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Die Welt des Dichters

Vielleicht haben andere Menschen so wie ich geglaubt, daß die Dichter in einer anderen Atmosphäre leben. Schönes sehen, das unempfänglicheren Gemütern entgeht, und daß sie nur vom Abstrakten und von Idealen inspiriert würden. Dies ist eine Vorstellung unseres Gemütes, die die Wahrheit verschleiert und verdunkelt, so daß es notwendig wird, daß wir umdenken und neu beginnen. Robert Ingersoll sagte:

Jeder Mensch lebt in seiner eigenen Welt. Er ist der einzige Bewohner seiner Welt. Er ist Untertan und Herrscher, und das Beste, was er tun kann ist, die Dinge, die seine Welt, in der er lebt, betreffen, den Bewohnern anderer Welten mitzuteilen. Keine zwei Welten sind einander gleich.

Mit diesen Gedanken fangen wir an zu erkennen, warum die Seele bemüht ist, sich frei zu machen und warum das Gemüt nach Wahrheit forschend umherschweift und versucht durch seine eigenen Gedanken, die es umschließen, hindurchzubrechen und den inneren Geist, die Quelle unserer Inspiration, die der sichtbaren Welt Leben und Bedeutung verleiht, zu erreichen.

Manchmal stehen wir dem forschenden Geist, dem wahren Sucher, völlig unerwartet gegenüber. Verhaltene Ideen brechen hervor, kommen zusammen und vermischen sich, und freudig und neu belebt kommt die Seele zum Vorschein. Eines Tages saß ich in der Eisenbahn und war in ein Buch vertieft, als ich durch eine Stimme in meiner Nähe aufgeschreckt wurde, die sagte: "Ich denke, die Leute glauben nicht mehr an Gott". Ich wollte wegen der kleinen Störung lachen, weil die Augen, die mich ansahen, nicht verdrießlich aussahen, sondern enthusiastisch und gespannt eine Entgegnung erwarteten. "Aber", sagte ich, "das kann nicht stimmen. Wenn Gott Geist und die Liebe ist, dann ist etwas von der Gottheit in allem, was und wen wir lieben". Scheinbar einverstanden nickte der Mann. Er sprach weiter und zitierte feinsinnig und gut gewählt einen Spruch nach dem andern. Nie ist mir eine Reise so schnell vergangen wie diese. Endlich mußte ich mich darum kümmern wo ich aussteigen mußte, aber er beachtete das kaum. Er sagte, daß er der Pfarrer einer Kirche sei, deren Station noch etwas weiter entfernt liege, daß er mir sagen würde, wenn wir an meinem Bahnhof angelangt wären. Als ich endlich am Bahnsteig stand und dem abfahrenden Zug nachsah, konnte ich ihn am Fenster stehen sehen, noch immer mit jenem suchenden, erwartungsvollen Blick, und ich wußte, daß er, weit entfernt "gottlos" zu sein, an den Sorgen und Nöten der Menschen, die zu ihm als einen Führer aufsahen, lebhaft teilnahm.

Wie aber können ringende Sterbliche den reinen Geist der Liebe erfassen! Frei und leicht, wie die tanzenden Lichter auf dem Meer, können wir ihn weder berühren noch halten; er läßt sich nicht ergründen, birgt jedoch in sich alle Gründe und ist das sicherste und unvergänglichste Ding, das wir kennen. In ihm liegt die Erklärung, warum es uns drängt an der unrechten Stelle aus purer Lust zu lachen und wie es kommt, daß die Wolken durch Gram so grau und bleiern zu werden scheinen. Die Liebe ist auch der Grund, warum wir ein Kinderherz brauchen, um klar durch Vortäuschungen, Illusionen und Enttäuschungen unserer Welt sehen zu können, im Bewußtsein, daß Leben und Hoffnung ewig sind.

"Der große Dichter ist sehr menschlich, unendlich mitfühlend, freut sich mit anderen, trägt ihre Bürde und kennt ihre Sorgen." So schrieb Ingersoll über Walt Whitman. Und zuweilen erhaschen wir auch unter ganz gewöhnlichen Umständen einen Schimmer von dem Dichter, der in der individuellen Seele wohnt und für wenige Augenblicke haben wir teil an seiner Vision.

Es war Sommer, die Sonne schien, der Zug näherte sich dem Bahnhof, als drei Männer, offensichtlich Bahnarbeiter, den Wagen betraten. Sie hatten in ihren Gärten gearbeitet und so sprachen sie über Erbsen und Kartoffeln. Einer von den Dreien beugte sich vor und rief: "Aber diese Mesembryanthemen - diese Farben!" Seine Stimme versagte, und er blickte zum Fenster, während seine Gefährten zusammenrückten und sich über andere Dinge unterhielten. Viele Blumen mögen schöner und wohlriechender sein als die, von denen er sprach, aber sie befriedigten den Dichter in ihm. Sein Gemüt würde stets die leuchtenden Farben in sich aufnehmen und sie würden als ein Lied in seinem Herzen erklingen.

Ist es daher ein Wunder, daß wir durch die Worte des Dichters innerlich nicht allein deshalb tief bewegt sind, weil von der Kraft, die durch seine Worte flutet, die Hoffnung und das Vertrauen ausstrahlt, die er in einem Leben beständigen Wachstums empfindet? Der große Dichter, der vom Herzen der Menschheit berührt ist und den inneren Pulsschlag spürt, entscheidet sich für das wahre Licht, wählt geeignete und passende Themen und mit der edlen Überzeugungskraft seiner Worte läßt er die in seinem Herzen wohnende Liebe in den großen Strom göttlicher Liebe einfließen, dessen schöpferische Energie unsere Welt aufbaut und erhält.