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Raum, Bewegung, Zeit und Substanz

In einem Sandkorn sieh die Welt,

den Himmel im Blütengrunde,

Unendlichkeit in deiner Hand

und Ewigkeit in der Stunde.

- William Blake, Auguries of Innocence

 

 

 

Das Universum ist ein Ganzes, aber es erscheint uns derart unterschiedlich, daß wir meinen, es gäbe eine Vielzahl getrennter Teile. Für uns liegt die Schwierigkeit darin, zu verstehen, wie das Eine - ob wir uns dieses Eine nun als Gott, Göttlichkeit oder als Erste Ursache vorstellen - zum Vielen werden kann, d. h. zu der unbegrenzten Vielfalt von Wesenheiten, die wir um uns sehen. Würden wir die Tatsache besser begreifen, daß in allen Dingen ein inneres Wirkungsvermögen existiert, auch wenn es noch nicht in Erscheinung getreten ist, aber daß diese Kraft vielmehr in einem subjektiven Zustand besteht, in einer Energiefrequenz, die jenseits unserer Sinneswahrnehmung liegt, dann könnten wir den Planeten, auf dem wir leben, als ein Gefüge aus miteinander verketteter Wesenheiten sehen, das auf das Eine in den Vielen hinweist. Das bedeutet, daß die vielen Wesen, die die Welt bilden, Verkörperungen einer kosmischen Hierarchie von Intelligenzen sind, die aus göttlicher Essenz bestehen. Würden wir weiterhin die Erdkugel als Element eines Magnetfeldes von riesiger Ausdehnung betrachten, dann müßten wir richtiger sagen, daß die Erde, auf der wir leben, tatsächlich ein Feld ist und nicht eine felsige Kruste.

Vier der wichtigsten Dinge, die für unsere Betrachtung des Universums und alles dessen, was darin ist oder es umschließen, wesentlich sind, sind Raum, Bewegung, Zeit und Substanz. In der westlichen Welt werden diese Begriffe anders betrachtet als es die klassischen und die östlichen Denker tun.

Der Westen sieht den Raum hauptsächlich als einen Behälter für die Wesenheiten, sowohl für die organischen oder "lebenden" Wesen als auch für die anorganischen, "unbelebten" Mineralien. Bewegung wird betrachtet, als bestünde ihre Hauptbedeutung für uns darin, sie zur Kenntnis zu nehmen: Durch unsere Beobachtung, daß die Himmelskörper sich bewegen, wie es die Planeten um die Sonne tun, oder wie es beim Kreisen der Sterne und ihrer Begleiter um einen Mittelpunkt in ihrer Galaxie der Fall ist. Vielleicht ist der Anlaß für unser Interesse auch die Bewegung, die durch unsere Maschinen erzeugt wird. Zeit wird gewöhnlich als die Aufeinanderfolge von Augenblicken angesehen, die wir von der Drehung des Planeten um seine Achse ableiten; wir messen und unterteilen sie und nennen sie dann Sekunden, Minuten, Stunden, Tage (oder Jahre, wenn wir uns auf die Abschnitte seiner Reise um die Sonne beziehen). Substanz wird ganz allgemein als die Hauptsache des Lebens betrachtet. Sie ist nicht mehr als die Anhäufung von materiellen Partikeln in einem Prozeß, der zufällig begann, sich dann aber in Übereinstimmung mit den "Naturgesetzen", weiter entwickelte.

Einige Philosophen haben zu diesen Themen Stellung genommen und ihre Folgerungen größtenteils auf Spekulationen begründet, die sie durch Argumentation untermauerten; andere, die auf den Forschungen der modernen Physiker und Mathematiker aufbauten, vertrauten nur den Sinnen und der Fähigkeit der Beweisführung. Die Erscheinungen der Natur so zu analysieren ist jedoch nur auf einen begrenzten Teil des Gesamtspektrums oder Bereiches aller Energien beschränkt, von denen wir annehmen müssen, daß sie in unaufhörlicher Folge in einem Wellenband um uns tätig sind, wobei das eine Band in das andere übergeht. Die einzelnen technischen Vorgänge, die wir beobachten oder denen wir nachforschen, lassen uns oft das Wesentliche der Probleme, die uns die Erscheinung bietet, nicht erkennen. Dieses Wesentliche ist nichts anderes als das Universum, wie es wirklich ist. Andere Philosophen haben jedoch genauer über diese Dinge geschrieben, und obwohl viel Spreu mit dem guten Weizen des metaphysischen Denkens vermischt wurde, hat dennoch das Weizenkorn, nachdem es vom übrigen getrennt wurde, einen zuverlässigen Wert.

