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Der Ruf der Unendlichkeit

Aus der Serie Neue Weisheit: "Ein Gespräch zwischen William Ernest Hocking und W. E. R. La Farge." Dieses Programm wurde am 14. November 1965 als Sonderveranstaltung von der NBC-Television Network durchgeführt. Copyright 1965 by National Broadcasting Co., Inc.

 

 

 

W. E. R. La Farge: Dr. William Ernest Hocking ist ein Philosoph, der dort lebt, wo ein Philosoph leben sollte, auf dem Gipfel eines Berges.

Ich denke noch daran, wie ich mit ihm an jenem warmen Sommertag in New Hampshire durch seine Felder und Wälder zu seiner Bibliothek ging, die er selbst entworfen und eigenhändig gebaut hatte. Ich erinnere mich, wie er sagte, daß jeder Mensch das Leben mit seiner Hände Arbeit beginnen sollte. Er war Baumeister, Feldmesser und Geigenbauer gewesen. In Harvard war er Student und dann Professor, als dort die Größen der Philosophie Amerikas: James, Royce, Santayana und Whitehead waren.

Sogar an Wintertagen geht Dr. Hocking zu Fuß zu diesem Zimmer, das er sich für seine tieferen Betrachtungen eingerichtet hatte. In den Bibliotheken der ganzen Welt sind tatsächlich Bücher zu finden, die in dieser Bibliothek geschrieben wurden. ...

Dr. Hocking, Sie könnten Ihren so aktiven Ruhestand doch ebenso in einem Wolkenkratzer verbringen, wo Sie der Welt der Gegenwart näher sind und trotzdem haben Sie beschlossen, hier zu leben. Warum?

Dr. W. E. Hocking: Mit einem Wort, ich habe es in der Stadt versucht. Der wirkliche Grund warum ich hier bin ist, Zeit zum Nachdenken zu haben, wie ich es meinen möchte. Man kann nicht denken, wenn man von einer Menge Eindrücke umgeben ist.

Ich würde es lieber in die Begriffe eines anderen Wortes kleiden, welches viel von unseren Brüdern im Orient gebraucht wird, den Begriff Erkenntnis. Um das menschliche Leben zu erkennen, muß man sich inmitten der natürlichen Umgebung des menschlichen Lebens befinden. In der Stadt ist man von Häusern und anderen Menschen umgeben. Aber man hat nicht das, was die Chinesen als die eigentliche Umgebung des Menschen bezeichnen. "Ein Mensch", sagt Konfuzius, "ist ein dritter Partner des Himmels und der Erde." In der Großstadt gibt es keinen Himmel und keine Erde. Über uns ist nur Smog und unter uns das Straßenpflaster. Hier aber haben wir die Natur, und im Vertrauen, die Natur ist das notwendige Medium für Erkenntnis - die Erkenntnis von dem, was das menschliche Leben wirklich ist.

 

Mr. La Farge: Dr. Hocking, dies ist eine ziemlich grundlegende Frage, aber was ist Philosophie und wie sieht ihre Verantwortlichkeit dem Durchschnittsmenschen gegenüber aus?

Dr. Hocking: Philosophie ist tiefere Betrachtung. Wir beginnen unser Leben mit einer Überzeugung, daß das Leben lebenswert ist. Ein Kind stellt niemals die Frage, ob das Leben lebenswert ist; wir verlangen dies auch nicht von Kindern. Aber die Zeit kommt, wo sie die Frage aufwerfen. Die Philosophie befaßt sich damit, dies zu beantworten. Obgleich die Philosophie einen technischen Namen besitzt, ist sie dennoch die Angelegenheit jedes Einzelnen. Wir können der Frage nicht entfliehen, früher oder später kommt sie. Und besonders in einer Zeit der Verwirrung und allgemeinen Not ist die Frage aktuell, ob die Bürde des Lebens, die Bürde mit den Zweifeln der Menschen, vernünftig getragen werden kann.

