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Das Feuer der Göttlichkeit

Vor einigen Jahren hatte ich den Vorzug Zeuge eines alten Brauches zu sein. An einem 30. April war ich in Stockholm und befand mich dort mit Freunden auf einer Abendfahrt aus einem Teil der Stadt in den anderen und dann in die umliegende Gegend. Ein riesiges Freudenfeuer nach dem anderen war angezündet worden, begleitet von dem tanzenden und singenden Volk. In ganz Schweden hatten während des langen Winters in den Städten und Weilern, in den Forsten und an den Seen Jung und Alt Unkraut und altes Zeug für die immer höher anwachsenden Scheiterhaufen beigetragen um mit Eifer auf das Entzünden der Flamme zu harren, die die Finsternis verbannen und das Licht freigeben sollte.

Entsprechend der nordischen Tradition war das Entzünden dieser Freudenfeuer ursprünglich ein heiliges Ritual: die Ansammlung des Abfalls stellte die Konzentration aller üblen und zerstörerischen Elemente dar, die ihren Einfluß während der Abwesenheit der Sonne in einem ungeheuren Ausmaß geltend gemacht hatten. In der Nacht des 30. April sollte dann der einfache Akt des Entzündens des Scheiterhaufens all die Kräfte vernichten, welche die Verwüstung und Unruhe verursacht hatten, so daß nun vom Mai an der Frühling als Vorbote von Wärme und Licht im Lande regieren konnte.

Heutzutage wird dieser Glaube meist nicht mehr beachtet; aber als wir an dieser Atmosphäre des Singens und Tanzens teilnahmen und das Auflodern der Flammen beobachteten, fühlten wir doch ein spontanes Hervortreten einer tief begrabenen Freude, ein Dankgefühl im Herzen, daß die Kälte und Melancholie eines alten Jahres endlich durch die Rückkehr der Sonne vertrieben worden war.

In diesem Jahre erlebe ich den Frühling in Holland, mit seinem entzückenden Überfluß an Krokussen, gelben Narzissen und Hyazinthen, welche die Luft mit ihrem Wohlgeruch erfüllen, gefolgt von Feldern über Feldern von Tulpen jeder Schattierung, Beschaffenheit und Form. Der Gesang der Vögel ist ein unbändiger Chor der Freude, das Nestbauen ein glückliches Unternehmen. Die "Lämmer", diese flaumig weißen Schafkinderchen, sind einen Monat alt und jetzt ist - abgesehen von einer kleinen Anzahl von Bäumen, deren Blätter sich noch in der Knospe befinden - die Jahreszeit der Schönheit und Lieblichkeit eingezogen.

Ob es nun ein Maibaum ist, um den die Kinder tanzen und springen, oder ob es jene ungeheuer großen Bäume Bayerns sind, die in den Himmel ragen und in deren Rinde die so manigfaltigen Symbole der menschlichen Mühe und Plage geschnitzt worden sind, man erkennt doch in den Völkern eines jeden Landes den gleichen Drang, nämlich dafür Dank zu sagen, daß die Dunkelheit des Winters vorbei ist und das befruchtende und kraftspendende Licht der Sonne wieder herrscht.

Zur Zeit sind negative und zerstörende Kräfte am Werk, Mächte, welche die Menschheit im Dunkel und in der Kälte von Haß und Habgier begraben halten. Aber die Kräfte des Lichtes, der Freiheit und Ehrlichkeit sind ebenfalls am Werk, und jeder von uns hat die Möglichkeit, sich mit diesen oder mit den zerstörenden Kräften zu verbinden. Wir sollten auch nicht so isolationistisch sein und glauben, daß die Weltprobleme nicht unsere eigenen sind, oder daß das, was wir mit unserem individuellen Leben beginnen, nicht das Weltbewußtsein beeinflußt. Wir sind physisch abhängig von dem, was wir wissen; aber wichtiger ist jedoch, daß wir mental und spirituell ein Teil des pulsierenden Lebens der Menschheit sind und daß wir durch das, was wir sind, den Scheiterhaufen der Verwüstung und des Abfalls der anderen vergrößern, oder im umgekehrten Fall zu dem Licht und der Wärme des Fortschritts der Menschheit beitragen.

Jahr für Jahr wiederholt die Natur ihre Botschaft: der Frühling kann nicht bestehen bleiben und auch nicht die Fülle des Sommers; die Ernte des Herbstes muß kommen und darauf der Winter folgen. Es wird unzählige Winter im Leben des Menschen geben; es wird lange dunkle Nächte der Qual geben, wenn die Asche der Unzufriedenheit, des Selbstinteresses, der Verzweiflung versucht, die Seele zu ersticken. Aber nach jeder Winternacht gibt es die Hoffnung auf das Tageslicht, auf einen auferstandenen Frühling. Die Runde der Jahreszeiten ist die äußere Bühne, die Seele ist der Schauspieler - und ihr Partner.

Wenn wir unser Menschentum so weit entwickelt haben werden, um die Furcht und Habgier unserer winterlichen Natur in das Feuer der Disziplin zu werfen, dann wird ein Freudenfeuer von Weltbedeutung entzündet werden können. Dann wird der Mensch so oder so, im Winter oder Sommer, im Frühling oder Herbst entdecken, daß die Schlacke der Selbstsucht und Tyrannei, durch das Feuer der Göttlichkeit verzehrt werden kann.