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Der Wohnsitz Gottes

Wo und was ist in unserem Leben die Stätte Gottes, wenn das Gesetz der Konsequenzen, wie Emmerson es nennt, oder das Gesetz von Ursache und Wirkung in der Natur wirksam ist? Diese Frage wird oft gestellt, doch können wir sie unmöglich erörtern, es sei denn wir wüßten genau was wir unter Gott verstehen. Die Geschichte zeigt uns, daß es zu keiner Zeit eine Frage gegeben hat, über welche die Menschen so unterschiedlicher Meinung waren, als über die Natur des Göttlichen.

Sind unsere Gedanken über Gott dieselben, wie die der Hebräer oder die der Christen? Welche Auffassung haben die Mohammedaner von Allah, oder welches Bild machten sich die Griechen von Zeus? Wie stellten sich die alten Druiden oder die alten Hindus die Gottheit vor?

Wie steht es mit dem Begriff vom Göttlichen als ein persönliches Wesen, das denkt, fühlt und handelt? Denken, Fühlen und Handeln sind Funktionen begrenzter Wesen, wie z. B. die Menschen. Gott oder das Göttliche ist absolut unbegrenztes Leben - universales Leben und Bewußtsein; kurz gesagt Raum, weil alles darin eingeschlossen ist. Und da sich nichts außerhalb des Raumes befindet, ist Raum Leben, Bewußtsein, Göttlichkeit: die Quelle und der Ursprung aller Wesen und aller Welten.

Vor nicht allzulanger Zeit glaubten die Menschen, daß sich die Sonne um die Erde drehe, und daß die Sterne im mitternächtlichen dunkelblauen Gewölbe funkelnde Lichtpunkte seien, die dort von einem persönlichen Gott angebracht wurden, um seinen irrenden und sündhaften Erdenkindern seine eigene Größe zu verkünden. Heute wissen wir es besser. Ein solcher Gott hat im aufgeklärten Denken keinen Platz. Aber in Ehrerbietung erhebt sich unser Herz, wenn wir über das Göttliche nachsinnen.

Welchen Platz nimmt dann Gott oder das Göttliche Bewußtsein in bezug auf Ursache und Wirkung ein? Mit anderen Worten, wenn alles in Gott, den man sich als die Göttliche Quelle vorstellt, seinen Ursprung hat, wie arbeiten dann Ursache und Wirkung im Leben? Alles wird von Karma oder dem Gesetz von Aktion und Reaktion regiert. Karma bedeutet genau folgendes: nämlich Tätigkeit, was einschließt, daß die Wirkungen oder Reaktionen auf uns zurückfallen werden, was wir auch immer unternehmen mögen. Auf diese Weise lernen wir durch Karma die Lektionen des Lebens, die wir uns durch unser Handeln selbst gestellt haben. Kein äußerer Gott legt uns jene Wirkungen auf, sondern das natürliche Gleichgewicht ist wieder hergestellt, indem uns Gelegenheit gegeben wird, den uns zugefallenen karmischen Ausgleich zu empfinden. Wenn wir einen Finger in die Flamme halten, werden wir uns brennen. Gott war es nicht, der unseren Finger ins Feuer hielt; wir taten es. Wir selbst begaben uns in den Wirkungsbereich der Naturkräfte und müssen die Folgen erleiden.

Ein König regiert oder eine Regierung regiert, aber Karma ist weder ein König noch eine Regierung. Es ist keine Person. Es ist eine unpersönliche Funktion des Universums. Wir Menschen sind bewußte Wesen und in unserem Egoismus bilden wir uns ein, daß der Stein etwas Unbewußtes sei und daher nicht unter dem Einfluß des Göttlichen stünde. Wenn aber alle Wesenheiten und Dinge Abkömmlinge des Universalen Lebens sind, dann enthalten alle im Keim und auf ihre eigene Weise das, was wir als selbstbewußte menschliche Wesen haben. Und alle erfahren Karma oder die Wirkungen ihres Lebens auf eigene Weise, wie unbewußt jenes Leben uns auch erscheinen mag. Die Unterschiede zwischen dem Stein und dem Stern, der Rose und dem Menschen ergeben sich aus den verschiedenen Entwicklungsstufen, die unterschiedlich erreicht wurden. Alles ist ein Ausdruck des Lebens und des Bewußtseins, aber manche sind weiter fortgeschritten als andere und offenbaren in größerem Maße ihre inneren Fähigkeiten, die im Kern jeder Wesenheit des Universums vorhanden sind.

Nein, in der erleuchteten Philosophie ist weder Platz für einen endlichen, persönlichen Gott, der zu gleicher Zeit unendlich und ewig ist, noch für die Theorie, daß ein solches Wesen die Menschen und alle Dinge auf Erden erschafft und sie wie ein König regiert. Wie sollen wir dann die Übel, Leiden und Schrecken, die es auf der Welt gibt, erklären? Wie die Tätigkeit dieser rein theoretischen Gottheit? Handelt ein Gott auf diese Weise, dann ist es ein wahrhaft furchtbarer Gott und kein Mensch, der ein Herz hat, könnte ihn auch nur für einen Augenblick annehmen, wenn er ihn so erkennen würde. Denn wenn ein solches Wesen allgütig und der Schöpfer aller Dinge wäre, wie sind dann Elend, Schwächen und die üblen Wünsche zu erklären? Wie erklärt man sich auch die Naturkatastrophen, wie Erdbeben, Wirbelstürme und Überschwemmungen, wobei Zehntausende augenscheinlich mit ebensowenig Reue getötet werden, als handele es sich um die Entfernung von Wrackgut von der Meeresküste. Nein, einen solchen Gott kann ich nicht annehmen. Eher erkenne ich die majestätische und unbeugsame Logik der alten Philosophien an, welche die Gerechtigkeit im Wirken von Ursache und Wirkung beachten, in der Aktion, die ihre Reaktion im Gefolge hat. Unvollkommenheiten sind keineswegs "Gottes Werk", mögen sie nun menschlicher oder kosmischer Art sein, aber sie gehören zur wahren Natur des wachsenden Universums, das ein unermeßlicher Körper von sich entwickelnden Wesenheiten ist, von den am wenigsten entwickelten bis zu den völlig selbstbewußten Göttern.

Wenn ein Mensch über die umfassenden Reiche des Unsichtbaren nachdenkt und erkennt, daß dort nirgends ein Atom, nirgends ein Punkt im Raum vorhanden ist, der sich außerhalb des Bereiches und der Tätigkeit des Universalen Lebens und daher außerhalb des allumfassenden Gesetzes von Karma befindet, wenn er bedenkt, daß das Universum, das sich nach allen Richtungen hin erstreckt, mit lebenden Wesenheiten erfüllt ist, von den kleinsten bis zu den größten und in endlosen Hierarchien, dann wird sein Herz mit unaussprechlicher Ehrerbietung erfüllt. Der Mensch kann den göttlichen Einfluß auf sein Leben ebensowenig verleugnen, wie er das Sonnenlicht verneinen kann.