Die eine bezeichnende Charakteristik der Philosophie ist der Versuch nach einer Ganzheit der Betrachtungsweise von jedem für jeden. Der Philosoph muß diese Fragen sich selbst beantworten, aber er ist nicht damit zufrieden, die Antwort für sich selbst zu bekommen, er muß für die Allgemeinheit antworten. Deshalb sage ich, Philosophie ist jedermanns Angelegenheit, und bevor sie nicht jeden Menschen erreicht und seine Fragen beantwortet, tut sie nicht ihre Schuldigkeit.

 

Mr. La Farge: Freud sagte, daß das Leben in den sechziger Jahren erfreulich sein kann, aber nicht in den siebziger Jahren. Wie finden Sie es in den achziger Jahren?

Dr. Hocking: Ich finde, daß ein Mensch so alt ist wie seine Arbeit. Wenn seine Arbeit ihn in Bewegung hält, in Vorwärtsbewegung, muß er mit der Arbeit vorwärts schauen, und es gibt keinen Grund, weshalb irgendein Mensch seine Arbeit als abgeschlossen betrachten und ständig zurückblicken sollte.

Ich glaube, daß Freud am meisten zur Psychologie beigetragen hat, zumindest für diejenigen von mittlerem Alter und den dazugehörigen Schwierigkeiten. Was das spätere Alter anbetrifft, so irrte er. Vielleicht wegen seiner eigenen Krankheit, und er irrte in bezug auf die Kindheit. Die Kindheit an sich ist ein wunderschöner Zeitabschnitt, in dem das Kind keine Beschränkungen in der Herrlichkeit seines Bildes von der Welt, in der es lebt, erkennt. Es hofft immer, und wie A. Russell es darstellt, gehört es zur "Periode der berühmten Unsterblichen."

So würde ich Freud über die Kindheit berichtigen. Und was das spätere Alter anbetrifft, so möchte ich darauf hinweisen, daß der Blick nach vorwärts genau so wichtig ist wie der Rückblick.

 

Mr. La Farge: Ich weiß, daß Sie sich einige private Notizen für eine Autobiographie gemacht haben, die "Die Mannigfaltigkeit der erzieherischen Erfahrung" heißen soll. Was fällt unter diese Mannigfaltigkeit?

Dr. Hocking: Zunächst das, was jeder durchzumachen hat. Zuerst ist man das Subjekt, welches erzogen wird - der Lehm für den Töpfer. Dann, zu gegebener Zeit, wird man zum Töpfer für einen anderen Lehm, und man wird ein Lehrer.

In längerer Sicht ist die Erziehung genau das, was Sokrates darüber sagte. Es ist kein Hinzufügen, es ist ein Hervorholen. Es ist das Hervorholen dessen, was im Gemüt liegt, und der wichtigste Teil der Erziehung für einen Menschen ist die Unterweisung darüber und was er in sich besitzt.

 

Mr. La Farge: Dr. Hocking, als ich hereinkam, fiel mir jene Kohlezeichnung dort über dem Kaminsims auf. Das ist ein Portrait von Mrs. Hocking, nicht wahr? Wurde es gemacht, als sie noch Leiterin der Shady Hill-Schule war?

Dr. Hocking: Nein! Wir gingen 1926 von der Shady Hill-Schule weg. Zu jener Zeit war sie so weit gediehen, daß sie auf eigenen Füßen stehen konnte. Wir gaben ihr unseren Segen und sie hat sich entwickelt.

 

Mr. La Farge: Wann wurde sie gegründet und wie kam es dazu?

Dr. Hocking: 1915. Es war so, daß die Schule, die unser Sohn besuchte, niedergerissen wurde, um einem neuen Gebäude Platz zu machen. Die Schüler wurden auf verschiedene Schulen verteilt, die schon überlastet waren, und die neuen Schüler waren natürlich nicht sehr willkommen. Man kümmerte sich überhaupt nicht um sie. Wir kamen zu Hilfe, indem wir einige von ihnen in unserer hinteren Veranda unterbrachten. Ihnen gefiel die ganze Disposition so gut, daß sie im nächsten Herbst darum baten, auf der hinteren Veranda weiter machen zu dürfen. Und ohne irgendwelche vorherige Absicht waren wir dabei, eine Versuchsschule zu entwickeln.

