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Evolution vor Darwin – und nachher, 1. Teil

Es soll (soviel ich weiß) für die ganze Welt einen universalen und allgemeinen Geist geben...: denn es gibt in diesem Universum eine Stufenleiter oder deutliche Abstufungen der Geschöpfe, die nicht unwillkürlich oder kreuz und quer aufsteigt, sondern in schöner Ordnung und im richtigen Verhältnis.

- Sir Thomas Browne, Religio Medici, 1643

 

 

 

Fast jede archaische Rasse übernahm aus der mythologischen Vergangenheit Erklärungen darüber, wie der Kosmos und der Mensch ins Dasein traten, oder sie dachte darüber nach. Diese überraschend gleichlautenden Berichte schilderten für gewöhnlich die Emanation spiritueller Wesen aus den Tiefen des Raumes, ihren materiellen Ausdruck als Welten, Götter, Menschen und aus anderen Bereichen des Lebens, sowie ihr periodisches Verschwinden, wenn ihre individuellen Zyklen abgelaufen waren. Die Aktivität dieser Universen und ihrer Myriaden von Leben wurde so geschildert, daß sie von Gesetzen bestimmt wurden, die von höchsten Wesenheiten überwacht waren. Der Mensch wurde oft als ein Kind dieser Götter bezeichnet, dessen evolutionäre Bestimmung es ist, seinen göttlichen Eltern immer ähnlicher zu werden.

Vieles von diesem Wissen stammte aus den Mysterienschulen und war, von verstreuten Bruchstücken abgesehen, vor der Öffentlichkeit unter einer Menge symbolischer Mythen und Rituale verborgen. Während der griechisch-römischen Zeit verlor sich der Einfluß dieser Schulen nach und nach aus dem Bewußtsein der Völker am Mittelmeer, obgleich sie im Osten, in China und Indien zum Beispiel, in einer Reihe glänzender Zivilisationen weiter blühten. Als der Einfluß, der im Niedergang befindlichen Mysterienreligionen abnahm, begann im Westen das dunkle Zeitalter, die Periode einer rudimentären Kultur, aus der das moderne Europa hervorging.

Die Denkweise des Westens wurde während des dunklen Mittelalters von der christlichen Theologie beherrscht, die bis heute unserer Anschauung über das Leben einen dauerhaften Stempel aufgeprägt hat. Wie allgemein bekannt ist, bestand seiner Zeit der veredelnde Aspekt in der Betonung der einfachen Tugenden und des rechtschaffenen Lebens. Aber da die damaligen Priester für ihren Erlöser und für die Erlösung durch ihn Einmaligkeit beanspruchten, ließen sie keine andere Religion gelten, und sobald sie die Macht hatten, versuchten sie jede Erinnerung an frühere Weisheiten auszulöschen. Es war, als würde man vor die Ideen und Errungenschaften früherer Zeitalter einen Vorhang ziehen. Unter den Bischöfen und später unter den Päpsten wurde die Bewegung sehr schnell autoritär und stützte sich lieber auf den Glauben und blinden Gehorsam, anstatt sich an die Vernunft zu wenden: sie predigte Liebe für das Herz, ignorierte aber "Licht für das Gemüt und Verstehen für den Intellekt." Viel später (1100-1300) brachten dann die Kreuzzüge und später die vermehrte Seefahrt den westlichen Menschen wieder mit östlicher Kultur und östlichen Ideen in Berührung. Die von den Sarazenen geschätzte und behütete Weisheit der Klassiker begann in Europa einzusickern.

