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Das Geheimnis von Stonehenge – 1. Teil

Seit Jahrhunderten gaben die riesenhaften Ruinen, die in England auf der Ebene von Salisbury stehen, zu lebhaften Spekulationen Anlaß. Waren sie ein Tempel, der von den Druiden für ihre heiligen Riten erbaut wurde? Oder sind sie vielleicht tausende von Jahren älter? Welchem Zwecke dienten sie? Vor kurzem äußerte sich Dr. Gerald Hawkins von der Universität Boston dahingehend, daß Stonehenge ursprünglich ein astronomisches Observatorium gewesen sei. Das Columbia Broadcasting System prüfte Dr. Hawkins Theorie durch eine photographische Aufnahme nach, die am Tage der Sommersonnenwende an Ort und Stelle gemacht wurde, und brachte die Sendung am 1. Februar 1965 in einem farbigen Fernsehprogramm für die Allgemeinheit, in dem auch die Meinungen mehrerer Experten der Archäologie und Prähistorie aus Großbritannien wiedergegeben wurden. - Der Herausgeber

 

 

 

 

Charles Collingwood: Sie können jetzt verfolgen, wie die Sonne aufgeht, so wie sie es dreihundertfünfundsechzigmal im Jahr tut, so wie sie seit tausenden von Jahren aufgeht - im Goldenen Zeitalter der Menschheit - seit Beginn der Geschichte und in vorgeschichtlicher Zeit.

Dennoch ist dies ein ganz und gar ungewöhnlicher Sonnenaufgang. Er bildet den entscheidenden Teil eines wissenschaftlichen Experimentes, das nur zur Sommersonnenwende im Augenblick der Morgendämmerung in einer vorgeschichtlichen Ruine gemacht werden kann. Dieses Experiment verbindet vielleicht eines der ältesten bedeutungsvollsten Werke von Menschenhand, den 4000 Jahre alten Sarsen Kreis (Sandsteinblock-Kreis) von Stonehenge, mit einem überragenden technischen Wunder des zwanzigsten Jahrhunderts. Es ist beabsichtigt eine Theorie zu überprüfen, die die bestehende Überlieferung anzweifelte und unter den Wissenschaftlern eine der aufregendsten wissenschaftlichen Kontroversen unserer Zeit entfachte, eine Theorie, die dem prähistorischen Menschen eine Begabung und ein Wissen zuschreibt, die verschiedene Experten für unmöglich halten.

Stonehenge hat schon immer Dichter, Archäologen, Astronomen und Touristen angezogen, die alle in ihrer Weise eine Antwort auf die einzige Frage suchten - wofür? Wenn die Sonne bei diesem Experiment, von dem Sie in der nächsten Stunde Zeuge sein werden, einem vorgezeichneten Plan rund um diese Steine folgt, ist vielleicht ein gut Teil des Geheimnisses gelöst, das den Menschen jahrhundertelang nicht zur Ruhe kommen ließ.

 

Ansager: "Das Geheimnis von Stonehenge" mit dem Berichterstatter des CBS, Charles Collingwood.

Collingwood: Sie befinden sich jetzt 90 Meilen von London entfernt. Aber irgendwo ließen Sie auf dieser zweieinhalbstündigen Fahrt über die Ebene von Salisbury die Welt hinter sich. Sie verließen all die Tausende von Jahren aufgezeichneter Geschichte und betreten die dunkle, zeitlose Welt der Vorgeschichte. Stonehenge - riesig, brütend, ständig von Krähen belagert - eine verlassen in der Ebene stehende Ruine, erbaut von einer Rasse, die jetzt verblichen und vergessen ist.

Legenden ranken sich um diese Steine. An diesem Ort, sagt man, tötete Hengist der Sachse vierhundert britische Edelleute durch Verrat. Hier, wo auf der grauen Ebene das Blut floß, wurde das Monument zum Gedächtnis der Erschlagenen errichtet. Wahr ist, daß Stonehenge bereits eine Ruine war, als die Sachsen dieses Weges kamen, auch schon als römische Soldaten 2000 Jahre früher im Urlaub einen Ausflug über die Ebene von Salisbury machten, um die Ruine zu besichtigen und die gleichen Fragen stellten, wie wir sie heute noch stellen.