Dafür gab es jedoch einen ganz bestimmten Grund. Zu jener Zeit bestanden in den Schulen der Vereinigten Staaten über den Begriff der Erziehung zwei ganz plausible aber schreckliche Irrtümer. Der eine war die Idee Deweys vom Lernen durch Tätigkeit. Der andere war die fortschrittliche Idee für Interesse bei den Schülern zu sorgen.

Nun, Lernen durch Tätigkeit ist das, was jeder intuitiv tut. Wir alle lernen das Holzsägen, indem wir Holz sägen. Darüber besteht kein Zweifel. Aber wenn es dazu führt, Rechnen zu lernen, indem man einen Fußboden mit Teppichen belegt, wird das Lernen durch die Tat zu einem Versuch, etwas zu lernen, indem man etwas anderes tut. Mit anderen Worten, man umgeht das Rechenstudium, um Fußböden mit Teppichen zu belegen, mit Hilfe des Rechnens.

Lernen durch Tätigkeit war von selbst auf ein ausgefahrenes Gleis geraten. Und wir glaubten daher, daß es nur einen Weg gab, um denken zu lernen, nämlich durch denken.

 

Mr. La Farge: Welche Fächer lehrte Mrs. Hocking?

Dr. Hocking: Sie lehrte Dichtung und Geschichte. Poesie wurde besonders bei den Morgenandachten gepflegt, denn Mrs. Hocking achtete darauf, daß entweder ein Gedicht gelesen wurde oder ein Kind ein Gedicht aufsagte. Sie glaubte, daß die Dichtung der natürliche Weg war, um Kinder dahin zu führen, was ich den einfachen Glauben an die Welt nennen möchte, jenen Glauben, der nicht durch ein Dogma verzerrt, sondern der natürlich auf den Ruhm und die Erhabenheit und Verheißungen der Welt reagiert, in der er ist.

Ich möchte als Beispiel eines der Gedichte anführen, welches das Wachstum des Gedankens der Demokratie aufzeigt, wenn ein Mensch älter wird. Es heißt "Herbst", von Gilbert Chessin. Ich möchte nicht das ganze Gedicht rezitieren, sondern nur einige bedeutende Zeilen:

Nun bin ich in den Herbst gekommen

Wenn alle Blätter golden sind.

In der Jugend suchte ich den Prinzen der Menschen,

Das Oberhaupt kosmischer Kriege,

Aber jetzt erscheint mir schon jedes Nicken eines

Menschen auf der Straße als etwas ganz Besonderes,

Wo in eigenartiger Demokratie

Die Millionen Masken Gottes wechseln.

 

Mr. La Farge: Dr. Hocking, als Sie in Harvard waren, machten Sie einmal ein Lehrexperiment. Könnten Sie uns dieses Experiment beschreiben?

Dr. Hocking: Ich hatte den Eindruck, daß Diskussionen mit einem Unterrichtenden immer unvollständig waren. Für einen Unterrichtenden war es leicht einen anderen in dessen Abwesenheit zu kritisieren, für die Schüler war es jedoch viel lebendiger, ihn in seiner Anwesenheit zu kritisieren und seine Antwort zu erhalten. Mit anderen Worten, fortgeschrittenere Schüler können auf jeden Fall mehr aus einer Debatte lernen als wenn ihnen lediglich vorgetragen wird. Deshalb versuchte ich in Harvard zweimal ein doppel-geleitetes Seminar aufzustellen. Diese zwei Seminare mit Whitehead gehören mit zu den wertvollsten meiner erzieherischen Erfahrungen, und ich bin der Meinung, daß die Aufzeichnungen aus diesen zwei Seminaren in der Denkweise Whiteheads noch immer wertvoll und eine Fundgrube in den einfachsten Ausdrücken der Umgangssprache sind. ...

