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„Das bist Du“

Der jüngste und vielleicht anregendste philosophische Standpunkt eines Wissenschaftlers ist in zwei Aufsätzen dargelegt, die mit einem Zeitabstand von 35 Jahren von dem verstorbenen Professor Erwin Schrödinger aus Deutschland niedergeschrieben wurden. Meine Weltansicht, posthum veröffentlicht im letzten November1, zeigt einen recht beachtbaren Menschen. Als Nobelpreisträger stand er als Physiker an der Spitze seinen Berufsstandes, anerkannt als ein Genie vom Range eines Einstein, der ihn als ebenbürtig bezeichnete. Trotz diesem Umstand stellen wir fest, daß er seine Arbeit vom sogenannten platonischen Standpunkt aus angeht: die Erscheinungen der Natur werden hierbei aus der umfassenden Schau eines Adlers gesehen, der die Landschaft als Ganzes sieht, ehe er sich aus ein Detail im Bild konzentriert.

Diese Arbeitsweise ist der der meisten Wissenschaftler entgegengesetzt, die sich bemühen, ein Bild vom Universum zu gewinnen, indem sie die unendlich vielen kleinen Teilchen untersuchen, denen sie im Laufe ihrer Forschungen begegnen. Professor Schrödingers Buch, das wegen ideenreichen und in der Tat einleuchtenden Art, die es hat, zu den gewichtigsten seiner Veröffentlichungen gezählt werden muß, zeigt, wieviel größer der Gewinn an Einsicht ist, wenn man die Untersuchung der einzelnen 'Tatsachen' vor dem Hintergrund der universalen Einheit des Bewußtseins vornimmt. Es verwundert nicht zu erfahren, daß er früh in seiner Laufbahn zu den intuitiven Schriften der alten indischen Philosophen hingezogen wurde und an dem alten Wort Tat twam asi - "Das bist du" - als dem Inbegriff ihrer Weltanschauung festhielt, auf dem er das Fundament und den Aufbau seiner Lebensarbeit und seines Denkens errichtete.

Meine Weltanschauung, der Form nach ein kleines Büchlein, gedacht als Aufruf an die Mitwissenschaftler, mag sich im Laufe der Zeit, hinsichtlich seines Einflusses auf die künftigen Forschungen, wohl als ein äußerst schwerwiegendes Buch erweisen. In einer außerordentlich konzentrierten Studie zögert Dr. Schrödinger nicht, Ideen auszusprechen, die den materialistischen Ansichten einiger seiner Kollegen diametral entgegengesetzt sind, er tut dies jedoch in der Hoffnung, eine Neuüberprüfung der Grundlagen anzuregen und für die Betrachtung der Welt und des Lebens im allgemeinen einen neuen Weg zu erschließen.

Seine These ist, daß das Universum nicht lediglich eine Reihe von materiellen Einheiten und Stücken verschiedener Größen ist, sondern wirklich ein einziges Bewußtsein, von dem die Materie eine Art der Erscheinung oder ein unvollkommener Ausdruck ist. In diesem Zusammenhang sieht er die Menschen als Aspekte des einen Bewußtseins in der gleichen Weise, wie die Facetten eines Diamanten innerlich dem Juwel zugehören.

An diesem Punkt können wir uns fragen: "Was ist Bewußtsein?" Dies ist keine neue Frage, und dennoch zählt sie zu denen, die während der gesamten aufgezeichneten Epochen gestellt wurden. Eines ist sicher: es ist mehr als die Wahrnehmung aller Geschehnisse oder ein Anhängsel einer Erfahrung, eines Ereignisses oder eines Gegenstandes. Gerade weil es uns schwerfällt, es befriedigend zu definieren, bedeutet dies nicht, daß Bewußtsein an sich nicht existiert oder lediglich ein Attribut von irgend etwas ist. Können wir nicht sagen, Bewußtsein gleicht einem weiten Ozean von Tropfen oder 'Zentren', der sich durch das gesamte Universum zieht? Wir schwimmen nicht darauf wie Treibholz, sondern vielmehr fließt es durch uns, jedes vorhandene Teilchen belebend. Dies scheint die Bedeutung der Worte zu sein, die symbolisch in vielen Schriften verwendet werden: "Die Wasser der Tiefe", die "Fülle des Raumes."

