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Verborgene Strömung des Seins

Als ich neulich einen Artikel las, war ich von einem Zitat Elihu Buretts beeindruckt, das auszugsweise so lautete:

Es gibt keinen einsamen Flecken im Universum, kein dunkles Versteck auf der Scheibe der Nicht-Existenz, in die sich der Mensch vor seinen Beziehungen zu anderen zurückziehen kann, wo er den Einfluß seiner Existenz auf die sittliche Bestimmung der Welt zurücknehmen kann. Überall wird seine Anwesenheit oder Abwesenheit zu spüren sein, überall wird er Gefährten haben, die durch seinen Einfluß besser oder schlimmer sein werden. ... Tausende meiner Mitmenschen werden jährlich in die Ewigkeit eingehen, mit Charakteren, die sich von denen unterscheiden, die sie mit hinübergenommen hätten, hätte ich niemals gelebt.

Die Auffassung des Verfassers läuft mit meinen eigenen Mutmaßungen, die ich kürzlich über die verstärkte Kraft einer gemeinsamen Handlung angestellt habe, parallel und zeigt, daß Seite an Seite mit dem, was wir gerade tun, eine verborgene Strömung unseres Seins läuft, die sich vielleicht nur langsam vorwärts bewegt, nichtsdestoweniger aber mit einer so unwiderstehlichen Gewalt dahintreibend, wie kaum vermutet wird. Doch gerade das zu begreifen, ist eines der schwierigsten Dinge der Welt. Sprechen, handeln - das alles können wir als etwas anerkennen, das auf den Charakter anderer einwirkt. Wir können auch die Begeisterung einer großen Tat, eines mitreißenden Ausspruchs begreifen, aber nur schlicht dazusein - was kann dies der Welt nützen? Inwieweit kann die Natur eines Menschen, abgesehen von Worten und Handlungen, das edle Ziel der Lehrer der Menschheit beeinflussen?

Stets ist unser erster Impuls, zu fragen: "Was kann ich tun?" Doch richtiges Handeln ist nur die Frucht rechten Denkens, die Blüte des Charakters, von dem sie abhängig ist, wie die Frucht vom Baume. Der Gärtner versucht nicht, seine Rosen zu verbessern, indem er die Knospen aufbricht und die gefalteten Blütenblätter auszubreiten versucht. Er wendet lieber seine Aufmerksamkeit dem Strauch zu, an dem sie wachsen, propft ihn, begießt ihn, reichert rund herum den Boden an, gibt ihm Licht und Luft - und schönere Blumen kommen als natürliche Folge.

So wie wir uns die vollkommene Rose nicht ohne ihren Duft denken können, so kann man sich den vollkommenen menschlichen Charakter nicht getrennt von seinem Einfluß vorstellen, jenem Parfüm der Seele, das so fein und mächtig ist, wie das Denken selbst.

Ist dieser Einfluß etwas anderes als die Summe der innersten Gedanken eines Menschen, des wahren Menschen, den all' seine Redewendungen und sein gutes Benehmen nicht verbergen können? Aus diesem Grunde lehren uns die Weisen, daß der Gedanke der Vater des Handelns ist, - "so wie ein Mensch in seinem Herzen denkt, so ist er" - ein Mensch wird das, worüber er entschlossen und beständig nachdenkt. Er versetzt sich in aufmerksame Empfangsbereitschaft für eine besondere Strömung, sei sie erhaben oder niedrig. Und da die Anziehungskraft auf jeder Ebene wirkt und automatisch entlang den Linien des geringsten Widerstandes fließt, dringt sie in alle Kanäle ein, die er dafür vorbereitet hat.

Longfellow sagt in seinem wunderschönen Gedicht Santa Filomena:

Ist eine edle Tat vollbracht,

Zur Tat ein edler Gedanke gebracht,

Zieht unser Herz beglückt und rein

In höhere Gefilde ein.

 

Die Welle der Begeisterung

Durch unser Innerstes dann rollt

Und unsere Sorgen groß und klein

Werden überwunden sein.

Dies ist der aktive Einfluß, die Macht, die wir alle erkennen können, und für die wir arbeiten. Aber es gibt auch sein passives Gegenstück - nicht negativ, sondern der ruhige, innere, nicht zu sehende Einfluß - die "Atmosphäre" einer Person, die sogar einen wirksameren, wenn auch weniger offensichtlichen Effekt besitzt.

