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Richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet

Denn mit welcherlei Gericht ihr richtet, werdet ihr gerichtet werden; und mit welcherlei Maß ihr messet, wird euch gemessen werden.

 

 

 

In diesen Worten ist etwas enthalten, das Genauigkeit und mathematische Präzision erkennen läßt. Die oft angenommene oberflächliche Auslegung ist offensichtlich nicht die wirklich beabsichtigte. Es handelt sich nur darum, daß zu erwarten ist, daß das über ihre Mitmenschen geäußerte Urteil Widerstand und Streit in ihnen wach ruft, noch daß seine Wirkung auf jene Beispiele begrenzt bleibt, in denen andere von unserer Bemerkung Kenntnis erhalten. Die obenstehenden Worte schließen in sich ein, daß, wenn wir anklagen, selbst wenn dies nur in Gedanken der Fall sein sollte, wir mit gleichem Maß gemessen werden.

Würden wir auf einer verlassenen Insel leben und voll Bitterkeit die Welt kritisieren, so würde diese Qualität des Urteils auf uns zurückfallen. Wenn wir an unseren Mitmenschen Kritik üben und dies vor ihnen mit honigsüßen Worten und Gefälligkeiten erfolgreich verdecken, so fällt trotzdem das Urteil auf uns zurück. Auf welche Art dies geschieht ist nicht erwähnt, aber die Behauptung ist einfach der Ausdruck eines Gesetzes. Derselbe Gedanke ist in vielen Stellen der Bibel zu finden: "Laß dein Brot über das Wasser fahren, so wirst du es finden auf lange Zeit." (Spr. Salomonis XI, 1) "Denn was der Mensch säet, das muß er ernten." (Gal. VI, 7) Und in der Stimme der Stille: "Die Ursachen, gesät zu jeder Stunde, gebären stets die Ernten in den Wirkungen; denn strenge Gerechtigkeit regieret die Welt."

Was mag es sein, das uns beständig und genau so treffend abschätzt? Sind es nicht unsere eigenen Gedanken? Wir sind ihre Schöpfer; wir senden sie hinaus. Sie beschreiben ihre Bahn und führen die dynamische Energie, die wir in sie hineingelegt haben und die zu uns zurückkehrt mit sich. Diese Gedanken ziehen auch ähnliche Gedanken an, und sie empfangen von einander eine feine Essenz, die zu uns, sei es mit mehr Gift beladen oder von größerer Hoffnung und Mut getragen, jener Charakteristik entsprechend, mit der wir sie ausgestattet haben, zurückkehrt. Im Bereich des Gedankens kann niemand dieser gegenseitigen Vermischung entrinnen, "denn wie der Mensch in seinem Herzen denkt, so ist er." Nach und nach häufen sich diese Essenzen an und wir stehen vor allen Menschen bloß da.

Und wenn es auch keinen anderen Grund gäbe, so sollten wir dennoch bedenken, wie unberechtigt wir sind, über andere Menschen ein Urteil zu fällen. Wir befinden uns alle auf verschiedenen Stufen der Entwicklung, keine zwei sind einander gleich. Unterschied, nicht Gleichheit, ist das Gesetz des Lebens. Obwohl Anfang und Ende unserer Reise die gleichen sein mögen, wandeln sich jeden Augenblick die Probleme und Schwierigkeiten, die jeder in seiner Natur feststellt, und so ist es auch mit den Verhältnissen, in denen sich alle befinden. Was für den einen in seiner Lage recht ist, kann für den anderen verkehrt sein. Haben wir die Macht, um zu wissen, wie der Mensch seine Zeit verbringt oder, alles in allem betrachtet, welche Richtung die weiseste für den Menschen ist? Nicht früher, bis daß wir Meister der Wissenschaft des rechten Lebens geworden sind - und wer von uns ist so weit? Nur durch Mitleid den Mängeln anderer gegenüber und durch die Erkenntnis unserer eigenen Schwächen können wir an die Normen der Gerechtigkeit heranreichen.

Daraus jedoch, daß wir nicht urteilen können, folgt nicht, daß wir nicht unterscheiden sollten. Einen Fehler, eine Schwäche oder einen Mangel wahrzunehmen ist die eine Seite, aber eine Person deshalb zu verdammen, ist etwas ganz anderes. Wir würden ohne diese Wahrnehmung hilflos durchs Leben gehen. Der Gewalt von Kräften gegenüber ist Verständnis notwendig und wir sollten uns und andere vor dieser Gewalt schützen. Aber mit Scharfsinn, gemäßigt von großmütigem Mitgefühl für denjenigen, der einmal entgleiste, erfüllen wir die zwei Bedingungen, die für einen Menschen zu tun notwendig sind und sagen das Richtige. Viel hängt von unserer Fähigkeit ab zwischen jenen Impulsen zu unterscheiden, die von den niederen und von den höheren Elementen herrühren, zuerst in uns selbst und (mit Vorsicht) in anderen Menschen.

So wie sich in einer Schlacht der General dorthin zurückzieht, von wo aus er das Kommando über das ganze Schlachtfeld haben, und damit von einem Zentralpunkt aus arbeiten kann, um die Einzelheiten der Aktion zu kontrollieren, so muß sich der Mensch auf einen Punkt konzentrieren, von dem aus er unpersönlich das Schlachtfeld seiner eigenen Seele überblicken kann. Dann wird er in der Lage sein das Unharmonische in seinem Innern und um ihn herum in Ordnung zu bringen. Unbeeinträchtigt kann er in jener Feste das aus seinem Leben machen, was es sein sollte - ein Gesang und kein Mißton.