Mittlerweile hatten die Kirchenväter gewisse starre Dogmen aufgestellt, die aufgegeben werden mußten, weil sie verwirrten, wie z. B. die geozentrischen ptolomäischen Theorien, und daß die Erde flach sei. Eine weitere, noch wichtigere Festlegung bestand darin, daß Aristoteles vor Plato gestellt wurde, das heißt, sie erkannten die Lehre an, daß die Wahrheit nur erlangt werden kann, wenn man von Einzelheiten auf universale Prinzipien schließt, statt umgekehrt. Damit verließ das Christentum die wahre religiöse Haltung, die bei jenen großen Ideen beginnt, die dem Menschen seit undenklichen Zeiten mitgeteilt wurden, und die eine Analyse und Erklärung über die physische Welt geben. Dieser Wechsel in der Einstellung war unvermeidlich, denn die Wahrheiten, die den Prozeß der Natur vom höheren Standpunkt aus erklären, waren während der vielen Jahrhunderte fast gänzlich vergessen worden, so daß die Kirche den erwachenden Gemütern der Renaissance keine spirituell-intellektuelle Nahrung mehr geben konnte. So mußte sie zu Mitteln wie Verbrennung und Kirchenbann greifen und versuchen, die neue Erkenntnis und die sich immer mehr ausbreitenden Ideen der anbrechenden Zeit, wenn auch erfolglos, aufzuhalten.

Die Reformation war ein mutiges Sichlosreißen von der Autorität und half eine Atmosphäre intellektueller Freiheit zu schaffen, in der der Einzelne selbst denken konnte. Unglücklicherweise ersetzten fast alle prostetantischen Gruppen die Herrschaft des Papstes lediglich durch eine buchstäbliche Auslegung der Bibel. Das beste Beispiel dafür ist, daß der größere religiöse Widerstand gegen die wissenschaftlichen Theorien über die Evolution nicht von der römischen Kirche, sondern vom Protestantismus ausging. Wenn eine Idee in der Heiligen Schrift nicht ausdrücklich bestätigt war, konnte sie nicht wahr sein. Diese Politik gilt selbst heute noch an vielen Stellen und das trotz der Vielzahl neuester Aufschlüsse über die Bibel selbst, die uns die verstreuten Quellen ihres Ursprungs und ihren fragmentarischen Charakter enthüllen. Gleichzeitig bestand eine gewisse natürliche Abneigung gegen die Idee, der Mensch sei ein etwas besseres Tier, entstanden durch das Einwirken blinder Naturkräfte auf tote Materie. Eine solche Erklärung ignoriert völlig alle spirituellen Eigenschaften, Prinzipien oder Kräfte im Universum, denn es wird dabei vorausgesetzt, daß sie unwirksam wären, auch wenn sie existieren sollten. Darin liegt die Wurzel für die Abneigung, die viele Menschen, die religiös veranlagt sind, gegen die moderne wissenschaftliche Lehre über die Evolution haben.

Dieser einleitende Überblick ist notwendig, wenn wir die Atmosphäre verstehen wollen, in der den Lehren der Wissenschaft allgemein und jenen über die Evolution im besonderen begegnet wurde, und warum die wissenschaftlichen Ideen im Westen in die einseitige Richtung gingen. Der Hauptgrund, warum die Wissenschaft sich von der Religion und von allen sogenannten metaphysischen Dingen trennte war, daß die Kirchen darauf bestanden, die in der Heiligen Schrift ohne Zusammenhang verstreuten symbolischen Berichte - jene Berichte, zu denen die Schlüssel in der Nacht der vorangegangenen Jahrhunderte konsequent übersehen worden waren - sollten buchstäblich als wahr angenommen werden.

Nicolaus Cusanus, Pico della Mirandola und andere bemühten sich, die Weisheit der Vergangenheit wieder einzuführen und riskierten dabei Exkommunikation und sogar den Tod, weil sie es wagten, über ihre Erkenntnisse vom physischen und göttlichen Kosmos zu sprechen. Giordano Bruno starb tatsächlich dafür auf dem Scheiterhaufen. Einzelne und Gruppen, wie die Platoniker von Cambridge, Sir William Jones und die Orientalische Gesellschaft, sowie die echten Freimaurer, versuchten den Westen davon zu unterrichten, daß es wirklich spirituelle Wahrheiten gibt, und daß sie in vielen Ländern und zu vielen Zeiten gelehrt worden waren. Aber, allgemein gesprochen, wurde das Denken des westlichen Menschen, selbst bis in dieses Jahrhundert hinein, von einer engstirnigen und sich abschließenden Theologie beherrscht, die die nichtchristliche Welt in heidnische Finsternis versunken und die vor sechstausend Jahren von Gott geschaffenen Himmel und die Erde als Lebensraum für den sündhaften Menschen darstellt. So war die Situation, als die Wissenschaft, jener schlafende Riese, zu erwachen begann.

