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Das Ewige und das Vergängliche

Wir sind mit Hoffnung und hehrem Vertrauen in das neue Jahr gegangen. Es gibt jedoch nicht einen unter uns, der nicht erkennen würde, daß die Jahre, die unmittelbar vor uns liegen, mit Krisen beladen sind: entscheidende Jahre, in denen Lauterkeit aufgewogen wird gegen Falschheit, Erkenntnis gegen Unwissenheit, das Ewige gegen das Vergängliche. Wird die Zivilisation dem Sonnenaufgang einer hellen und schönen Zukunft entgegenschreiten? Oder wird sie den Bedrängnissen der Furcht und dem Begehren nach Macht unterliegen und ihren Fortschritt Generationen lang verzögern?

Wohin können wir uns wenden in unserem verzweifelten Suchen nach einem Vorbild, das in Krisenzeiten eine wertvolle Hilfe sein wird? Tausende, vielleicht Millionen von uns, jeder auf seine Weise, haben angefangen zu spüren, daß hinter allen Philosophien und Religionen, die die Welt hervorgebracht hat, etwas von essentieller Bedeutung da ist, - jenes Etwas, das uns entgangen ist - das das Fundament der Wahrheit darstellt, von dem diese veränderlichen Ausdrucksformen einmal entsprungen sein mögen, die sich aber seitdem in negative und verzerrte Formen kristallisiert haben. Bei unserem Forschen wird uns manches klar, doch zu oft geraten wir in Sackgassen, kehren wieder um und müssen unser Suchen aufs Neue beginnen.

Wenn wir aber entschlossen sind auszuharren und vertrauensvoll glauben, daß es einen Ariadnefaden gibt, der uns aus dem Labyrinth der Verwirrung herausführt, dann werden wir entdecken, daß die sicherste Führung die kompromißlose, unmittelbar vor uns liegende Pflicht ist, die auf diesem Kampffeld der Seele im gegebenen Augenblick vor uns liegt.

Unlängst wurde ich von einem Doktor der Philosophie, der Lehrer einer Gruppe junger Leute in einer der Kirchen des Ortes ist, ersucht, zu ihnen über die "Grundlagen der Alten Weisheit oder des Goldenen Fadens der Wahrheit" zu sprechen, die, wie er meint, allen großen Religionen zu Grunde liegen. Als er mit mir ganz schlicht über diesen Punkt sprach, wurde mir warm ums Herz, als ich sah, wie er spürte, daß wir uns am "Rande eines großen Erwachens" befinden, eines Erwachens, das als eine seiner vornehmsten Nebenerscheinungen "ein besseres Verständnis zwischen Ost und West" haben würde. Ein Erwachen, das in kurzer Zeit auf dem Gebiet der Religion, der Philosophie und der Wissenschaft eine erneute Anerkennung der spirituellen Werte der Welt durch die öffentlichen Vertreter und die maßgeblichen Männer mit sich bringen würde, Werte, die allzuviele Jahrhunderte lang unter dogmatischer Herrschaft verborgen waren. Mehr als irgend etwas anderes, sagte er, könnte die Erkenntnis dieser alten Tradition eine machtvolle Wirkung auf die Regeneration der Welt ausüben. Ich stimmte dem zu, indem ich sagte, daß dies die Verantwortlichkeit jedes Einzelnen sei, der die Wahrheit unserer allgemeinen spirituellen Erbschaft anerkennt.

Die Menschen aller Länder, die den spirituellen Hintergrund ihres Glaubens erforschen, ob sie einer Religion angehören oder nicht, haben die Gelegenheit, sich zu aktiven Trägern einer spirituellen Vereinigung der Nationen zu machen, wobei ein Kern einer universalen Bruderschaft verwirklicht werden könnte. In dem Grad, in dem erleuchtete Menschen ihre Verantwortung der Menschheit gegenüber erfüllen, in dem Grad werden sie etwas von unermeßlichem Wert zur Konsolidierung jener inneren Einheit des Geistes beitragen, die im Verlauf der Zeit die rechte Art des Friedens und der Verständigung mit sich bringen.

