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Aus dem Herzen...

Vor einiger Zeit erklärte ein katholischer Bischof in den Niederlanden, daß die Kirchen, seiner Meinung nach, nicht so hoch über den Häusern der Städte erbaut werden sollten. "Das Kirchengebäude muß mehr als Herz, denn als Krone wirken. ... In der Regel wird die Kirche als Gebäude von geringeren Ausmaßen, mit weniger kostbarer Ausstattung und Ausschmückung, mehr anerkannt."

Wir hören immer öfter derartige Anschauungen, und sie mögen gar nicht so unwichtig sein, weniger für die Kirchen, sondern mehr für jene Menschen, die eine Zuflucht suchen, um ihren Glauben in Gemeinschaft zu bekennen. Das trifft ebenso auf die bloßen äußerlichen Handlungen zu, die nur auf eine "größere Schau" abgestellt sind. Sie lassen den inneren Menschen unberührt.

Aus dieser Anregung ersieht man, daß die meisten Geistlichen an ihrer vertrauten Schablone festhalten wollen, obgleich sie den Anforderungen des Tages und der Zeit nicht mehr gerecht wird. Die Kirche hat schon viele Jahrhunderte lang an Arteriosklerose gelitten, versucht aber immer wieder starr in der selben alten Weise wie früher weiter zu arbeiten. Dies war vielleicht unter Menschen wirksam, deren Gewohnheiten, Wissen und inneres Verlangen jedoch ganz anders waren als es heute der Fall ist. Gebäude und Ausstattung machen auf Menschen, die nach inneren Werten Ausschau halten, wenig oder keinen Eindruck - und das trifft sicherlich für unsere jungen Leute zu. Sie haben andere Ideen und suchen intuitiv nach einem weniger eingeschränkten spirituellen Rückhalt.

Doch davon ganz abgesehen, sind in dem Ausspruch des Bischofs ein paar Worte enthalten, die dem Kern des Problems näher kommen, als die Flut von Schriften und Ansprachen, die immer und immer wieder die abgenutzten Formen hervorheben. Diese Worte sind "das Herz." Liegt nicht gerade hier das Problem, unabhängig von den Gebäuden und beschwörenden Rednern?

Die Berührung des Herzens durch irgendeinen Glauben, der eine reine, nährende Kraft frei macht, ist nicht etwas, das uns nur eine Stunde lang oder nur sonntags beschäftigen soll, sondern verlangt tatsächlich unsere ganze Anstrengung, vom Aufstehen angefangen, bis wir abends in den Schlaf sinken. Wenn wir die wahre Bedeutung unseres Glaubens wirklich begriffen hätten, würden wir dann nicht sehen, daß wir beständig darauf achten müssen, was wir in unserer Verantwortlichkeit anderen gegenüber zu tun oder nicht zu tun haben - während unserer Arbeit, auf der Straße, zu Hause, oder wo immer wir uns befinden? Vielleicht würden wir auch leichter verstehen lernen, was in unserem eigenen Herzen verborgen liegt. Wie könnten wir sonst lernen, als durch unsere eigene Erfahrung, durch unsere eigene Erkenntnis und Willenskraft?

Der Mensch besitzt unbekannte Möglichkeiten. Er lebt in einem für sein Gemüt offensichtlich unvorstellbaren Raum, der ihm dennoch unbedingt gleich ist, ohne Anfang und ohne Ende. Die in jedem von uns Jahrhunderte lang aufgespeicherten Fähigkeiten werden größtenteils latent bleiben, solange wir selbst nicht bereit sind, das schwere Gewicht, unter dem wir die göttliche Macht der Seele begraben und erstickt haben, beiseite zu schieben. Nur wenn wir imstande sind, diese innere Region im Schweiße unseres Angesichts erfolgreich zurückzugewinnen, werden wir das kurze Aufleuchten des ersten goldenen Schimmers eines höheren Bewußtseins und jenes edleren Lebens wahrnehmen, von denen Männer und Frauen zu allen Zeiten gesprochen haben. Dann wird die Beunruhigung über die äußeren Formen unseres Glaubens langsam verschwinden, so wie der Nebel der Nacht von der Sonne zerstreut wird.