Anfangs verbanden die damaligen wissenschaftlichen Denker ihre Religion mit ihren Entdeckungen. Manche Schriften von Newton haben streng platonisches Gepräge. Galilei, Kopernikus und viele andere betrachteten die physische Natur als das Gewand der Gottheit, als sie Wirken und Aufbau des Kosmos enthüllten. Als aber die Struktur des sichtbaren Universums und seine nachweisbare Geschichte in Erscheinung zu treten begann, zeigten sich große Widersprüche zwischen Tatsache und Dogma, und die Gelehrten mußten zwischen beiden wählen. Die Wahl fiel nicht leicht, auf der einen Seite stand sozusagen das Zeugnis der eigenen Augen, dem vererbte biblische Darstellungen und die Macht der öffentlichen Meinung gegenüber standen. Die Verhältnisse hätten anders sein können, wenn die 'Philosophie' des Christentums ihre Aufgabe erfüllt hätte, indem sie zeigte, daß wissenschaftliche Tatsache und ewige Grundwahrheiten einander nicht widersprechen können. Doch zu dieser Zeit hatte die christliche Bewegung ihre archaische Weisheit verloren, die mit Hilfe universaler Symbole den göttlichen Ursprung, den Aufbau und das Wirken des Universums ausführlich beschrieb. Sie war in äußersten Anthropomorphismus zurückgefallen. Die Folge war unausbleiblich: die Wissenschaft und die Religion gingen getrennte Wege.

Nachdem die Spaltung geschehen war, mußten die Wissenschaftler gezwungenermaßen erklären, wie das Universum ohne Führung durch höher stehende Intelligenzen entstehen und funktionieren konnte. Sie mußten beschreiben, wie das Leben zuerst durch 'tote' Elemente geschaffen wurde und sich dann Schritt für Schritt, ohne Unterstützung, durch Irrtümer und Versuche zu der Harmonie und Verschiedenartigkeit, die wir jetzt um uns sehen, vorwärts tasten mußte. Die verfeinerten Empfindungen von Gemüt und Bewußtsein im Menschen - von alledem mußte angenommen werden, daß sie Emanationen der Materie sind.

Viele Ideen, von denen wir gewöhnlich annehmen, daß sie von Darwin stammen, hatten schon vor Darwin eine lange Geschichte. Thales, Heraklit und andere griechische Philosophen hatten versucht, den Ursprung und die Entwicklung des Lebens zu erklären, und zweifellos behandelten die Mysterienschulen diese Dinge ausführlich von metaphysischen Gesichtspunkten aus. Einige Jahrhunderte später teilte Aristoteles die Tiere "auf Grund ihrer Anatomie" in Klassen ein und sprach von dem "natürlichen Vorrücken" von der Pflanze bis herauf zum Menschen. Auch die Araber pflegten in ihren alchimistischen Spekulationen das evolutionäre Denken der Griechen.

Doch, wie schon erwähnt, Gedanken über Evolution wurden im modernen Europa durch eine Anzahl theologischer Dogmen hintangehalten. Verschiedene dieser alten Ideen bereiteten jedoch die Gemüter der Menschen darauf vor, die neuzeitliche Entwicklungslehre anzunehmen, als sie endlich kam. Eine wichtige Idee aus dem Mittelalter war die von der Stufenleiter des Seins, der Leiter der Vervollkommnung, die sich von den niederen Formen bis zum Menschen und darüber hinaus "zu rein spirituellen Wesen", zu den Engeln, erhebt. Dr. Loren Eiseley1 legt jedoch dar, daß sich diese Lehre keineswegs auf die Evolution bezieht, wie wir sie kennen. Der christliche Glaube war, daß Gott, als Er die Welt aus dem Chaos schuf, in einer Aktion eine Lebenskette hervorbrachte, und daß seit dieser Zeit alle Arten unverändert existieren. Kleine oder auch große Unterschiede wurden nicht als Modifikationen der ursprünglichen Formen angesehen, sondern traten von Anfang an als ein Teil der ursprünglichen, unveränderlichen schöpferischen Handlung in Erscheinung. Wenn fossile Überreste von prähistorischen Geschöpfen gefunden wurden, von denen man annahm, daß sie ausgestorben sind, wurde von den Theologen anfangs behauptet, daß über abgelegene Gebiete der Welt wenig bekannt sei und diese Geschöpfe wahrscheinlich in einigen dieser Gebiete noch vorkommen!