 

Mr. La Farge: Welche Rolle spielt der Philosoph in diesen wirren Zeiten, wo die Menschen dazu neigen, ihre Sorgen dem Psychologen, Psychiater oder Psychoanalytiker vorzutragen?

Dr. Hocking: Die Psychiatrie und Psychoanalyse nimmt an, daß, wenn Menschen in Verwirrung sind oder durch Neurosen oder Psychosen die Hoffnung verlieren, die Störung im Inneren liegt. Es ist irgendeine Krankheit oder krankhafte Veranlagung vorhanden, welche die Analyse aufdecken und korrigieren kann. Aber es ist mir klar, daß eine rationale Weltanschauung, das heißt, eine Anschauung, die ausschließlich auf der Wissenschaft fundiert ist, uns an sich zur Verzweiflung bringen kann. Deshalb schlage ich vor, daß bei neun von zehn Fällen, oder vielleicht bei drei Fällen von vieren, die wirkliche Heilung von Gemütskrankheit nicht die Psychoanalyse sein sollte, sondern einfach die Wahrheit.

 

Mr. La Farge: Dr. Hocking, Sie haben mir erzählt, wie mangelhaft das Leben in der Stadt sein kann. Sind Sie hier in Madison das ganze Jahr über?

Dr. Hocking: Ich möchte auch im Winter nirgendwo anders sein. Der Winter hat seine eigenen Schönheiten. Auf dem Lande gibt es immer viel mehr außerhalb des Hauses als innerhalb. Und was außerhalb des Hauses ist, hat seine Mannigfaltigkeit, sein Leben, seine Jahreszeiten. Ein Mensch, der nicht mit den Jahreszeiten geht, kennt nicht den Fortschritt des Lebens; und die Entwicklung des Lebens im Grase, in den Blumen, den Bäumen und in den Feldern ist das Leben, das uns am nächsten ist, und es ist die beste Unterweisung für das Leben des Universums im Großen.

Ich bin gern da draußen, wo die Dinge leben und ihren Kreislauf durchmachen. Es ist der Prozeß, der Kreislauf der lebenden Dinge, der von einem Besitz ergreift und fühlen läßt, als sei man wirklich ein Teil der Welt. Niemals kann man herausfinden, was einem das wirklich Wahre zu sagen hat, wenn man sich in einer Menschenmenge befindet.

 

bild_sunrise_11967_s32_1Mr. La Farge: Sie sprechen vom Schöpferischen, Dr. Hocking. Das ist heute ein vielgebrauchtes Wort, nicht wahr?

Dr. Hocking: Ja, und recht geheimnisvoll. Man nimmt an, Schöpfung bedeutet, aus nichts etwas zu machen. Was ich unter schöpferisch verstehe, ist der Vorgang, etwas ins Dasein zu bringen, was sonst überhaupt nicht im Universum existieren würde. Dies ist genau der Punkt, an dem der Künstler im ganzen menschlichen Leben zu Tage tritt. Der Künstler ist der Mensch, der etwas ins Dasein bringt, was sonst nicht existieren würde und an das man noch nicht einmal gedacht hätte. Der Einzelne kann nicht umhin, sich selbst in dem auszudrücken, was er tut, und was er tut ist etwas, das möglicherweise kein anderer getan haben könnte.

 

Mr. La Farge: Dann kann jeder Mensch auf seine eigene Weise zum Universum beitragen?

Dr. Hocking: Jeder Mensch fügt zum Universum etwas hinzu, was sonst nicht existieren würde. Vielleicht kann man das durch die Musik veranschaulichen. Zum Beispiel ist in der sechsten Symphonie von Tschaikowskij, in seiner Pathétique, eine Stimmung zum Ausdruck gebracht, die ohne Zweifel die Stimmung des Musikers war. Er war es, der litt. Jenes Leiden konnte nicht das Leiden eines anderen gewesen sein, viel weniger das Leiden Gottes. Denn Leiden hängt von der Endlichkeit des menschlichen Wesens ab. Gott, der nicht unwissend ist, nicht begrenzt, könnte niemals die Tragödie der Endlichkeit erleben.

