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Was ist der Mensch?

Der Mensch ist vor allem ein Denker. Während die verschiedenen Pflanzen- und Tierarten in ihren physischen Körpern viele Besonderheiten weiterentwickelt haben, ist der menschliche Körper in seiner Art im wesentlichen rudimentär geblieben. Ja, er besitzt fast alle wichtigen Fähigkeiten aller Pflanzen und Tiere, aber ohne die oft übermäßige Entwicklung einer bestimmten Fähigkeit auf Kosten anderer Fähigkeiten. Ein Pferd oder ein Hund kann z. B. leicht dem Menschen davonlaufen. Aber keines von beiden ist in der Lage, die schwierigen Bewegungen der menschlichen Hand auszuführen.

Die bemerkenswerte Ausnahme dieser Regel ist das menschliche Gehirn. Dieses physische Organ ist komplexer und im Verhältnis zur Körpergröße weitaus größer als das Gehirn irgendeines Tieres. Manche materialistisch eingestellten Biologen behaupten unter Hinweis auf diese Tatsachen, daß dieser wunderbare Denkapparat durch rein physische Operationen die "Illusion" des Selbstbewußtseins in uns erzeugt, daß wir ein wirkliches, von unserem Körper unabhängiges Wesen wären. Tatsächlich könnte man mit gleicher Logik und wahrscheinlich viel größerem gesunden Menschenverstand vorschlagen, daß es sich gerade umgekehrt verhält. Wegen unseres Selbstbewußtseins entwickelten wir Menschen das physische Gehirn und den physischen Körper, die notwendig sind, um jenes Bewußtsein in der materiellen Welt verwerten zu können. Deshalb wird das Gehirn zu einer Art Transformator in der menschlichen Konstitution, der die feineren und primären Aktivitäten des Bewußtseins heruntertransformiert, so daß sie in Aktivitäten innerhalb der physischen Welt umgesetzt werden können.

Für die Erfüllung dieser Rolle muß das Gehirn natürlich eine 'Sprache' oder ein Arbeitsmittel haben, irgend etwas, das gebildet werden kann, um die Absichten des Bewußtseins in die konkrete Wirklichkeit hineinzutragen. Unsere Gedanken bilden dieses Mittel. Natürlich müssen sich diese Gedanken in Qualität, Ausmaß und Kraft sehr wandeln. Man könnte z. B. sagen, wenn der menschliche Körper auf der physischen Ebene das Ergebnis des evolutionären Impulses ist, der in dem menschlichen Bewußtsein entsteht, dann wird er in der Tat zu einem besonderen Zustand des Bewußtseins. Oder mit anderen Worten, der Körper könnte als die verfestigten oder erstarrten Gedanken der selbstbewußten Wesenheit angesehen werden, die sie erzeugte.

Aber welche Konsequenzen ergeben sich aus einer solchen Betrachtungsweise? Zu allererst erkennt man die völlige Nutzlosigkeit der alten und schnell sich verlierenden Vorstellung, daß der Mensch im wesentlichen sein Körper sei und daß er deshalb seine Energien bevorzugt oder sogar ohne Rücksicht anderen gegenüber auf sein eigenes Wohlbefinden konzentrieren sollte. Diejenigen, die dieser materialistischen Selbstbezogenheit zum Opfer fallen, können häufig zum Gefangenen ihres Körpers werden. Sie sind durch den erdrückenden engen Interessenkreis eingeschlossen, über den ein wirklich selbstsüchtiger Mensch nicht hinaussehen kann. Wenn wir uns aber vergegenwärtigen, daß wir im wesentlichen Bewußtsein sind, daß wir das immer waren und immer sein werden und daß jedes Wesen im Universum mit uns einen gemeinsamen göttlichen Ursprung hat und daß sich alle miteinander entwickeln, um jene grenzenlose göttliche Möglichkeit immer mehr und mehr zu verwirklichen - welch unvorstellbar weite und wunderschöne Aussichten eröffnen sich uns dann! Wir beginnen uns von den Begrenzungen unseres persönlichen Ich loszureißen und fangen statt dessen an, in der Freiheit unseres universalen Selbst zu leben. Wir beginnen, unsere Mitmenschen nicht als Konkurrenten um dieselben begrenzten materiellen Mittel zu sehen, sondern als spirituelle Brüder, die sich zu dem gleichen zeitlosen kosmischen Abenteuer aufmachen, um ihre innere Göttlichkeit zum Ausdruck zu bringen und selbstbewußt zu dem zu werden, was sie hervorgebracht hat. Wie können wir dann noch dem Leiden anderer unseren Rücken zukehren, der schrecklichen Einsamkeit einer menschlichen Seele, die sich unbewußt nach der Vereinigung mit ihrer universalen Essenz sehnt und noch unfähig ist, sich vollständig zu erinnern, warum sie durch ein rein persönliches Leben keine Zufriedenheit findet?

Was also ist ein echter Mensch? Einer, der nicht für sich selbst, sondern für alle lebt. Er kennt das Herzeleid und die Mühen seiner Brüder, weil sie seine eigenen sind. Er kennt viel äußeres Versagen, weil er unvollkommen ist und seine Ideale weit großartiger sind, als er bereits jetzt durch sein Leben zum Ausdruck bringen kann. Aber er verzagt niemals, denn wenn er seinen Bruder unter den Lasten des Leidens erkennt, strahlt er spontan seine innere spirituelle Liebe aus - weil er selbst diese Liebe wird.