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Der Glaube von Morgen

Vor kurzem hörten wir uns eine Rundfunksendung an, in der sich ein hervorragender Rabbiner und ein ebenso ausgezeichneter katholischer Priester bemühten, die Fragen und Argumente zweier siebzehn Jahre alter Atheisten, wie sie sich selbst nannten, zu beantworten! Die jungen Burschen hatten ganze Stellen der Bibel auswendig gelernt, sie vollkommen aus dem Zusammenhang gerissen und so verwendet, daß sie sich ohne weiteres in ihre Schlußfolgerungen einfügten. Sie suchten angestrengt in der Geschichte, erwähnten Verbrechen und Kriege und Unmenschlichkeiten, die obgleich historisch wahr, gar nicht zu der Frage: gibt es einen Gott oder nicht? in Beziehung standen.

Die beiden älteren Männer waren bei diesem Dialog sehr im Nachteil, weil sie sich ernsthaft bemühten, ihrem aufrichtigen Glauben entsprechend positiv und eindrucksvoll zu antworten. Die Jungen waren an einer Beantwortung ihrer Fragen gar nicht interessiert. In ihrer Entschlossenheit, Theorien und Ideen zu entwickeln, von denen sie augenscheinlich glaubten, daß sie zeitgemäß, geistreich und materialistischem Denken angepaßt sind, unterbrachen sie ungestüm die älteren Herren und gegenseitig einer den anderen.

Die Polemik dauerte mehrere Stunden. Es war, als stünden zwei Gruppen von Menschen auf gegenüberliegenden Bergspitzen und riefen sich über die Weite des unter ihnen liegenden Tales etwas zu. Gelegentlich wurde ein Wort verstanden, aber der Gedanke hinter dem Wort ging in dem Widerhall verloren. Das ist der allgemeine Eindruck, den man von dem bekommt, was sich in der ganzen Welt zwischen Eltern und Kindern ereignet. Die jungen Leute sind in Aufruhr. Die älteren Leute und die Lehrer machen verzweifelte Anstrengungen, auf sie einzuwirken, haben aber keinen Erfolg, weil sie die stattfindende Umwälzungen unterschätzen. Sie fürchten die unvermeidliche Veränderung, die doch bereits da ist.

Die Klagen der jüngeren Generation sind berechtigt. Sie ist in Abwehrstellung und gibt jenen die Schuld für ihren unglücklichen Zustand, die sie dafür als verantwortlich ansieht. Diese unzufriedenen jungen Menschen betrachten die Welt, in der sie leben müssen, als von jenen geschaffen, die ihnen vorausgingen. Ihre Erbschaft ist sowohl unzulänglich als auch unsicher. Sie haben keinen Glauben an ihre Familien, ihre Kirchen oder ihre Lehrer. Ein ungeheurer Druck, immer mehr zu erreichen, liegt auf ihnen, nicht wegen der Freude an einer Leistung oder des Fortschrittes beim Lernen, sondern weil der Wettkampf in ihrem späteren Leben sich überwältigend steigern wird. Es ist nicht nur der Wettkampf mit der Masse ihrer Altersgenossen, sondern auch mit dem modernen Ungeheuer, der Automation. Sie mögen betrügen, lügen oder Prüfungsaufgaben stehlen, aber sie dürfen nicht durchfallen. Dieser Weg führt zum Untergang.

Wir haben unsere Kinder in eine Welt mit Schein-Werten gesetzt. Überall herrscht moralische Verwirrung. Wenn wir ehrbare Durchschnittseltern sind und Zeit haben, bemühen wir uns, sie zu lehren ehrlich zu sein, recht zu denken, ihre Launen zu beherrschen, auf andere Rücksicht zu nehmen, erlauben ihnen aber gleichzeitig, stundenlang vor dem Fernsehgerät zu sitzen, das ein Programm voller schmutziger Unmoralität und ungebildeter, roher Gewalt bietet. Unsere kläglichen Bemühungen werden außerdem durch Inserate unwirksam gemacht, die reizende Mädchen zeigen, die großartig eine beliebte Sorte Zigarette rauchen und elegant durch die herrlich blühende Landschaft fahren. Jugendliche Gemüter können einerseits durch ärztliche Befunde und elterliche Wünsche und andererseits durch das augenscheinliche Wohlbefinden der schönen jungen Frau auf dem Plakat leicht verwirrt werden. Wenn sich gelegentlich eine kritische Stimme als Protest gegen solche Arten von Gehirnwäsche erhebt, wird sie eilfertig durch das schreckliche Wort "Zensur" zum Schweigen gebracht. Anscheinend braucht nichts zensiert zu werden, außer unser Recht zu versuchen, die Verhältnisse zu bessern. Der Kult des Hässlichen blüht.