Aber wenn die Tragödie der Endlichkeit wie bei der Musik dieser wundervollen Symphonie ausgedrückt und überwunden wird, dann ist ohne Zweifel nicht nur etwas zum Erlebnis der Menschheit beigetragen worden, sondern ich würde sagen, auch zum göttlichen Erlebnis. Gott hätte nicht in diese begrenzte Endlichkeit eintreten können, um den Triumph zu genießen, der in dieser wundervollen Symphonie zum Ausdruck gebracht ist.

Das Außergewöhnliche ist, daß alle bedeutenden Dinge des Lebens, ehe sie getan sind, unmöglich sind. Dies klingt paradox, aber zum Beispiel ist die Aufgabe, ein Kind aufzuziehen, ein unlösliches Problem.

Niemand ist imstande, ein Gesetz zu erlassen, das sich mit einer gewissen Kompliziertheit der menschlichen Probleme befaßt. Niemand ist geeignet, den Staat zu übernehmen, ein Führer zu werden. Wir können sagen, daß das Problem, das vor jedem steht, der sich mit dem menschlichen Leben befaßt, ein unmögliches Problem ist. Dennoch sind es gerade diese Dinge, die von uns verlangt werden. Jedes Elternteil erkennt, daß es mit seinen eigenen, persönlichen Problemen nur mit einer Anschauung fertig werden kann, die das Leben des Kindes und sein eigenes Leben einschließt. Im Kinde und der Erziehung des Kindes erkennt es sich selbst.

Deshalb sage ich, daß der Ruhm des menschlichen Lebens darin besteht, fortwährend dem Unmöglichen gegenüber zu stehen und fortwährend das Unmögliche zu vollbringen. Das ist der Grund, weshalb wir von vornherein sagen müssen, daß es niemanden gibt, der uns sagen kann, wie diese Sache erledigt werden kann, und trotzdem wird sie getan - sie ist gelöst. Genau das ist die Lage, in der sich die heutige große Welt befindet. Wir haben ein unlösbares Problem, aber es wird gelöst werden.

 

Mr. La Farge: Ist es dieses Lösen des Unmöglichen, das in Ihrer Philosophie dem Gemüt die Wichtigkeit verleiht?

Dr. Hocking: Ganz genau! Es ist die Aufgabe des Gemüts zu träumen, und im Träumen und in der Vision haben Sie den Hinweis auf Ihren nächsten Schritt.

 

Mr. La Farge: Nun, Sie sagen, daß die Kunst unmöglich ist, und daß wir alle das Unmögliche versuchen müssen. Meinen Sie, daß jeder Mensch sein Wirken auf seine eigene Art und Weise ausprobieren sollte?

Dr. Hocking: Ja. Das ist ein Teil der Selbsterziehung eines jeden Menschen. Mancher hat in der Kunst, im künstlerischen Schaffen sofort die höchste Freude und die größte Verzweiflung. Die höchste Freude, weil er vor sich die Vorstellung der Schönheit hat, die er erreichen möchte. Größte Verzweiflung, weil er fortwährend daran erinnert wird, daß er sie nicht erreicht hat. Folgedessen gibt es in der Kunst etwas Unendliches - den Ruf der Unendlichkeit - und durch jene Vereinigung von Schmerz, Kritik, Hoffnung, Vollendung, hat man in dem Werk, in der ununterbrochenen Arbeit in der Kunst, eine Art Symbol der ewigen Reise des menschlichen Lebens einem Ziel entgegen, das zurückzuweichen scheint und dennoch einem von Zeit zu Zeit die wahre Essenz der Befriedigung und Freude schenkt. ...

