Fortschritte in wissenschaftlichem Denken wurden von Menschen gemacht, die der Natur die richtigen Fragen stellten. Es ist nicht notwendig, sogleich die Antwort darauf zu wissen. Einige Fragen brauchen Jahre, ehe sie beantwortet werden. Denken Sie daran, daß Einstein auf die Relativität kam, weil er Fragen über die Bewegungsgesetze von Newton stellte.

6. Fragen Sie sich niemals: "Wofür ist es gut?" oder "Was für einen Nutzen haben wir davon?" Wenn es Sie interessiert, machen Sie weiter. Denken Sie darüber nach. Auf das intellektuelle Spiel kommt es dabei an! Betrachten Sie den großen schottischen Physiker James Clerk Maxwell, der uns das Verständnis für die elektromagnetischen Wellen vermittelte. Er wunderte sich, woher es kommt, daß eine Katze immer auf ihre Füße fällt, selbst wenn man sie mit dem Rücken nach unten fallen läßt! Daraus entstanden einige profunde Erfindungen in der Mechanik. Und Maxwell spielte stundenlang mit sich drehenden Kreiseln, weil es ihm Spaß machte!

7. Vergeuden Sie keine Zeit! Meine über dreißig Jahre langen Beobachtungen im Klassenzimmer zeigen mir deutlich, daß alle schreckliche Zeitverschwender sind. Vor allem Studenten gehen notorisch verschwenderisch damit um. Stellen Sie sich einen Arbeitsplan auf, verringern Sie das Spiel auf ein Mindestmaß, verlängern Sie die Zeit, die Sie mit Lesen und mit Nachdenken verbringen. Obwohl nicht alle ein Isaac Newton sein können, erinnern Sie sich daran, daß Newton während der Großen Seuche in der Einsamkeit der alten Farm lebte und dort die Ruhe hatte, die er zum Nachdenken benötigte. Ziehen Sie sich in eine ruhige Ecke zurück und lesen und denken Sie.

Nun, all diese Ratschläge werden ebensowenig einen Wissenschaftler aus Ihnen machen, wie aus einem Haufen Steine ein Schloß wird. Aber wenn diese Perspektiven Ihrem Leben angepaßt und auf Ihre Neigungen zugeschnitten werden, dann können große Dinge entstehen. Ich habe es erlebt. Lassen Sie Ihr Interesse entfachen, Ihre Begeisterung wecken, lassen Sie Ihre Neugierde entflammen, lassen Sie sich von Ihrer Vorstellungskraft inspirieren - und vor allem, begeistern Sie sich für die Wunder um Sie herum.