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Auf der Suche nach Freiheit

Der Mensch begann schon im Garten Eden nach etwas zu suchen. Er wollte "Gut und Böse" erkennen, um frei von äußerem Verlangen und sogar frei und unabhängig von seinem Schöpfer zu sein. Doch obgleich er nun heute über unbegrenzte Macht verfügt, scheint er doch noch durch seine eigenen Neigungen und durch Umwelteinflüsse beherrscht zu werden und daher unfrei zu sein. Deshalb sucht er umso entschlossener das Rätsel der Freiheit zu lösen, als müßte er es jetzt oder nie schaffen. Es ist zweifellos an der Zeit, dem Begriff Freiheit als Vorläufer einer sozialen Reform einmal nachzugehen. Beide stehen in Beziehung zu einander, denn die erste Bedingung für Freiheit ist der Wille, selbst besser zu werden: eine soziale Handlung, die mit Veränderungen im Inneren jedes Menschen beginnt.

Es ist selbstverständlich möglich, daß der Mensch auch mitten in Kriegszeiten, in Not und unter Entbehrungen, sich durch innere Anstrengung über seine Sorgen erheben kann. Seine Gedanken können sich ohne Rücksicht auf äußere Umstände in die reine Luft der Freiheit emporschwingen. Die vielen Beispiele edlen Denkens in Konzentrationslagern und Gettos beweisen, daß es dem Menschen möglich ist, über den physischen Begebenheiten zu stehen. Man kann sogar beobachten, daß Armut im allgemeinen als Nährboden für das glühende Ideal der Freiheit günstiger ist als Reichtum. Reichtum und Behaglichkeit hemmen und verleiten den menschlichen Geist oft in größerem Maße als Armut und Leid. Wirklich frei sein bedeutet, die äußeren Verhältnisse, seien sie günstig oder ungünstig, zu meistern. Es bedeutet, man selbst zu sein. Wir können äußerlich frei sein oder nicht, doch unüberwindlich sind wir, wenn wir innerlich frei sind.

Wann ist ein Mensch so frei, er selbst zu sein? Er ist Herr im eigenen Haus, wenn er bei seinen eigenen Fähigkeiten des Wollens, des Fühlens und des Denkens Harmonie erlangt hat. Wenn er automatisch auf einen Reiz reagiert, handelt er ohne Kontrolle über seinen eigenen Willen; und an einer solchen Reaktion ist der Mensch offensichtlich nur wenig beteiligt. Doch das menschliche Verhalten wird von der allgemein üblichen Psychologie immer noch mit der Theorie von Anreiz und Reaktion erklärt. Diese Theorie mag für Automaten gelten, aber sie verleugnet geradezu die Voraussetzung für die menschliche Freiheit: daß der Mensch nämlich selbst eingreifen und zwischen Anreiz und Reaktion wählen und entscheiden soll. Die Anreiz-Reaktionstheorie läßt den wahren Menschen und seinen Aufstieg zu höheren Werten unbeachtet. Indem Äußerlichkeiten viel zu viel Wert beigemessen wird, geht der Blick für das geistige Streben, für den entscheidenden Kampf des Menschen mit sich selbst verloren, was für seine Selbstüberwindung dringend erforderlich ist.

Die besten Führer, die der Mensch auf der Suche nach seinem höheren Selbst finden konnte, dem einzigen Selbst, dessen Wille für den Menschen wirklich maßgebend und für die Welt richtungweisend ist, waren immer die Begriffe von Opfer und tätiger Hilfe für die Menschheit. Wenn der Mensch nicht bereit ist, seine begrenzte Überlegenheit zum Wohle der Allgemeinheit, das wichtiger ist als er selbst, zu opfern, dann ist er dazu verurteilt, Selbstverherrlichung zu erstreben, die immer mit der Selbst-Vernichtung endet. In der Vergangenheit versuchten die großen Religionen immer wieder, menschliche Vereinigungen zu schaffen, die das Licht und die Macht solcher Ideen wie Wiedergeburt dadurch vermittelten, daß sie sich dieser Aufgabe hingegeben haben. Heute muß jeder Mensch diese Ideale selbst von neuem entdecken, wenn wir nicht durch Willenlosigkeit in Trägheit ertrinken wollen oder unser Wille mit Gewalt vernichtet werden soll.