Während der lange Stunden dauernden Debatte wurde nicht ein einziges Mal das Wort Glaube erwähnt. Beide, der Rabbiner und der Priester, schienen davor zurückzuschrecken, ein Wort auszusprechen, dessen Bedeutung, wie sie fühlten, für einen jugendlichen Materialisten so altmodisch und so hinter den stürmisch dahineilenden Rädern des Fortschritts zurückgeblieben sein würde, daß es vor der Zuhörerschaft einer solchen Spätsendung im Rundfunk 1965 nicht erwähnt werden konnte.

Warum darf der Glaube außerhalb des Sanktuariums der Kirche nicht erwähnt werden? Für manche von uns ist der spirituelle Glaube die Gewißheit, daß man an irgendeinem bestimmten Punkt angelangt ist. Jeder nachdenkliche Mensch entwickelt seine eigene Überzeugung, die dem gesäten Samen entsprechend wie eine schöne Blütenpflanze wachsen und blühen wird. Sie wird ihre Schößlinge hervorbringen, wird aber nicht immer unverändert bleiben. Das ganze Leben ist beständig in Bewegung. Unser Glaube wird sich notwendigerweise ebenfalls verändern, sich entwickeln und ausdehnen, während unsere Fähigkeit zu begreifen, wie wir hoffen, wächst, indem wir die von unseren Alltagserfahrungen gelehrten Lektionen lernen.

Aber Veränderung an sich sollte nicht Unsicherheit und Enttäuschung erzeugen. Wenn sie das täte, würde unser ganzes Vertrauen, während man sich mit dem neuen Lernen befaßt, gefährdet werden. Man glaubt trotzdem an seinen Arzt, auch wenn sich die Medizin, die er im letzten Jahr verschrieb, gegen die Krankheit als unwirksam erwies. Man geht wieder in das Krankenhaus zurück, obgleich die als unwichtig herausgenommenen Mandeln später als unersetzbarer Besitz angesehen wurden. Wir setzen unser Vertrauen auf Versicherungsgesellschaften, auf Banken und Polizeischutz ungeachtet der von ihnen gemachten Fehler, weil wir wissen, daß auch sie Veränderungen unterworfen sind. Nur von dem konventionellen religiösen Glauben wurde gefordert, daß er stille steht, so daß er jetzt der neuen Generation unglaublich veraltet erscheint.

Viele sind von der rationalistischen Annahme beherrscht, daß man die Göttliche Quelle oder Gott nicht erkennen könne und, daß Sie oder Ihn erkennen, der notwendige Beweis für das Vorhandensein einer spirituellen Kraft sein würde. Auf anderen Forschungsgebieten ist Empirismus, entsprechend dem materialistischen Denken, bis zu einem gewissen Grade erlaubt, nicht aber in Sachen des Geistes. Und das trotz der Tatsache, daß es in früheren Zeiten immer jene gab, die durch disziplinierte Anstrengung und durch Studium, verbunden mit einer Lebensführung, die im Einklang mit ihren Überzeugungen stand, verschiedene Grade spiritueller Erkenntnis erlangten. Viele dieser Seher haben ihre Lehren in der einen oder anderen Form hinterlassen. Sie sind für jene erreichbar, die den Wunsch haben, sie zu erfahren und an die Botschaft zu glauben.

So wie alles Leben einem Evolutionsrhythmus folgt, muß auch das religiöse Denken fortschreiten. Die Gottheit, zu der man als kleines Kind am Bette kniend sagte: "Ich lege mich jetzt nieder, um zu schlafen", ist nicht der rachsüchtige Jehova, der uns in unseren ersten zehn Jahren ergötzte, indem er Lots Weib in eine Salzsäule verwandelte und Pharaos große Armee vom Roten Meer verschlingen ließ, mit dem unwiderstehlichen Drama eines modernen Filmes. Auch die reiferen Jahre bringen Veränderungen im Glauben, so wie sich viele Erfahrungen im persönlichen Leben und im Leben anderer, wie auch in den Nationen und Rassen niederschlagen und die ganze Welt geographisch, historisch und philosophisch umgewandelt wird. Wenn solche Veränderungen in einem Leben beobachtet werden können, müssen wir sie beinahe unbegrenzt vervielfältigen, um eine Andeutung dessen zu bekommen, was sich während der Lebenszeit des sich entwickelnden Planeten ereignen muß, von dem wir ein integraler Teil sind.

Wenn man in der Debatte den Ruf der jungen Menschen hörte: "Woher wissen Sie, daß es einen Gott gibt? Beweisen Sie es", hatte man das sichere Gefühl, daß sie sich nicht überzeugen lassen wollten. Sie waren gekommen, um zu widerlegen, nicht um zu lernen. Doch das schafft die Tatsache nicht aus der Welt, daß sie sich sehr damit beschäftigten, ihre Sache aufzuziehen, was auf ein lebendiges Interesse an dem Gegenstand hinweist. Sie wurden an die Geschichte von Jesus erinnert, aber sie waren nicht beeindruckt. Ein Mensch starb qualvoll am Kreuze. Seitdem sind Tausende durch die Inquisition, auf Kreuzzügen und in Folterkammern gestorben, weil sie sich weigerten zu glauben, daß Er für das gestorben sei, was diese oder jene Religionsgemeinschaft angab. Auf die heilige Symbologie im Neuen Testament wurde nicht hingewiesen. Der Rabbiner wurde gefragt, ob Jehova allgütig sei und die Welt geschaffen habe. Gegebenfalls, warum hat er das Böse geschaffen? Kindisch? Natürlich. Letzten Endes waren sie Kinder, die sich nur verteidigten; sie baten um Brot und es wurden ihnen Steine gegeben.