Für uns ist es nicht leicht, sich in die Denkweise vor mehreren Jahrhunderten zu versetzen. Zu jener Zeit wurde angenommen, daß die Erde nur sechstausend Jahre alt sei. Das Datum für die Schöpfung wurde auf das Jahr 4004 v. Chr. festgelegt! So bildete die Zeit die große Schranke. Die Schöpfungsgeschichte ließ nicht Zeit genug, um die Idee der langsamen Entwicklung der Erde und allem auf ihr einzuschließen. Aber die Entdeckungen unterminierten nach und nach diese unsere 'junge' Erde und zeigten, daß sie schon altersgrau ist. Doch ehe das geschehen konnte, war es notwendig, die Bewohner unseres Globusses zu studieren und zu klassifizieren, sie in Familien einzuteilen und deren Verwandtschaftsverhältnisse zu erklären. Diese Arbeit wurde im 17. Jahrhundert von einer Reihe Naturforscher begonnen. In vielen Ländern beobachteten große Denker, die lange behindert gewesen waren, die Erscheinungsformen und das Charakteristikum aller lebenden Dinge und schrieben ihre Beobachtungen nieder. Ausgedehnte Reisen wurden unternommen, um überall das Leben zu studieren. Im 17. Jahrhundert hinterließ uns der berühmte schwedische Botaniker Carl von Linné (1707-1778) in seinen hervorragenden Arbeiten die erste systematische Zusammenstellung der Arten. Er betonte jedoch, daß die verschiedenen Stufen des Lebens seit Beginn der Zeit festgelegt sind, daß es keine Veränderungen, kein Hineinwachsen der einen Form in eine andere gegeben hat.

Nun erfolgte wahrhaftig ein Durchbruch von Ideen. Das bereits entdeckte Mikroskop wurde benützt, um Geburt und Leben der Zellen zu erforschen, Theorien über die kosmische Evolution wurden entwickelt. Es wurde gezeigt, daß das unermeßliche Reich des Raumes mit seinen unendlich vielen Sternen in steter Bewegung ist und der Geburt, dem Wechsel und dem Tod genauso unterworfen ist, wie die Dinge auf Erden. Fossilien von alten Geschöpfen wurden fleißig gesammelt und studiert, und obgleich niemand zu behaupten wagte, daß viele davon ausgestorben seien, glaubte man es insgeheim doch.

Der Franzose Comte de Buffon (1707-1788) war ein Zeitgenosse Linnés. Die Bände seiner Naturgeschichte, das Werk eines Lebens, enthalten (nach den Worten von Dr. Eiseley) "jeden wichtigen Bestandteil, der in Darwins große Zusammenfassung von 1859 (Über den Ursprung der Arten durch natürliche Zuchtwahl) aufgenommen wurde." Aber die alten Ideen beherrschten immer noch die Gemüter der Menschen, oder, um es anders auszudrücken, es war noch nicht genügend Beweismaterial gesammelt worden, um die engstirnige und vollkommen wirklichkeitsfremde Theologie zu stürzen. Mittlerweile hatte die Freiheit in der politischen Welt begonnen sich zu behaupten: zuerst die amerikanische Revolution, später die französische. Als letztere ihre schreckliche Form annahm, kennzeichnete sie das Ende eines glänzenden Jahrhunderts, wo Fenster in die Mauern des Dogmas gebrochen worden waren, das das forschende Bewußtsein des Menschen von der wirklichen Welt ferngehalten hatte. Buffons Sohn starb während der Regierung des Terrors (1793), weil er ein Aristokrat war, auf dem Schafott.

