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Im Anfang war ... das Wort

Im Anfang...

war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott.

 

 

Wie viele Millionen Menschen haben wohl schon im Laufe der Zeiten über die geheimnisvollen und rätselhaften Worte nachgedacht, die von Johannes stammen sollen? Die Regale der Bibliotheken stehen voll mit allen möglichen Abhandlungen darüber, die von Gelehrten und Theologen geschrieben wurden. Die ursprüngliche (englische) Bibelausgabe König Jakobs und auch die spätere, revidierte Ausgabe kommen anscheinend doch der ursprünglichen Bedeutung dieser vielen rätselhaften Aussprüche des gesamten vierten Evangeliums näher als die neuesten Auflagen mit ihren allzu wörtlichen Auslegungen. Das griechische Wort "Logos" wurde im Lateinischen als "Verbum", im Englischen als "Word" und im Deutschen als "Wort" wiedergegeben. Seine Wurzeln reichen jedoch bis tief in die vorchristliche Vergangenheit und breiten sich weit über die Zivilisationen der Welt aus.

Die Grundidee eines schöpferischen Gedankens, der aus dem Unmanifestierten oder dem 'Vater im Himmel' hervorquillt, um sich als Ton (oder Schwingung) zu offenbaren und damit einem Universum zu Geburt und Wachstum verhilft, ist nicht einmalig. Diese Philosophie findet man in Griechenland, in Alexandrien und auch bei den gnostischen Sekten im mittleren Osten, die älter waren als das Christentum und sich anfangs mit dem Christentum überschnitten, wobei sie die neue Religion in ihrem Anfangsstadium entscheidend beeinflußten. In der Tat, während der Regierungszeit des jüdischen Königs Alexander Jannaeus waren die hervorragendsten Christen ganz am Anfang Gnostiker. Später wurde dieser Impuls dann kristallisiertes, orthodoxes Christentum, dem sich dann einige Neuplatoniker, die Philo nahestanden, anschlossen.

Wesentliche Bestandteile der ägyptischen Religion mit ihrer Vorstellung eines Geistes, der am Anfang des Universums durch das Wort in Tätigkeit trat, beeinflußten auch verschiedene sektiererische Glaubensbekenntnisse in den Gebieten am Mittelmeer. Die Dualität von Geist und Materie, deren 'Kampf' sich im Universum abspielt, ist eines der charakteristischen Merkmale der persischen Religion, die Zoroaster zugeschrieben wird. Sie wurde vor fast 2000 Jahren mit dem hellenistischen Denken vermischt, das in Alexandrien, einer Stadt, deren Verwaltung der eines Staates glich, 'sich einbürgerte' und in Zukunft als Erbe übernommen wurde.

Dem Einleitungsvers des Johannes-Evangeliums liegt nicht nur die neue Synthese der alexandrinischen Ideen zugrunde, er zeugt auch von der Verwandtschaft mit alter indischer Philosophie, denn der Logos, das Wort, wie auch das Verbum haben die gleiche Bedeutung wie Vâch im Sanskrit, der schöpferische Ton. Der Avalokitesvara der nördlichen Buddhisten und die Kwan-shai-yin der Chinesen stimmen zumindest in einem Punkt mit den Lehren der anderen überein, nämlich der 'Stimme' Gottes, die 'gehört' wird.

Die tiefere Bedeutung des Evangeliums ist weitreichend, kann aber in zwei Hauptgruppen eingeordnet werden - die eine Gruppe ist anwendbar auf den Kosmos in seiner Gesamtheit, die andere auf den Menschen, den Mikrokosmos, wobei jeder ein Aspekt, ein Spiegelbild oder eine Kopie des andern ist. Wenn ein Universum zum Leben erwacht, wird eine Idee geboren und wächst im Unmanifestierten oder in 'Gott', Begriffe, die zu subjektiv sind, um mit Bezeichnungen oder Ausdrücken wie "Er", "Ihm" oder "Sein" benannt zu werden, denn diese Worte engen letzten Endes jedwede Vorstellung ein. Diese Idee ist zum Ton geworden und dadurch der aktive Ausdruck - heraus aus der 'Stille' der Göttlichen Essenz - d. h. er ist der Logos oder das Wort, die schöpferische Kraft, die die schlafende Substanz aufweckt, um körperliche Form anzunehmen. Die Energien drängen ins Dasein und die Substanz bewegt sich durch den Raum, angetrieben durch den göttlichen Impuls in ihrem Innersten.

Was nun den Menschen anbetrifft, so wird jedes menschliche Wesen als äußerer Ausdruck eines inneren Aspekts betrachtet, des 'Höchsten' in ihm, der göttlichen Essenz seines 'Vaters im Himmel', mit dem er nur dann bewußt eins werden kann, wenn er das Niedere in seiner Natur geläutert hat. Dieser Vorgang ist ein Verwandlungsprozeß von materieller Verdichtung zu spiritueller Erleuchtung, von Selbstsucht in selbstlose Liebe für alle Wesen.

So ist der Logos, kosmisch gesehen, der Sohn des Vaters (das immaterielle Leben des Universums) und der Mutter, Geist oder Licht. Auf die Menschheit bezogen ist jeder einzelne eine Inkarnation des Gottes in seinem Herzen; und wird er sich dessen völlig bewußt, dann ist er eins mit seinem 'Vater im Himmel'.