Es ist verhältnismäßig leicht, die Gefühle anderer absichtlich durch die Kraft der Rede oder des Handelns zu beherrschen, denn es ist nur eine zeitweilige Anstrengung. Wir schweben für einen Augenblick auf den höchsten Höhen unseres Seins, und die durch diesen Anblick begeisterten Mitmenschen bemühen sich zeitweilig, unserer Erhabenheit nachzueifern. Aber um wieviel schwieriger ist die Aufgabe, unser innerstes Wesen so anzufüllen, daß es nichts außer Edelmut, nichts außer Liebe abgeben kann! Wer hat nicht Männer und Frauen gekannt, deren bloße Anwesenheit eine Wohltat war, und die es möglich erscheinen lassen, daß die herrliche Vorstellung von einer universalen Bruderschaft unter den Völkern auf der Erde Wirklichkeit werde? Es ist so, daß durch und mit Hilfe dieser ungeheuren inneren Kraft, die wir alle besitzen, mit der wir aber so unvorsichtig umgehen wie Kinder mit Streichhölzern, das Eine-Welt-Bewußtsein eventuell Wirklichkeit werden wird. Walt Whitman drückt dies mit den Worten "Zeit und Zeitalter zu sättigen" aus.

Wie überrascht sind wir, wenn wir mit irgendeinem Wort oder einer Tat aus unserer längst vergessenen Vergangenheit konfrontiert werden, die wie ein zufällig gesäter Samen im Gemüt eines anderen Früchte getragen hat, und nun staunen wir über dessen Ernte. Diese nicht unbedingt erfreulichen Einblicke in die Auswirkung auf unsere Mitmenschen sind es, die unsere widerstrebenden Seelen aus ihrer Lethargie herausholen. Sie stellen uns von Angesicht zu Angesicht der unabänderlichen Wirklichkeit unserer Vergangenheit und den großartigen Möglichkeiten unserer Zukunft gegenüber. Das wiederum ist die aktive Macht des gesprochenen Wortes oder der äußeren Handlung. Aber wie verhält es sich mit den Folgen jenes nicht zu sehenden Einflusses, der nie aufhört, - das Gewicht des Charakters - der fortwährend für die Seele, "das Gewand, durch das wir ihn erkennen", schafft? Wie Emerson schrieb:

Die Worte, die ein Vater in der privaten Sphäre des Heims zu seinen Kindern spricht, werden von der Welt nicht gehört, aber, wie in Flüstergalerien, werden sie am Ende und von der Nachwelt klar gehört.

Was wir im Laufe unserer Leben Gutes tun, ist sehr wenig, was wir Gutes sagen, noch weniger, aber das, was wir sind, berührt jedes Menschenwesen, dessen Schicksal mit dem unseren verbunden ist und zieht die höchsten Kräfte des Universums in unsere Sphäre, damit sie mit uns wirken. Das ist kein Ziel, das durch eine Anstrengung gewonnen wird oder einem zufällt, kein Sieg, der durch eine Schlacht entschieden werden kann. Es ist ein langes, langsames Aufbauen des Charakters, Gedanke um Gedanke, wie bei Korallenpolypen, die ein Riff bilden, wobei jeder sein Lebensgehäuse, Schale um Schale, opfert. Wir brauchen nicht nach weiteren Wirkungsbereichen Ausschau halten, wenn wir gerade hier Fähigkeiten wie diese Kraft zum Wohl und Wehe beherrschen, die unwissentlich von uns ausströmt. Wer jedoch mit unverwandtem Sinn für die Läuterung seiner eigenen Seele wirkt, damit seine Pilgergefährten Nutzen davon haben, wird mit der Zeit an jener "Welle der Begeisterung der höheren Seelen" teilnehmen und den Horizont immer weiter und weiter ausdehnen. Die Aufgabe der Selbstbemeisterung ist nicht ohne Freude, denn sie bringt jene wunderschöne Transparenz des Geistes mit sich, die es allen Menschen ermöglicht, mit Hilfe der Strahlen zu sehen, die von innen leuchten und die ganze Welt erhellen.