Bevor die Metaphysik in den letzten Jahrhunderten unrealistisch wurde, galt sie als vernunftgemäße Untersuchung der Eigenart der ersten Prinzipien. Sie ging den Fragen bis zur letzten Ursache nach, wagte sich in immaterielle oder vielmehr unkörperliche Bereiche der Spekulation, wenn die Suche nach Wahrheit dahin führte. Dieser Zweig der Philosophie befaßt sich demnach mit der Erforschung des Seins und mit dem Aufbau des Universums. Das Wort selbst stammt aus der transzendentalen Aristotelischen Philosophie, weil es sich aus den Arbeiten Aristoteles' über die Physik ergab. Wir sollten jedoch daran denken, daß für die alten Griechen physis die Natur als Ganzes bedeutete, die sowohl die Intelligenzen oder die Götter als auch die materiellen Bereiche einschließt.

Wenn wir uns nun wieder unseren vier Hauptthemen zuwenden, so sahen die Metaphysiker der alten Zeiten und auch jene im Osten, die uns zeitlich näher sind, den Raum als die Quelle allen Lebens und aller Lebensformen, gleich einer Mutter, die der Kanal ist, durch den ihre Kinder in ihre irdische Existenz eintreten. Diese Auffassung steht im Gegensatz zu der Ansicht der heutigen Denker, daß der Raum ein Behälter sei. In diesem Sinn wurde das, was unserem wissenschaftlichen Denken wie Leere erscheint, von ihnen als Fülle angesehen: Eine unbegrenzte Schöpferkraft der "Natur", die riesige Mengen von Wesenheiten hervorruft, vom kleinsten, das wir uns vorstellen können, bis zum größten. Die alten Griechen betrachteten z. B. die Bewegung als erste Lebensäußerung an jedem beliebigen Punkt des Raumes, wo irgendein kleines oder großes Universum zur materiellen Existenz kommen sollte. Unbelebte Materie war diesen Metaphysikern unvorstellbar, die den Planeten und Sternen Göttlichkeit zuschrieben, weil sie sich bewegten. Das ist die eigentliche Bedeutung des Wortes theoi, "Götter", das von der Wurzel "sich bewegen" abgeleitet ist. Bewegung setzt Bewußtsein voraus, das die Bewegung in Gang setzt, und der Stoff antwortete dem Impuls, sich zu bewegen. Plato bezeichnet die Materie als das Gefäß für den geplanten Entwurf des gestaltenden Impulses und damit als die Nährmutter aller nachfolgenden Manifestationen.1

Zeit ist eine Art von Bewegung, das Fortschreiten der Wesen, wenn sie die innewohnenden Aspekte, die aus ihrer Natur durch innere und äußere Erfahrungen hervorgerufen werden, nacheinander zum Ausdruck bringen. Wir sind gewohnt, uns die Zeit als eine Folge von bestimmten Längen vorzustellen, in die wir sie eingeteilt haben. Aber vielleicht würden wir sie besser verstehen, wenn wir die Zeit als einen ununterbrochenen Zusammenhang betrachten würden, als ein fortgesetztes Dahinfließen, das wir Dauer nennen können. Dann würden wir die Zeit nicht als eine Art Dimension betrachten, sondern als den Lauf eines Wesens durch seine Erfahrungen. Heraklit, der frühgriechische Philosoph, sah z. B. daß Wechsel alle Dinge, alle Wesen beeinflußt, und daß die Zeit daher wie ein Fluß ist, in den man nicht zweimal steigen kann - der Fluß ist derselbe, aber ein Wassermolekül folgte dem anderen, wenn sie von ihrer Quelle in den Bergen zum Meer hinabfließen.

Für Plato war es, als bewege sich die Zeit mit dem Anschein der Ewigkeit - was Dauer im obigen Sinn bedeutet. Er bezog sich dabei auf eine Art vollkommene Uhr, die die Kreisläufe der Himmelskörper anzeigt. Es gäbe keine Zeit, wenn es nicht dieses Modell oder diese subjektive zyklische Gesetzmäßigkeit gäbe. Anstatt die Zeit als Bewegung in gerader Linie zu sehen, die von der Vergangenheit durch die Gegenwart in die Zukunft verläuft, stellte er sie sich vielmehr als regelmäßig wiederkehrende kreisförmige Bewegung vor, die eher an eine Spirale erinnert als einen Bogen, der immer wieder zu demselben Ausgangspunkt zurückkehrt.