Jean Baptiste Lamarck (1744-1829), der berühmte Naturkundige und Zoologe, überlebte die Reinigungswelle. Er machte von der Theorie, daß Fossilien keine zufälligen Versteinerungen sind, sondern ein Teil eines natürlichen Planes, - denn die Evolution ist "die Ausführung eines immanenten Zweckes zur Vervollkommnung der Schöpfung" - eine 'überzeugende Tatsache'. Lamarck ist am besten durch seine Theorie der Erworbenen Charakteristischen Merkmale bekannt - die in Wirklichkeit gar nicht seine Theorie war, weil viele seiner Zeitgenossen und Vorgänger ebenfalls darauf hinwiesen. Er nahm an, daß die Umgebung auf die Einzelwesen einwirkt und sie verändert, und daß diese Veränderungen durch Vererbung auf die Nachkommen übertragen werden. Es ist interessant, daß sich Charles Darwins Großvater, Erasmus Darwin (1731-1802), schon 1771 mit dieser Idee beschäftigte, und es ist bekannt, daß sein Buch über diesen Gegenstand seinen Enkel beeinflußte.

Man kann die Entwicklung des Lebens auf zweierlei Arten verfolgen. Einmal durch das Studium der existierenden Formen, durch vergleichende Anatomie, wodurch eine Vorstellung über die Ordnung des sich entfaltenden Lebens erlangt werden kann. Die andere Methode folgt dem Zeugnis von Fossilien, Überresten früherer geologischer Epochen, die über das wirkliche Leben jener Perioden berichten. Beide Methoden haben den Vorteil, daß sie sich gegenseitig kontrollieren. Georges Cuvier (1769-1832), Paläontologe und Professor für Naturgeschichte am Collège de France, entdeckte 1796 im Erdboden von Paris begrabene Elefantenknochen. Bald gruben er und eine Anzahl anderer weiter aus, und sie rekonstruierten eine Reihe Tiere aus der geheimnisvollen, lange vergessenen Vergangenheit. Sie wurden sortiert und in Klassen eingeteilt. Dabei fand man, daß über neunzig Arten gänzlich von der Erde verschwunden waren. Cuvier fragte, warum enthielt eine Schicht die Überreste von Seetieren, während eine andere darüber oder darunter die Knochen von Landtieren enthielt und eine dritte unter Umständen überhaupt kein Leben anzeigte? William Smith stellte in England die gleiche Frage, und auch er bemerkte, daß "in der gleichen Schicht die gleichen Fossilienarten gefunden werden, auch wenn sie weit entfernt liegen."

Diese Entdeckungen waren für fromme Christen sehr beunruhigend. Sie zögerten, der Idee von einer, sich über Millionen Jahre erstreckenden Evolution bereitwillig zuzustimmen. So entwickelte Cuvier, der selbst fromm war, die Theorie, daß Gott durch wiederholte Kataklysmen eine ganze Reihe der göttlichen Schöpfungen auslöschte, wobei ihre Überreste in den Schichten zurückblieben. Jedes einzelne Geschöpf war jedoch unveränderlich, es war eine besondere Schöpfung Gottes, es gab keine Veränderung, keine Entwicklung. Alle derartigen Lehren von "Katastrophen" waren jedoch, wie Dr. Eiseley erklärt, "im wesentlichen ein Mittel, um die herrschenden Lehrsätze der christlichen Theologie zu retten und diesen Lehren gleichzeitig einen wissenschaftlichen Anstrich zu geben." Sie konnten sich nicht lange halten.