 

Mr. La Farge: Welche Perspektiven des Wissens halten Sie von Ihrem Leben aus gesehen für die wertvollsten?

Dr. Hocking: Das ist eine schwierige Frage. Vielleicht sollte ich zuerst einmal sagen, daß für mich das Problem der Überzeugung sehr wichtig ist, und ich glaube, daß es heutzutage in einer Welt, die vom Grundsatz der Relativität regiert wird, äußerst wichtig ist, darauf hinzuweisen, daß es möglich ist, über alles Gewißheit zu haben. Aber ich möchte den Begriff der Erfahrung erweitern, um darauf hinzuweisen, daß die wichtigsten Wahrheiten in uns sind.

Dies verbindet Metaphysik, Philosophie, Theologie - keine grundverschiedenen Dinge, die durch lange Ketten abstrakter Beweisführung erreicht werden müssen, nichts Zusätzliches zu all den Kompliziertheiten der Wissenschaft, die heute so schwierig werden, sondern etwas Naheliegendes. Ich behaupte, daß die Philosophie in den Wahrheiten, die für uns die wichtigsten sind, im Grunde genommen einfach ist, und daß wir, wenn wir uns von dieser Einfachheit entfernen, unseren unmittelbaren Halt an der Wahrheit verlieren.

Das Vertrauteste, das Eigenste ist das Universalste. Und das bedeutet, daß jeder seinen eigenen direkten Kontakt mit der Realität hat.

Der umstrittene Punkt, der dieser neuen Auffassung von Erfahrung entspringt, der sich erweiternden Erfahrung, unter Beiseitelassung aller Schwierigkeiten der Philosophie und Theologie, ist nun folgendes: Wie sieht diese Wirklichkeit aus? Für die christliche Religion ist das Wirkliche die Liebe. Die Auffassung von Konfuzius und die hebräische Auffassung fügen ein weiteres Element hinzu, das mir äußerst wichtig und gleich wichtig erscheint: das Wirkliche ist nicht nur wohlwollend, freundlich, gutgesinnt; das Wirkliche fordert etwas, es stellt eine Bedingung ... es hat ein Gesetz. So haben wir in unserer Einstellung gegenüber dem Wirklichen das Element der Pflicht und mit dem Element der Pflicht sogleich die Frage, ob die Pflicht nur in einige besondere Gebote aufgeteilt ist, oder ob dazu auch ein Lebenswerk verlangt wird.

Dies ist, glaube ich, das große Bild, das aus unserem neuen Empirismus hervorgeht. Die Anhänger Konfuzius hatten ganz recht, wenn sie sagten, jeder Mensch hätte ein Ming - eine Bestimmung, eine himmlische Berufung. Ein Ming ist die himmlische Berufung, und es gibt keine bedeutendere Darstellung darüber, wie das Erlebnis von Konfuzius, als er einmal im Dorf Kwang von einer Gruppe Politiker angepöbelt wurde, die nicht das geringste von seiner Staatslehre wissen wollten. Er entkam mit Hilfe seiner Schüler, die ihm dann Vorwürfe machten, weil er sein wertvolles Leben in dieser Weise der Gefahr ausgesetzt hatte. Konfuzius erwiderte mit großer Würde; "der Himmel hat mich dazu bestimmt, diese Lehre zu lehren, und was können die Einwohner von Kwang mir tun, ehe ich dies nicht getan habe?" Ein Bewußtsein und eine Gewißheit der Mission.

Die heutige Weltlage fordert uns direkt dazu auf, uns selbst und unseren politischen Problemen gegenüber die Vorstellung einer Mission anzunehmen. In dieser Hingabe liegt die vollständigste Befriedigung des menschlichen Wollens, denn nichts kann ein Leben so vollständig zufriedenstellen als die Gewißheit, etwas zu tun zu haben, das es tun kann und was gleichzeitig notwendig ist, notwendig für die Welt im Ganzen. Das wäre alles, was ich dazu zu sagen hätte.