Unbeherrschte Gemütserregungen können einen Menschen am Denken hindern, so daß er sich nicht mehr objektiv entscheiden kann. Seine gefühlsmäßige Reaktion wird dann so automatisch und gedankenlos wie eine Reflexbewegung. Beide sind "programmiert." Abscheu und Haß oder unwiderstehliches Begehren und Verlangen hindern den Menschen, bewußt seine Entscheidungen selbst zu treffen. Wenn er diesen Emotionen nachgibt, verliert er seine ihm eigene Individualität. Echtes Gefühl zwingt nicht, beherrscht den Willen nicht, sondern stärkt ihn. Warmherzigkeit schaltet die Vernunft nicht aus, sondern bereichert sie, stärkt das Erkenntnisvermögen. Ohne Herzlichkeit kann es kein Zwiegespräch geben; Mensch und Natur können nur durch freundliche Begegnung richtig erkannt werden. Das "Ich" muß durch Herzenswärme mit dem "Du" verbunden werden.

Frei denken heißt alles Stereotype und Althergebrachte überwinden; auch örtliche Begrenztheit, Eigeninteressen, Nationalismus und jedweden durch Feudalsystem ausgeübten Druck. Man muß überlegen, wie das reine Ideal schöpferisch und wirksam in die Tat umgesetzt werden kann. Um uns wirklich selbst zu erkennen, müssen wir unseren Hang zur Selbstliebe überwinden. Mit Hilfe der dadurch erlangten richtigen Erkenntnisse kann der Mensch die Gebote seines höheren Selbstes ausführen; er kann ritterlich und gerecht handeln.

Auf dieser Erfahrungsstufe kommt unsere Intuition zum Erwachen. Wer nur den Intellekt gebraucht, entfremdet sich seiner Umwelt und ist nur ein Zuschauer des Lebens. Sein Denken gefriert zu starren Formen und seine Kälte ist der Anfang des Verfalls. Ein solcher Mensch steht mitten im Drama des Lebens, ohne seine Rolle richtig zu spielen. Doch wenn Intellekt und Intuition sich vereinen, dann kommt es durch dieses harmonische Verhältnis zu Weisheit, Freiheit, Liebe und schöpferischer Kraft - und das alles gewährleistet menschlichen Fortschritt.

Das Ziel einer erleuchteten Zivilisation liegt in einer Gesellschaft freier Individuen, die imstande sind, sich in kritischen Momenten über inneren wie äußeren Zwang zu erheben. Das zu erreichen ist die Aufgabe, die schon im Garten Eden begonnen wurde. Über den Dingen zu stehen, ist heute das Ziel vieler, die es wagen, Fragen zu stellen. Fragen haben bedeutet, den Blick für das richtige Verhältnis der Dinge zu suchen; heißt, nach dem Anfang und dem Ende Ausschau halten. Der suchende Mensch wird den Schmerz und die Freude der Stunde in seiner Seele spüren; er beginnt, seinen eigenen Weg einzuschlagen und Verpflichtungen gegenüber der Gemeinschaft zu übernehmen.

Wir stehen am Anfang eines Zeitalters, in dem Freiheit erlangt werden kann. Die äußeren Beschränkungen durch Familie, Religion und gesellschaftliche Vorschriften verschwinden immer mehr. Dadurch ist es dem Menschen möglich, seine eigenen Entscheidungen zu treffen. Er wird nun aufgefordert, auf dem schmalen Grat der Freiheit zu gehen, der sich über dem Abgrund der Selbstlosigkeit auf der einen Seite und der Selbstsucht auf der anderen erhebt. Doch die Macht der Selbstbestimmung erfordert tiefes Verständnis, Erkenntnis, die nur durch eine sinnvollere Erziehung erlangt werden kann, als sie jetzt allgemein geboten wird.

Wie aber sollen freie Menschen erzogen werden? Sicherlich muß das jetzt allgemein angewandte stereotype Lehren nach einheitlichen Normen vermieden werden. Die Anhänger der heutigen Lehrmethoden sind nicht einmal gewillt, anzunehmen, daß es möglich ist, einen freien Menschen zu erziehen, der imstande ist, unvoreingenommen zu sein und über den Dingen zu stehen. Sie würden lieber das ganze Leben nach ihren Vorstellungen vom guten Leben programmieren und Gelegenheit und Verantwortung in Abrede stellen. Ob dieser Zustand nun durch Programmierung oder durch Drogen zustande kommt, niemals kann das, was den Menschen zum Menschen macht, damit erweckt, ermutigt oder gefördert werden: das freie Handeln. Wenn man uns die Bürde der Wahl abnimmt, dann werden wir etwas, das zwischen Mensch und Maschine steht.