Das siebzehnte und achtzehnte Jahrhundert waren für den Menschen im Westen in vieler Hinsicht fruchtbar. Die Technologie war noch nicht so weit fortgeschritten wie heute, wo man, um wissenschaftliches Forschen zu betreiben, eine jahrelange Ausbildung hinter sich haben muß. Dafür gab es in vielen Ländern buchstäblich hunderte eifriger, wißbegieriger Menschen, 'Amateure', die aber erstaunlich gründlich waren. Naturforscher, Anatomen, Zoologen, Botaniker, Anthropologen - die alle ihr Leben der Suche nach Tatsachen, Informationen, Entwicklungen und Gesetzen widmeten. Viele tauschten Fundstücke aus und korrespondierten miteinander. Der Durst nach Wissen war stärker als politische Differenzen. Buffons Sammlungen kamen durch die feindlichen Blockaden. Das Wirken der Natur wurde nicht eingestuft, wie wir glauben, es jetzt tun zu müssen. Das Gebiet stand allen offen. Wie begann das Leben? Wie erreichte es den Platz, den es jetzt einnimmt? Geschah es zufällig, gesetzmäßig oder durch göttliche Vermittlung? Die damaligen Forscher hatten uns gegenüber einen großen Vorteil: damals gab es kein wissenschaftliches Gremium, das vorgab, für alles die Antwort zu haben. Es gab nur die Religion, die aber tatsächlich nichts zu bieten hatte. Heute glauben wir fast an dem Punkt zu sein, wo wir alles wissen - nur noch einige unwesentliche Probleme, und die ganze Kette des Daseins wird erklärt worden sein. Fürwahr ein gefährlicher Anspruch!

Bei Anbruch des neunzehnten Jahrhunderts war das Haupthindernis, dem die Evolutionsanhänger gegenüberstanden, die Zeit. In der sogenannten heidnischen Welt, im vorchristlichen Osten und Westen, wurde das Leben des Universums und alles in ihm in zahllosen wiederkehrenden Perioden gemessen - Leben, -Tod, - dann Wiedergeburt von Kosmen, Göttern, Atomen und Menschen. Mit dem Anbruch des Christentums erfuhr die Zeit eine totale Änderung. Alles wurde im Lichte des "menschlichen Sündenfalls und der Erlösung" gesehen. Durch göttlichen Machtspruch war die Welt für den Menschen geschaffen und der nächtliche Himmel mit Sternen geschmückt. Dr. Eiseley sagt wörtlich: "Dieses Drama war einmalig und wiederholt sich nicht", der ganze Plan vom Anfang bis zum Ende würde "nur einige kurze Jahrtausende in Anspruch nehmen und mit einem Jüngsten Gericht abgeschlossen werden." Außer den wagemutigsten Geistern waren alle Gemüter von dieser Anschauung erfüllt. Es war für sie nicht religiöser Glaube oder theologische Spekulation, sondern buchstäblich weltliche Tatsache. Es ist nicht schwer, sich vorzustellen, welch erschütternde Erfahrung es gewesen sein muß, als die aufkeimende wissenschaftliche Forschung es erst heimlich vermutete, dann andeutete und schließlich behauptete, daß das ganze Gerüst dieser Schöpfungsgeschichte, soweit sie das physische Leben der Erde betrifft, nicht wahr sei! Kein Wunder, daß es eine starke Opposition gab.