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Wer hat es errichtet? Welche Menschen schrieben ihre Aspirationen, ihre Träume, ihre Schrecknisse hier in Stein nieder, lange bevor die Griechen Troja einnahmen, Moses den Auszug der Juden aus Ägypten anführte, oder Hammurabi in Babylon sein Gesetzbuch schrieb? In jenen Ländern hat die Vergangenheit ihre Geschichte hinterlassen, aber die Steine auf dieser Insel sind stumm und anonym. Werden wir ihre Botschaft jemals lesen?

Gewisse Menschen sagen, die Botschaft ist eindeutig: Stonehenge war der Tempel einer alten keltischen Priesterschaft, der Druiden. Diese Gruppe behauptet, deren Ritual und einige ihrer ausgezeichneten Ideen zu kennen.

 

Maughm: Die Druiden gehören einer von uns unerforschten Zeit an, und nach unseren Überlieferungen haben die Druiden Stonehenge erbaut. Wir verlangen von niemandem, das zu glauben, und es ist uns gleich, ob diese Erklärung angenommen wird oder nicht. Auf Grund unserer Aufzeichnungen ist das unsere Überlieferung. Wir glauben, daß die Druiden als Repräsentanten des Volkes Stonehenge besaßen.

Gehe auf, o Sonne, lasse die Finsternis der Nacht in den Strahlen deines herrlichen Lichtes dahinschwinden.

Collingwood: Von allen Legenden über Stonehenge ist die beharrlichste, daß die Druiden es erbauten. Aber sie taten es nicht.

Der Autor Patrick Moore widerlegt diese Ansprüche mit einigen wissenschaftlichen Tatsachen.

 

Moore: Es gibt keinen Beweis, daß die Druiden überhaupt irgendwelche Beziehung zu Stonehenge hatten, und sehr viel zeugt dafür, daß es nicht der Fall war. Das war überhaupt nicht ihre Tempelart, und die Zeitangaben sind auf jeden Fall ganz falsch. Die ältesten Teile von Stonehenge mögen etwa um 2000 v. Chr. errichtet worden sein - jedenfalls um diese Zeit - und etwa 1000 v. Chr. wurde es sicherlich vollendet. Nirgends findet sich 300 v. Chr. ein Hinweis auf den druidischen Kult in Britannien, und wir können tatsächlich ganz sicher sein, daß es in Britannien 400 v. Chr. keine Druiden gab. So ist also Stonehenge von den Druiden zeitlich so weit entfernt, wie wir von dem Einfall der Normannen in Britannien.

Maughm: Die Archäologen wissen weder das Eine noch das Andere. Doch aus irgendeinem geheimnisvollen Grunde scheinen sie zu wissen, daß die Druiden mit Stonehenge nichts zu tun hatten. Ich weiß nicht, wie sie diese beiden Tatsachen in Einklang bringen.

Collingwood: Wenn die Druiden Stonehenge nicht errichteten, wer errichtete es? Die Tatsachen in Einklang zu bringen, bedeutet für die Archäologen ganze Arbeit machen und sie tun sie nicht in Bibliotheken. Professor Richard Atkinson vom Universitäts College in Cardiff verbrachte 15 Jahre mit der Erforschung dieses Geheimnisses. Unter seiner Leitung wurde diese alte Erde handvoll um handvoll durchkämmt und gesiebt und so konnten die wenigen geschichtlichen Überbleibsel zusammengefügt werden. Nicht viel hat 4000 Jahre überlebt. Es ist nicht viel davon vorhanden, wo und wie das Volk lebte, das Stonehenge aufbaute. Aber seine Hünengräber sind über die Ebene verstreut und Atkinson hat mit seinen dürftigen Anhaltspunkten ein Bild zusammengestellt.

Die Menschen, die etwa 2000 v. Chr. diese großen Gräber anlegten, brachten als Umwälzung der Lebensweise den Ackerbau an Stelle der Jagd. Ihrem Baustil lag bereits eine allgemein gültige Maßeinheit zu Grunde, die in ganz Britannien galt. Es ist auch Zeugnis vorhanden, daß sie Menschen opferten. Das ist das Volk, das wahrscheinlich den ersten Stonehenge Kreis angelegt hat. Die steinzeitlichen Ackerbauer wurden 1800 v. Chr. von Menschen unterworfen, die Waffen aus Bronze benutzten. Diese bauten den großen Steinkreis zu Avebury, und sie könnten das zweite Stonehenge erbaut haben. Zu dieser Zeit traten Unterschiede im Wohlstand in Erscheinung und Klassenunterschiede mit einer Aristokratie der Krieger, so wie es Homer beschrieb. Silbury Hill war der größte prähistorische Grabhügel in Europa. Die Archäologen glauben, daß irgendwo in ihm der größte Anführer begraben liegt, der um 1500 v. Chr. den Aufbau von Stonehenge vollendete.