Entgegengesetzt zum programmierten Unterricht und eigenartigerweise doch eng damit verbunden, ist ein ganz anderer, neuer Impuls in der Erziehung: die freie Erziehung. Er appelliert an das Beste, was die Lehrer geben können. Dieser Unterricht lehnt erfreulicherweise die strenge autoritäre Erziehung ab, bietet aber auch keinerlei methodisches Verständnis für die Wechselbeziehungen des Wissens. Er baut oft auf Freiheitsbegriffen auf, die gefährlich sein können, weil sie nur Halbwahrheiten sind. Obgleich Emotionen eingeschlossen sind, geht er nicht über die Vermittlung des traditionellen Wissens hinaus, was letzten Endes die Kinder immer wieder tief enttäuschte. Dieser Unterricht beläßt die Kinder in einem beengten Horizont und hilft ihnen auch nicht, Verständnis für die höhere Natur im Gegensatz zur niederen Natur des Menschen und für das Leben überhaupt zu finden.

Wenn man Freiheit mit schneller Entwicklung verwechselt und Wissen als Werkzeug der Macht ansieht und nicht als Tor zur Einsicht, wo Liebe den Vorzug hat, dann vermittelt man dem Kind nicht das Gefühl für tiefe Bewunderung und Dankbarkeit. Wenn alles Wissen für selbstische Zwecke benützt wird, wird auch die Tendenz zu unsachlichen Vorurteilen entstehen. Dieser unkluge Subjektivismus ist für die objektive Welt genauso schädlich wie der behavioristische Objektivismus für die menschliche Seele tödlich ist.

Oberflächliche Herzlichkeit, entstanden aus Sentimentalität, führt nicht zu wahrem Selbstbewußtsein. Der Appell der freien Erziehung gilt eher der Selbstbefriedigung als der Selbstüberwindung und, tun was man möchte, ist, wie man sehen konnte, keine Freiheit. Voller Hingabe das zu tun, was recht und wahr ist, führt eher zum Ziel.

Programmiertes Lehren und auch der freizügige Unterricht: beiden fehlen die Eigenschaften, die erforderlich sind, um freie Menschen zu erziehen. Es wäre besser, eine Erziehung zu haben, die uns zeigt, wie Freiheit aus Liebe zur Welt und aus dem Wunsch, ihr zu dienen, entsteht.

In erster Linie müßte Ehrfurcht gelehrt werden, und zwar auf allen Gebieten; Ehrfurcht vor dem Menschen und auch gegenüber der Natur. Abraham Heschel hat es mit folgenden Worten ausgedrückt: "Am Beginn der Ehrfurcht steht Staunen, und der Beginn der Weisheit ist Ehrfurcht." Bei jedem Schritt des Lernens muß das Herz für einen bestimmten Eindruck geöffnet werden. Wenn nur der Intellekt ausgebildet wird, wird die Wirklichkeit entstellt. Wenn das Mitgefühl wachsen soll, so muß es aus den tiefen Bereichen des Herzens kommen, das die Bruderschaft von Mensch zu Mensch und vom Menschen zur Natur kennt.

Versuchen wir es mit einem Beispiel: Man kann in der ersten Klasse Rechnen lehren, indem man Dinge zusammenzählt, die weder für den Lehrer noch für die Kinder eine Bedeutung haben. Versucht der Lehrer jedoch, Verstand und Herz des Kindes anzuregen, so könnte er seine Rechenstunde auch mit einer Orange beginnen. Für die lebhafte Imagination des Lehrers und der Klasse ist sie dann nicht mehr nur eine Orange. Sie wird zur Verkörperung der Welt und einer vereinten Menschheit. Der Lehrer schält die Orange ab - ein interessanter Vorgang. Ihre Hälften stellen die Halbkugeln dar: das Ganze ist jetzt getrennt und zu zwei Hälften geworden: die Kinder werden mit der Zahl 'zwei' bekannt gemacht, indem das Ganze geteilt wird. Schließlich werden die Orangenschnitze von einander gelöst. Jede einzelne Scheibe stellt nun eine Nation dar. Jede existiert wirklich für sich allein, und dennoch wurde klar gezeigt, daß die Orange ein Ganzes ist. Genauso ist es mit den Menschen, sie sind Einzelwesen, aber sie sollten Brüder bleiben. Eine solche Rechenstunde kann Herz und Verstand eines Kindes befriedigen. Die Lehre ist einfach und praktisch, und dennoch auch von tieferer Bedeutung.

Das Märchen befriedigt ganz besonders das Verlangen des Kindes nach einem Erlebnis, das sein Herz bewegt. Es eröffnet ihm die verborgene Schönheit und die tiefere Bedeutung der Welt. Der Lehrer kann solche Geschichten zum Lesenlernen benützen; sie bilden aber auch die Grundlage für unbegrenzte Erfahrungen beim Zeichnen und Malen, bei Schauspiel und Tanz. Fabeln und Mythen handeln von seelisch-geistigen Realitäten des Lebens, sie erwecken die moralische Unterscheidung und regen die Kinder an, sich dem Guten zu widmen. In der Erziehung von Kindern aller Schichten bilden Märchen, Fabeln, Mythen und Legenden einen wesentlichen Bestandteil; sie bedeuten einen Schritt vorwärts in der Entwicklung zur Freiheit.