Johannes weist auch darauf hin, wie die Kräfte, die das Universum antreiben, die Jakobsleiter der Wesen herabtransformiert werden, vom Höchsten, das unterhalb dem 'Vater' ist, bis zur untersten Sprosse, und zwar geschieht dies mittels Ebenen oder Hierarchien von Wesenheiten, die diesen Kräften als Kanäle dienen. So wie der Begriff des Logos schon vor Sokrates in der Philosophie zu finden ist - z. B. bei Anaxagoras und Heraklit, die vor Sokrates lebten - wie auch in den Schriften Platos und späterer griechischer Philosophen, so finden wir die Rolle der spirituellen Intelligenz (Nous) bei der Entstehung einer Welt oder eines Menschen auch in anderen religiösen Strömungen dargestellt, z. B. in der jüdischen Kabbala, bei Philo und bei den frühen und späteren Gnostikern.

Das ganze Johannes-Evangelium berichtet, daß es einen Weg gibt, auf dem wir uns vervollkommnen können, um 'erhoben' oder vergeistigt zu werden; und es zeigt auch, daß für diese Möglichkeit Jesus, der zum Christus wurde (eine Verkörperung seiner inneren Gottheit), ein Beispiel war. Für diese Art der Schulung oder der Entfaltung von Eigenschaften aus der Essenz unseres hohen inneren Kraftfeldes, findet man Beispiele in jedem Land und zu jeder Zeit; wobei wohl vor allem an Buddha gedacht werden kann. Alle aber ermutigen uns in gleicher Weise, sich vom niederen Pol unseres Wesens abzuwenden - von den Eigenschaften und Wünschen des 'niederen Selbst' - und sich dem oberen Pol zuzuwenden, unserem sich selbst aufopfernden, subjektiven Wesensteil, dem 'wahren' Menschen, um den wir ein selbstgesponnenes Gewebe aus unseren verschiedenen Illusionen gewoben haben.

Die Ereignisse unseres täglichen Lebens geschehen nicht zufällig, obgleich es so scheinen mag. Während der Strom unseres Bewußtseins dahinfließt, denken und handeln wir, und die in Bewegung gesetzten Wirkungen oder Resultate ziehen als Ereignisse vorüber. Doch jederzeit, auch wenn wir es nicht beachten, sind wir und unser 'Vater im Himmel' eins. Wir haben die Fähigkeit, unser Leben neu zu gestalten - mit dem universalen Naturvorgang in Einklang zu stehen, der mit Hilfe der tagtäglichen Erfahrungen aus mißtönenden Noten eine Harmonie oder aus den verschiedenen Eigenschaften ein ausgeglichenes Gleichgewicht zu schaffen versucht.

In einer Zeit äußerer Not, wenn, bildlich gesprochen, die Felder der Gesellschaft umgepflügt und gedüngt werden, um den aufgehenden neuen Samen zu helfen, sprießen und zur rechten Zeit reifen zu können, können uns der 'Vater' und sein 'Gedanke' und seine 'Stimme', die aus ihm geboren sind, zu einer tieferen Auffassung vom Leben und Dasein führen, wie es im Evangelium angedeutet ist. Der Logos ist Gott selbst, geoffenbart, und in bezug auf uns jener Teil von Gott, der erkennbar ist; denn, um mit Philo zu sprechen, "kennen wir ihn nur durch seinen Logos, seinen Gedanken, der das Prinzip der Wirklichkeit im Universum ist." Er ist tatsächlich die schöpferische Kraft, durch die das Universum ins Dasein trat und erhalten wird. Oder, wie die Hindus sagen: Der Kosmos wird von Brahmâ geschaffen, von Vishnu erhalten und von Siva zerstört und regeneriert - eine Trinität aus drei Aspekten des subjektiven 'Vaters' oder Brahman, ein Wortneutrum, das mehr 'Sein' oder Essenz bedeutet als ein Wesen oder eine Wesenheit, und deshalb unbegrenzter und ungebundener ist.

Bevor eine Periode der Manifestation anbricht, verharrt 'Gott' bewegungslos in seiner Kontemplation. Sein Gedanke ist in ihm und ein Teil von ihm. Wenn die Stunde schlägt, erhebt sich der Gedanke, das Wort wird ausgesprochen, das universale Gemüt ist erwacht, in einer Umgebung, in der es zum Architekten eines neuen Kosmos wird. Die "Eins" wird durch eine Kette aufeinanderfolgender Ereignisse zu "Vielem", und der Mensch wird ein Ebenbild seiner Abstammung sein. Der Mensch und das größere Universum, von dem er ein Teil ist, werden zu Feldern der Saat, der Reife, des Blühens und der Frucht. Allzuoft werden diese Felder zu Kampfplätzen von Konflikten, weil das Junge alt wird, verhärtet und aufgebrochen werden muß, um das Neue in Freiheit wachsen zu lassen und die versteckten Fähigkeiten zum Ausdruck bringen zu können.

Wenn die latenten Fähigkeiten ihr Ziel erreicht haben und zur Vollendung gebracht worden sind, dann wird es wieder einmal wie am 'Anfang' sein, ... das Wort wird bei Gott sein und das Wort wird Gott sein. Bis dahin aber hat die ganze Menschheit die innere Verpflichtung, allen Wesen zu helfen - eine Pflicht, die an dem Tage entstand, als Selbstbewußtsein im Menschen erwachte - seit jener Zeit, wo sich die Menschen bewußt wurden, daß der innere Logos das Feuer des bewußten Denkens zur Flamme entfachte - als sie begannen Gut und Böse zu unterscheiden und daraufhin ihre eigenen Entscheidungen treffen konnten.