Wenden wir uns der Substanz zu: Wir können sie uns als den Rohstoff vorstellen, aus dem die verschiedenen Arten von Bewußtseinsträgern gemacht sind, vom ätherischsten bis zum dichtesten Material. Jedes kleinste Stoffpartikel ist die äußere Hülle einer lebenden Wesenheit, wobei die uns bekannte Materie nur als ein Spektrum aus all den möglichen Energiefrequenzbereichen anzusehen ist - nur als eine Oktave oder vielmehr Siebenheit aus den vielen. Im unendlichen Universum muß es eine unbegrenzte Ansammlung materieller Einheiten geben; und Wesenheiten, die uns wie reine Materie erscheinen, können für den Betrachter jenseits unseres Horizontes sehr wohl als immateriell erscheinen. Außerdem können sie sich auch unter dem vorantreibenden Einfluß der Bewußtseinsträger, die sie benützen oder bewohnen, in einem Vorgang der Vergeistigung befinden.

Die modernen Philosophen übersehen oft die eigentliche Beschaffenheit der Substanz und setzen die einseitige verstandesmäßige Analyse fort, mit der man in einigen Schulen zur Zeit der alten Griechen begonnen hatte. Sie prüfen die Objekte nach ihren Eigenschaften oder Merkmalen (bei Aristoteles ousia), und weil sie nur unsere eigene Materie kennen, verwenden sie diesen Ausdruck als Synonym für Substanz. Einige Philosophen haben jedoch den alten Begriff von "Essenz"2 übernommen, was tatsächlich ein anderer Ausdruck für inneres Bewußtsein ist. Wenn das Bewußtsein aber die Eigenschaft hat, alles zu durchdringen, dann kann man sich auch vorstellen, daß die Substanz ebenfalls eine solche Ausdehnung mit unbegrenzten Möglichkeiten des Seins und der Wirksamkeit besitzt. Wenn wir die inneren Eigenschaften der Wesenheiten betrachten, so sieht man, welche Aspekte sie von sich selbst zum Ausdruck bringen. Die Materie erscheint dann nur als eine Facette des vielfach geschliffenen glitzernden Juwels, das wir Substanz nennen.

Diese Betrachtung erweitert unsere Anschauung vom universalen Leben, und uns wird klar, daß es das darstellt, was wir "Geist-Materie" nennen können, d. h., die beiden Pole des Bewußtseins, das sich in Formen mit verschiedenen Eigenschaften und aus verschiedener Substanz verkörpert. Anstatt eines unbelebten Kosmos aus einer Unmenge von Materieteilchen, die in Art und Größe unterschiedlich zusammengesetzt sind, sehen wir dann eine dynamische und riesige Menge lebender Wesenheiten, die den unbegrenzten Raum anfüllen. Sie existieren auf den spirituellsten Daseinsebenen oder Welten bis hinunter zu den materiellsten. Es gibt nirgendwo auch nur eine einzige leere Stelle; jeder stecknadelgroße Punkt wird von einem Wesen ausgefüllt, das belebt und beseelt ist. Dieses Bild erweitert unsere Vorstellung von Entwicklung, nämlich die Entwicklung der Fähigkeiten vom Innern jeder Wesenheit nach außen, vom Zentrum in die Erscheinung. Es ist ein Schritt-für-Schritt-Wachstum der Form-Geber im Innern der Formen. Es kommt fast der materialistischen Auffassung vergangener Generationen gleich, daß die Körper aus sich selbst heraus verfeinerte Körper entwickeln. Wenn nun jeder einzelne Träger oder jede Hülle, die aufeinander folgen, dichter ist als die vorhergehenden, dann muß notwendigerweise eine Zeit kommen, wo die äußerste Grenze der zusammengedrängten Stofflichkeit erreicht ist. Die Körper werden dann in einer dementsprechenden Reihenfolge weniger dicht oder in dem Maße ätherischer, wie sie die Verfeinerung des Wesens in ihrem Innern zum Ausdruck bringen.