Das moderne Denken, besonders auf den Gebieten, die durch wissenschaftliche Forschung und daraus resultierende Spekulationen beeinflußt werden, befaßt sich mehr und mehr mit dem Bewußtsein. Dies zeigt einen gewaltigen Umschwung, der in den letzten Jahrzehnten vor sich gegangen ist. Der extreme Materialismus des neunzehnten Jahrhunderts hat einer fast unglaublichen Freiheit der Forschung Platz gemacht. Während damals das Bewußtsein lediglich als die Wirkung der Vibration von Molekülen im Gehirn angesehen wurde, lehren uns heute wagemutigere Forscher, daß das Gehirn selbst nur ein Organ des Bewußtseins ist. Wir fragen erneut: Was "instruiert" die Gene und ihre Moleküle? Was speist die großen Implosionen und Explosionen der Energien im Universum? Was sorgt für den Antrieb im Prozeß der Evolution? Und es gibt noch viele Fragen, die sich uns aufdrängen.

Der Astronom Dr. Harlow Shapley teilte uns unlängst in einem Fernsehinterview mit, daß es sehr wahrscheinlich sei, daß intelligente Wesen den Weltraum bevölkern, der so reichlich mit Sonnensystemen und galaktischen Universen übersät ist, daß es Grund zu der Annahme gibt, daß irgendwo Wesen existieren, die höher entwickelt sind als der Erdenmensch. Er malte weiterhin noch ein lebendiges Bild von einem ungeheuren biochemischen Prozeß, der den gesamten Kosmos umschließt, von den Atomen bis zu den größten uns bekannten Anhäufungen von Himmelskörpern. Was ist eine biochemische Tätigkeit, wenn sie nicht durch oder mit Bewußtsein angeregt wird? Professor Fred Hoyle trifft in der kürzlich veröffentlichten Aufzeichnung seiner im Jahr 1964 vor der Universität in Washington gehaltenen John-Danz-Vorlesungen eine ähnliche Feststellung. ... "Die Wahrscheinlichkeit, daß 'dort draußen' intelligentes Leben existiert, ist außergewöhnlich groß. Was hier auf der Erde geschieht, scheint mir ein Teil eines allgemeinen Prozesses zu sein, der keinesfalls speziell auf uns allein zutrifft."

Wir leben in einer neuen Zeit. Wissenschaftler schrecken nicht zurück, ihre Gedanken über unsichtbare oder nicht wahrnehmbare Vorgänge Ausdruck zu verleihen. Eines der zentralsten Probleme, das einige von ihnen beschäftigt, ist: Wie wird die Einheit zur Vielheit? - Wie kann sich das alldurchdringende kosmische Bewußtsein zu den unzähligen Wesenheiten differenzieren, die wir um uns wahrnehmen? Wir können zu unserer Analogie zurückkehren, bei der wir Bewußtsein mit einem Ozean verglichen, der wirklich eine Art Einheit bildet und doch durch eine unberechenbare Zahl von Wassertropfen und andere Stoffe tätig ist. So kann es ein universales Bewußtsein geben und gleichzeitig Massen von Bewußtseinszentren. Beide bilden keinen Widerspruch noch schließen sie sich gegenseitig aus, obgleich Professor Schrödinger der Ansicht ist, daß sie zwei verschiedene, sich gegenseitig ausschließende Auffassungen sind und die letztere ablehnte. Bewußtsein ist beides: eines und vieles, und was ein Unterschied zu sein scheint, ist in Wirklichkeit illusorisch.

Es gibt einige Philosophen, die behaupten, die Welt sei selbst eine Illusion, und daß sie nur in der Vorstellung der Menschen existiere, die sie betrachten. Aber sie verwechseln das Ding an sich mit den Bezeichnungen, die die Menschen geben. Das Universum, das wir sehen, ist keine Illusion, es existiert. Das Bild vom Universum, das wir uns auf Grund unserer Sinneseindrücke in unserem Gehirn gebildet haben, ist die Illusion. Ein Sanskritwort, das im Westen während der vergangenen Jahre populär wurde, lautet maya: "Illusion". Indische Philosophen lehrten, daß dieses 'Tal der Tränen' nicht so ist, wie es erscheint, aber sie sagten nie, es existiere nicht. Das Beispiel, das sie anführten, war der Anblick eines zusammengerollten Seils, wenn man es in der rasch eintretenden kurzen Dämmerung Indiens sieht. Der Betrachter mag es für eine Schlange oder ein langohriges Kaninchen halten. Doch keines dieser Tiere ist da, aber das Seil existiert!

Sinneseindrücke aller Art gelangen in das Gehirn, aber hinter dem Gehirn steht ein 'Wisser', der das Gehirn als Sammelstelle benützt und aus dem Chaos der hereinkommenden unzusammenhängenden Informationen eine Ordnung bildet, die geheimnisvoll zu Bildern, Gedanken und Gefühlen zusammengefügt und geformt ist.