Diese fundamentalen Angriffe mußten in Übereinstimmung mit den aufgestellten Dogmen beantwortet werden. Man hatte das sichere Gefühl, daß diese zwei vortrefflichen Theologen weiser sein mußten, als ihre Antworten durchblicken ließen; doch sie waren nicht imstande, ihre Erwiderungen anders auszudrücken als in den Worten ihrer jeweiligen Glaubensrichtungen. Sie wagten es nicht, modernen Verkrampfungen mit einer umfassenden philosophischen Auffassung entgegenzutreten, die genügte, um den Skeptizismus einer von Illusionen befreiten Jugend zu befriedigen. Sie erweckten den Anschein, als könnten sie als Lehrer die größte aller Gnaden - spirituelle Weisheit - "gewähren", durch Gebet oder durch Ritual, durch Konfession oder Kirchenbesuch oder auf irgendeine Weise, die zu keinem sorgfältigen Studium zwingt. Ergebenheit und Disziplin ist für die Meisterschaft jeder pädagogischen Anstrengung erforderlich.

Es ist nicht das erstemal in der Weltgeschichte, daß die Menschheit ihre Bande zu so stark verschanzten Ideologien lockert. Sicherlich ereignete sich das immer wieder, seit der Mensch zu denken begann. Oftmals ist das religiöse Denken gewachsen, es wurde reif und ist allmählich wieder verlöscht, immer einen kleinen annehmbaren Rest an Wahrheit hinterlassend, der als Grundlage für eine neue Bewegung diente. Die Buddhisten entsagten der vorherrschenden Hindureligion, um ihr eigenes philosophisches Glaubenssystem zu bilden. Die Christen wendeten sich vom Judaismus ab und errichteten langsam aber sicher eine große Religion. In jedem dieser Fälle gossen viele Gläubige ihre Lehren in begrenzte Formen des Denkens, die keine Ausdehnung erlaubten, keinen Raum zum Atmen ließen, und die Wahrheit erstickte. Dann fand eine Reformation statt. Kirchliche Autorität wurde durch die Erkenntnisse von Philosophen, unter anderen von Descartes, Locke, Hume und Kant ersetzt. Dann tauchte die Wissenschaft aus dem Untergrund auf, wo sie sich vor der Verfolgung verborgen hatte und wurde im Verlauf der Jahre stark und mächtig.

Jetzt finden wir, daß die Schritte der nachdenklicheren unter unseren Wissenschaftlern weniger sicher sind, weil die materiellen Auswirkungen ihrer Überzeugungen das Licht der spirituellen Lebensessenz ausschließt. Ein sehr bekannter Wissenschaftler drückte dies unlängst so aus: "Wir nähern uns einer Zeit, in der wir, um fortzuschreiten, nach einer neuen Dimension Ausschau halten müssen." Wo? In der Materie? Die sich widersprechende enge Verbindung spiritueller Philosophie, die pflichtgetreu Wache hält, mit der Wissenschaft, die sich um die Angelegenheiten der Welt kümmert, weil sie tatsächlich verschiedener Auffassung und in ihrem Bemühen getrennt sind, würde weitaus schöpferischer werden, sobald man sie als unantastbare eheliche Verbindung ansehen könnte, in der die beiden zu einem Träger der Wahrheit verschmolzen sind.

Darin kann dann unsere neue Generation ihren Glauben finden; in einer spirituellen, lebendigen Vereinigung von Religion, Philosophie und Wissenschaft, die nicht als endgültige Darlegung der Wahrheit zu verstehen ist, sondern als wachsendes, niemals statisches Ideal, das sich beständig mehr und mehr zu einem Etwas entwickelt, das sie intuitiv zur Kenntnis nehmen müssen. Es ist die Aufgabe jeder Generation, weiter fortzuschreiten.

Ein weiser Mann des Altertums lehrte, daß "die Erneuerung der Gesellschaft letzten Endes durch innere, bewußte Anstrengung der Menschen erreicht wird. Der Mensch muß sich durch Befolgung des Göttlichen Willens freimachen." Aber vorher muß er Glauben haben - Glauben an seinen göttlichen Ursprung, Glauben an sich selbst und an die Bruderschaft der menschlichen Wanderer, die auf verschiedenen Marschrouten zur Göttlichen Bestimmung und noch weiter streben.