Der hier aufgezeichnete Vorgang leitet sich von einer Philosophie ab, die Teil einer alten Überlieferung ist und die Evolutionstheorie bestärkt. Wenn die inneren Bewußtseinszentren ihre Anlagen durch materielle Hüllen zum Ausdruck bringen, dann haben wir die materielle Evolution oder die Entfaltung der inneren Eigenschaften. Gleichzeitig findet die spirituelle Involution statt, die von höherer Qualität ist, sie geht nach innen. Ist die äußerste Grenze erreicht, dann vollzieht sich der Vorgang umgekehrt. Dann haben wir die materielle Involution, die mit der spirituellen Evolution einhergeht. Philosophisch bedeutet das einen pulsierenden Kosmos, der der ein- und ausatmenden schöpferischen Gottheit der Hindu-Metaphysiker gleicht. Astronomisch ausgedrückt kann er als Das Oszillierende Universum verstanden werden, wie ihn S. Opik vor Jahren in seinem Taschenbuch nannte. In solchem Zusammenhang sind für ein übergalaktisches Wesen Milliarden unserer Jahre wie ein Augenblick, und die Rückkehr zum Ausgangspunkt bedeutet nicht, daß sich eine kreisförmige Bewegung schließt, sondern daß der oberste Punkt eines spiralförmigen Laufes erreicht ist. Die unzähligen Familien, die aus den Wesenheiten zusammengesetzt sind, stammen aus der einen Quelle allen Lebens. Ihre ineinandergreifenden Verwandtschaften sind die Bindungen einer das Universum umspannenden Bruderschaft. Sie reisen gemeinsam durch die Bereiche des Raumes, bewohnen ein Haus nach dem anderen, bauen diese Wohnungen sogar aus sich selbst, wenn sie aus den Erfahrungen der neuen Zustände lernen. Ihr Aufstieg muß allmählich vor sich gehen, keine Sprosse der Leiter darf dabei übersprungen oder ausgelassen werden. Währenddessen gehen die gröberen Bereiche der Selbstverwirklichung in die feineren über. In einem tieferen Sinne als es zunächst erscheint, kann die Entwicklung als allgemeiner Plan von kosmischem Umfang und als "selbstgesteuert" betrachtet werden. Wir Menschen entwickeln z. B. unsere begrenzten Möglichkeiten nur durch die Hindernisse, die wir uns selbst in den Weg gestellt haben.

Die wichtigste Überlegung ist zweifellos die Verkettung aller Familien mit ihren Einzelwesen, wenn der verborgene göttliche Funke des Seins im innersten Herzen eines jeden aufleuchtet. Dieses Ziel zu erkennen, bezweckt die Natur, die sich in immer größeren Intelligenzen zum Ausdruck bringt. Diese Intelligenzen sind gleichzeitig Kräfte, die im Hintergrund das planetarische Leben leiten. Wahrscheinlich kann man die bedeutungsvollen Verse von William Blake, die diesem Artikel vorangehen, in der angedeuteten Weise auslegen. Mit Recht kann man die Relativität, die durch Beobachtung und Experiment erhärtet worden ist, als Kind der theoretischen Physik ansehen. Sie kann aber auch philosophisch angewandt werden, wenn sie über die begrenzten Regeln in die Poesie übergeht.

Lesen wir Blakes Verse und denken wir einen Augenblick an den Aufbau eines Sandkorns: Nichterechenbare Scharen von Atomen sind in Molekülen zusammengefaßt; man kann sie nicht einmal schätzen. Betrachten wir die mikroskopisch kleinen Organismen, die auf und in der Haut unserer Handfläche gedeihen; für jede Partikel bedeutet das, was für uns eine Minute ist, ein riesiges Zeitalter. Was werden wir dann erst über die möglichen ultramikroskopischen Bewohner einer elektronischen "Welt" im Innern des Atoms sagen? Eine Sekunde unserer Zeit würde sicher wie eine Milliarde Jahre für sie sein. Und der Himmel in einer wilden Blume - ein Bewußtseinszentrum, das sich ohne Einschränkung in Schönheit ausdrückt und voller Verlangen sich ganz selbstverständlich der Sonne am Himmel öffnet, die das Urbild der Sonne in ihm selbst ist - ist das nicht wie die Unendlichkeit in unserer Hand und die Ewigkeit in einer Stunde: Hinweise auf die Einheit allen Lebens in den vielen äußeren Ausdrucksformen, die so getrennt erscheinen?

Fußnoten

1. Siehe Timaios, Kap. 13, im griechischen Bekker-Text, und die Henry-Davis-Übersetzung; 36D-38B in der Benjamin-Jowett-Übersetzung. Ich fand die Thomas-Taylor-Übersetzung sehr einfühlsam, weil sie die inneren und äußeren Aspekte der sich manifestierenden Schöpfung gut ausbalanciert. Die Abschnitte sind in seiner Ausgabe jedoch nicht numeriert. [back]

2. Sie definieren sie als "die Eigenschaften, die gemeinsam das verkörpern, was sie ihrem Wesen nach wirklich sind." [back]