Um die Zeit, als das neunzehnte Jahrhundert richtig begonnen hatte, waren nicht nur die Anhänger der Entwicklungslehre, sondern auch die denkenden Menschen im allgemeinen beinahe überzeugt, daß die Erde viele Millionen Jahre alt sei, und daß die fossilen Überreste in den verschiedenartigen Schichten über das Leben in den verschiedenen Zeitaltern berichten. Die Veränderungen auf der Erde konnten nun zum großen Teil durch die Arbeit von Hutton, Smith und Cuvier auf natürliche Weise erklärt werden, - durch Ablagerung, Vergletscherung, Vulkanismus, Erosion, Wind und Wetter etc. - diese und nicht 'die Werke Gottes' gestalteten und formten die Erde und beeinflußten das Leben auf ihr. Aber selbst für Wissenschaftler war es noch schwierig, das Vorhandensein lebender Tiere zu erklären, deren versteinerte Überreste ausgegraben und sorgfältig nach Kategorien geordnet worden waren. Es war ein zu großer Sprung von der, vom Christentum so viele Jahrhunderte gelehrten Schöpfungsgeschichte zu der neuen wissenschaftlichen Theorie vom allmählichen Entstehen des Lebens und seiner Entwicklung. William Smith schrieb 1817 in seinem Essay: "Jeder Fund dieser versteinerten organischen Körper, aus den verschiedenen Schichten, muß als eine besondere Schöpfung betrachtet werden..." Was Gott in jenen vergangenen Zeiten schuf, das zerstörte er auch wieder, wobei er die titanischen Kräfte der Natur benutzte. Die Christen flochten auch die Geschichte von der Sintflut ein, um zu erklären, wie Gebiete einst gesunken sein können, die damals von Meerestieren bewohnt waren, die heute über Wasser in ihren Schichten versteinert sind. Im letzten Jahrhundert herrschte vor Darwin immer noch die Idee, daß alles Leben auf Erden vom Schöpfer vorherbestimmt wurde.

Im Jahre 1835, einer Zeit, in der die führenden Geologen Frankreichs und Englands fast alle Verfechter der Katastrophentheorie waren, veröffentlichte Charles Lyell (1797-1875) sein berühmtes Werk Principles of Geology, das nicht nur die Anschauung der wissenschaftlichen Welt, sondern auch die der denkenden Allgemeinheit völlig änderte. Seine unvoreingenommene Zergliederung vernichtete ein für allemal jede buchstäbliche Auslegung der Schöpfungsgeschichte. Lyell, der älter war als Darwin, wurde dessen enger Freund und übte einen bleibenden Einfluß auf sein Denken aus. Er bereitete die öffentliche Meinung auf die Darwinschen Ideen vor. Lyell selbst nahm jedoch die Entwicklungslehre erst im letzten Teil seines Lebens an, obgleich er viele Ideen vertrat, die Darwin später als Basis für seine Theorien benützte, wie der Kampf ums Dasein, der Wettbewerb, die Auslese schwächerer und weniger geeigneter Arten und so fort. Darwin zog Lyell immer wieder zu Rate, machte sich sein ungeheures aufgespeichertes Wissen zu Nutze und bekehrte ihn schließlich zur Entwicklungstheorie.

Bevor wir den positiven und negativen Wert in den Ideen Darwins prüfen, muß beachtet werden, daß es vor ihm viele unbekannte Verfechter der Entwicklungslehre gab, die Teile des Systems, das Darwin später entwickelte, schon früher behandelten. Mit anderen Worten, der Darwinismus erschien nicht plötzlich in seiner vollen Blüte in einer unvorbereiteten Welt, sondern 'entwickelte' sich aus dem in Erscheinung tretenden Bewußtsein der Zeit. So sahen seine Vorgänger zum Beispiel, daß der Kampf ums Dasein die Auslöschung vieler Arten zur Folge hatte, erfaßten aber nicht den konstruktiveren Aspekt der "grenzenlosen organischen Wandlungen." Viele und verschiedene Theorien waren aufgestellt worden. Was nun erforderlich war, das war ein Mann mit der Fähigkeit, sie in einem Plan zusammenzufassen, der den physischen Ursprung aller Arten, der lebenden und der ausgestorbenen, erklärt. Dieser Mann war Charles Darwin.

 

(Fortsetzung folgt.)

Fußnoten

1. Cf. Darwin's Century von Loren Eiseley, ein hervorragendes Buch, das einen geschichtlichen Überblick über den Begriff der Evolution gibt, wie er nach und nach im neuzeitlichen Westen auftauchte. Es behandelt den Gegenstand bis etwa zum Jahr 1900. Viele Einzelheiten wurden in dieser kurzen Zusammenfassung daraus entnommen. Für die Zeit nach 1900 war Evolution von Ruth Moore, ein Buch über die Naturgeschichte des Lebens, besonders hilfreich. [back]