Ein weiterer Schritt vorwärts in der Erziehung zu freien Individuen würde, wie schon erwähnt, durch die Schulung des Willens erreicht. Wenn der Wille entwickelt werden soll, muß er auf die in der Kindheit erworbene Achtung vor einer natürlichen Autorität gegründet sein. Das Kind sollte sich unter der Aufsicht von Lehrern entwickeln, die fähig sind, ihre Aufgaben zu erfüllen und imstande sind, wenn es notwendig ist, 'nein' zu sagen. Der Lehrer muß mehr sein als ein passiver Führer; eigentlich muß er fast ein Held sein, der seine Schüler mit Begeisterung und Liebe für die täglichen Aufgaben erfüllt. Eine solche Kindheitserfahrung wird später dem Menschen die Stärke verleihen, die ihn befähigt, seine Pflicht zu tun, Selbstkontrolle auszuüben und die Verantwortlichkeiten zu tragen, die als Erwachsenem von ihm verlangt werden. Wer in der Kindheit keine Autorität kennen gelernt hat, für den wird die Möglichkeit, im reiferen Alter sich selbst zu beherrschen, gering. Das Kind braucht die von außen kommende Autorität als Vorbild, um sich für die Entwicklung des Gehorsams, als eigenen inneren Mahnungen, vorbereiten zu können. Nur durch frühe Schulung kommt es später zur Selbstdisziplin. In ihrem Streben, in jeder Hinsicht 'Demokratie' zu verwirklichen, sollten die Schulen nicht versuchen, die für ganz andere Zwecke bestimmten politischen Anschauungen der Erwachsenenwelt anzuwenden. Studentenkontrolle an den Universitäten ist keine Antwort auf das gegenwärtige Problem; eine aufbauende Erziehung ist richtiger.

Letztendlich entscheidend für die Erziehung zur Freiheit ist die Entwicklung zu unabhängigem Denken. Die höheren Schulen und Colleges sollten nicht davor zurückschrecken, sich den ultimativen Fragen zu stellen: Wer bin ich? Warum bin ich hier? Was ist der Sinn des Lebens hier auf Erden? Es kann sehr wohl möglich sein, daß es die bedeutsamste Aufgabe für einen Schüler ist, der altehrwürdigsten Aufgabe, die es gibt, nun gegenüber zu stehen: zu lernen, sich selbst zu erkennen. Darin kann er in dem Maße Fortschritte machen, in dem er die Handlungen der Menschen versteht und seine Lektionen aus den Begegnungen mit ihnen lernt. Sein Denken muß klar sein, wenn er entscheidet, wohin er gehen will und was er tun soll. Der Schüler muß selbst erkennen, daß er sowohl heilig als auch selbstisch ist. Sein Bewußtsein muß sich entfalten, bis alles um ihn lebendig wird und sich ihm offenbart. Die Welt ist ein Symbol und das Symbolische muß ergründet werden. Das Leben muß erkannt werden! Wenn sich Intuition und Intellekt im vollkommenen Denken vereinen, können Wunder, Heiligkeit und Schönheit der Erde begriffen werden und dem freien Menschen zur Freude gereichen.

Heute ist entscheidend, daß der Kämpfer seine Handlungen überlegt. Er muß seine Leidenschaften kritischer beurteilen, denn seine Reaktionen kommen ganz offensichtlich vom Haß oder von sinnlicher Begierde. Eine Aktion, der Haß oder sinnliche Begierde zugrunde liegt, ist offensichtlich Reaktion. Das ist aber keine Freiheit und dient niemals dem Menschen. Buddhas Worte sind heute noch genauso wahr wie damals, als sie das erstemal ausgesprochen wurden:

"Er kränkte mich, er schlug mich, er betrog mich" - in jenen, die solche Gedanken hegen, wird der Haß nie aufhören.

"Er kränkte mich, er schlug mich, er betrog mich, er beraubte mich" - in jenen, die keine solchen Gedanken hegen, wird der Haß aufhören.

Denn nie hört auf Erden der Haß durch Haß auf: Haß hört auf durch Liebe; das ist ein ewiges Gesetz.

Unser niederes Selbst zu besiegen, ist die schmerzliche, mühevolle Aufgabe jedes einzelnen. Es ist aber auch der Weg nach oben. Der Mensch kann heute, wenn er auf die Stimme seines besseren Selbstes hört und das Leben meistert, die Suche nach Freiheit, die vor langer, langer Zeit begonnen wurde, erfolgreich abschließen. Erfolgreich forschen bedeutet, das Ziel unserer Zeit zu erreichen.