Das geistige Leben unserer Welt in der Mitte dieses Jahrhunderts wird nicht durch großartige Vortragende, durch blitzartige Effekte, durch Vorderungen nachhaltig berührt werden. Allzuviele Organisationen arbeiten heute auf diese Weise, aber ihre Bemühungen, wie aufrichtig sie auch sein mögen, laufen sich tot, weil ernsthaft denkende Menschen daran zu zweifeln beginnen, daß man die Wahrheit ohne Opfer oder "in zehn leichten Lektionen" erhalten kann. Das war niemals so noch wird es je Richtwege geben, um zur Weisheit und zu spirituellem Wachstum zu gelangen, und es wäre ein Kardinalfehler, wollte man versuchen, einen derartigen Eindruck in dem erwartungsvollen Gemüt der Allgemeinheit hervorzurufen. Wir wollen auch nicht in den Fehler verfallen, der in unserer hochspezialisierten Gesellschaft so alltäglich ist, und glauben, daß wir unser Ziel erreicht haben, wenn wir ein wohlerwogenes Gedankengebäude errichten oder eine Anzahl schwieriger Formeln auflösen, nur um gute Resultate in der Welt zu erreichen. Wir würden zu unserer Verzweiflung bemerken, daß jene so ersehnten sehr "guten Resultate" soweit ein dauernder Vorteil für die Welt in Betracht kommt, gleich Null sind. Das alte Gebot, wonach wir nicht an den "Früchten der Handlung" hängen sollen, ist übervoll an Weisheit, doch lassen wir uns meist nicht von ihm leiten. Wir handeln sogar, wie wir meinen, mitleidsvoll, aber sehr oft ist die Unterströmung unseres Handelns von dem selbstsüchtigen Wunsch gefärbt, die guten Resultate sehen zu wollen und zu merken, daß wir es gewesen sind, die dazu beigetragen haben, sie hervorzurufen. Wenn uns ernsthaft daran liegt, dienen zu wollen, müssen wir uns den ersten Grundsatz zu eigen machen: alle Handlungen auf den Altar des menschlichen Fortschritts zu legen und keinen Gedanken den Resultaten zuzuwenden, denn diese sind Sache des Großen Gesetzes, dessen Wirken weiser und gütiger ist als es der Mensch sich ausdenken kann. - "Wer ist aber unter euch, der seiner Länge eine Elle zusetzen möge, ob er gleich darum sorget?" (Matth. 6, 27)

Wir wollen uns deshalb von Phrasen und Beschwörungen fernhalten, oder aufhören, uns mit entsprechenden Gedanken auf bestimmte Zwecke zu konzentrieren. Das führt uns auf Nebenwege und lenkt uns in den meisten Fällen vom Hauptziel ab. Wahre spirituelle Wohlfahrt ist das Ergebnis der Erfüllung unserer eindeutigen Pflicht, vorausgesetzt, daß im Hintergrund und im Vordergrund unseres Bewußtseins der selbstlose Wunsch steht, der Welt voran zu helfen. Dann, und nur dann, mag ein dauernder Beitrag zu dem immerwährenden menschlichen Fortschritt gegeben sein.

Jeder Mensch muß den uralten Pfad auf seine Weise beschreiten. Daher werden die Annäherungen an unsere Verantwortlichkeit millionenfach sein. Aber die Nebenerscheinungen selbstlosen Strebens werden jederzeit, wo immer sie auftreten, zur Stärkung der Bemühungen jenes kleinen, aber mächtigen Kernes beitragen, dessen Ziel es ist, eine weitreichende, beispielhafte Erläuterung von Bruderschaft unter allen Menschen zu geben. Dadurch, daß jeder Einzelne seine natürliche Pflicht erfüllt und seiner Verantwortlichkeit nachkommt, die die seine und nicht die eines anderen ist, wird die Ausbreitung der Güte unbegrenzt sein. Sie macht nicht Halt bei den zwei oder drei Menschen, mit denen sich ein Gedankenaustausch ergibt, sondern sie pflanzt sich beständig fort. So wie sich die kräuselnden Wellen eines stillen Sees bis zur Unendlichkeit ausbreiten, ebenso wird ein aufrichtiger Austausch guter Werke die gesamte Menschheit berühren. Außerdem wird es ein echter Segen sein, weil es ein unmittelbarer Ausdruck des Guten ist und kein als Musterbeispiel fabriziertes Gegengift für die Selbstsucht darstellt, das wir mit Hilfe einer Phrase ersonnen haben, ohne daß eine Verbindung mit ihm und dem Göttlichen im Herzen von uns allen besteht.

Rechtschaffenes Handeln entspringt dem Göttlichen, dem Brunnquell göttlicher Inspiration, der uns alle anspornt. Das ist auch der Grund, weshalb sich die Wirkung einer selbstlosen Tat ad infinitum fortpflanzt und die Gemüter und Herzen der Menschen auf der ganzen Welt ruhig, und ohne daß sie es merken, berührt, indem sie dem Meer der Verständigung, das sich langsam entwickelt, etwas Wertvolles hinzufügt.

Die Zeit der Wintersonnenwende, der vierzehn Tage später Epiphania, die Weihnachts-Neujahrszeit folgt, ist eine schöne Zeit, denn tief in der Seele vollzieht sich ein Wiedererwachen von Hoffnung, Zuversicht und einem größerem Vertrauen auf das Gesetz. Überall werden die Menschen davon ergriffen, und die wahre Universalität der Zusammengehörigkeit ist ihr Zauber. Der feste Entschluß, das erneute Versprechen und die wiedererstandene Hoffnung finden weit und breit ihren Widerhall. Da dies die Jahreszeit einer Großen Geburt ist, in der sich die Heilande in allen Ländern "von Zeitalter zu Zeitalter verkörpert" haben, damit die Botschaft "Friede auf Erden den Menschen, die guten Willens sind", wieder gehört werden möchte, hat die Saat edler Anstrengung eine größere Möglichkeit, zur Reife zu gelangen, als zu anderen Zeiten des Jahres. Wollen wir unsere Stärke der aufsteigenden Kraft der Natur hinzufügen und ihr behilflich sein, ein wahrhaft neues Jahr zu gestalten.