Die größte Einsicht in die Tätigkeit des Bewußtseins können wir vielleicht gewinnen, wenn wir das Gebiet der Sprache betrachten. Milliarden Menschen leben auf dieser Erde und wir alle haben unsere eigenen Erfahrungen. Irgendwie sind wir fähig über diese miteinander in Kommunikation zu treten. Wörter können dabei das Medium sein, das wir verwenden; wie kommt es aber, daß die Bedeutung, die in der Anwendung der Worte durch eine Person liegt, in einer anderen Person lebendig wird? Wir können sagen, daß dieses 'Wissen' durch Nachdenken erreicht wird. Es ist etwas gemeinsames in dem ganzen Vorgang und die einzige voll befriedigende Erklärung für diese gemeinsame Eigenschaft ist, daß ein alldurchdringendes Bewußtsein sich durch Wesenheiten zum Ausdruck bringt.

Professor Schrödinger gibt die Anregung, daß nicht nur ein Prozeß der Evolution vorhanden ist, der den gesamten Kosmos umschließt, sondern daß die Stufen der Entwicklung über den Menschen hinaus auf eine zunehmende Selbstlosigkeit gerichtet sind. Er ist einer der vielen, die bemerkt haben, daß im menschlichen Charakter ein wachsender Einfluß wirksam ist:

... in der Tatsache, daß jedem normal veranlagten Menschen von heute die Uneigennützigkeit als unbezweifelter theoretischer Wertmesser, als ideale Richtschnur des Handelns gilt - er mag sich in seinem Handeln noch so himmelweit von dieser Richtschnur entfernen - in dieser höchst merkwürdigen und gerade im Kontrast zu den wirklichen Handlungen der Menschen schier unbegreiflichen Tatsache erblicke ich ein Anzeichen dafür, daß wir am Beginn einer biologischen Umbildung von egoistischer zu altruistischer Einstellung stehen. - S. 100 (deutsche Ausgabe)

Professor Schrödinger beabsichtigte nicht, daß seine Überlegungen ohne Nachdenken übernommen und wie reife Früchte verzehrt werden sollten, sondern als Anregungen zu weiterem Nachdenken. Wir können mit ihm übereinstimmen, daß Bewußtsein in den Evolutionsprozess eintritt, aber wir brauchen nicht mit ihm übereinzustimmen, daß es lediglich das daraus resultierende Endprodukt ist. Vielmehr ist es der Motivator hinter oder in allen "biologischen Transformationen", die vor sich gehen mögen. Wenn wir uns umwandeln, was sicherlich der Fall ist, dann tun wir es täglich, jede Erfahrung stellt einen weiteren Meißelschlag gegen den widerspenstigen Klotz dar, aus dem wir uns zu besser vollendeten Menschen formen wollen. Wie wird dies erreicht? Es ist nicht die Evolution, die auf uns einwirkt ... vielmehr sind wir es, die uns zu der Form meißeln müssen. Wie Dr. Schrödinger es ausgedrückt hat: es ist und muß eine "beständige Selbstüberwindung" sein.

Wir werden diesen Vormarsch fortsetzen und uns schließlich mit all unseren Vorgängern und jenen verbinden, die uns folgen, mit zunehmendem Wissen von der Einheit des Lebens selbst, welches sich durch die Vielfalt der Wesen offenbart, vom Kleinen zum Großen. In der Tat liegt in der Erfahrung dieser Tatsache ein Zauber. Um noch einmal Professor Schrödinger zu zitieren:

Kurz gesagt ist die Meinung die, daß wir Lebewesen alle dadurch zusammengehören, daß wir alle eigentlich Seiten oder Aspekte eines einzigen Wesens sind, welches man in westlicher Terminologie Gott nennen mag, während es in den Upanishaden Brahman heißt.

Dies ist noch erhebender als die abschließenden Worte in der Vorlesung von Professor Hoyle, der anklingen läßt, daß die Götter des Altertums oder 'Intelligenz' in den ferneren Bereichen des Raumes entdeckt werden mögen. Sie leben bereits in uns!

Fußnoten

1. My View of the World, übersetzt aus dem Deutschen von Cecily Hastings. Cambridge University Press, 1964. 110 pages, $ 3.50. (Originalausgabe: Meine Weltansicht von Erwin Schrödinger, Paul Zsolnay Verlag, 1961. 179 Seiten, DM 8.80) [back]