Um etwas über die Vergangenheit herauszufinden, gebrauchen die Archäologen viele technische Vorrichtungen und wenden sich an viele wissenschaftliche Disziplinen. Fortschritte in der Chemie und Physik ermöglichen ihnen das Alter von Stonehenge festzustellen. Alles, was lebt, enthält Partikel radioaktiven Kohlenstoffs. Wenn ein Organismus stirbt, beginnt dieser Kohlenstoff sich in einem bekannten Maße zu vermindern. Man prüft, wieviel in einem organischen Rest verblieben ist und man kennt sein Alter. Ein Hirschgeweih von Stonehenge, dessen Ende als Gerät zum Graben verwendet wurde, zeigte bei Überprüfung, daß es vor 4000 Jahren, also eintausend Jahre vor den Druiden, benutzt wurde. Männer vieler Wissenschaften haben an dem Geheimnis von Stonehenge gearbeitet. Geologen forschten nach dem Ursprung der Steine. Botaniker, die fossile Pollen untersuchten, stellten seltsamerweise fest, dass die Witterung um Stonehenge, als es errichtet wurde, das ganze Jahr hindurch beträchtlich wärmer war. Aber die Entdeckung, die am meisten überraschte, machte die astronomische Wissenschaft. Die "Ausgrabung" erfolgte an einem Observatorium 4000 Meilen von Stonehenge entfernt.

Dr. Gerald Hawkins, ein Astronom am Harvard Smithsonian Astrophysical Observatory und Professor an der Universität Boston, entwickelte eine aufsehenerregende und revolutionäre Theorie, die vielleicht das Geheimnis von Stonehenge lüften kann.

 

Hawkins: Ich bin überzeugt, daß Stonehenge ein astronomisches Observatorium war und auch zur Berechnung der Bewegungen des Mondes über den Horizont, benützt wurde. Meiner Meinung nach sollte Stonehenge als achtes Wunder der alten Welt eingestuft werden. Lange Zeit hat es viele Spekulationen über die Astronomie in Stonehenge gegeben, und ohne allzuviel darüber nachzudenken, war es mir klar, daß es ein Observatorium war. Ich war ziemlich überrascht, als ich bemerkte, daß keine genauen astronomischen Berechnungen angestellt worden waren, und so fing ich als Astronom zuerst an über alle Möglichkeiten der überdeckten Gänge und Durchblicke auf dem Platze Berechnungen anzustellen.

Collingwood: Die überdeckten Gänge - 6,60 m hoch und nur 33 cm breit, sind zu eng, um hindurch zu gehen. Wozu wurden sie dann gebaut? Die Astronomen antworten "Um durch sie hindurch Himmelskörper zu beobachten." Nach den Überlieferungen markiert die Mittellinie von Stonehenge den Sonnenaufgang zur Sommersonnenwende. Ein Felsblock, als Schlußstein bezeichnet, zeigt die genaue Stelle. Die Wissenschaftler sagten, daß es nur eine Annahme sei und ohne Beweiskraft, aber nach Hawkins Angaben bezeichnet der Schlußstein die Stelle ganz genau.

Was markierten die anderen Steine? Er übergab den Plan von Stonehenge einer Hollerithmaschine. Jede Position von den Steinen, den Durchblicken und überdeckten Gängen wurde vermessen und die Positionen automatisch auf Karten gelocht. Die Frage, die er beantwortet haben wollte: Zeigten irgendwelche Kombinationen der Steine oder überdeckten Gänge 2000-1500 v. Chr. in die Richtung des Aufgangs- oder Untergangspunktes irgendwelcher Himmelskörper? Er erwartete einen Zusammenhang mit den Planeten und allen größeren Sternen. Die Sonne geht im Frühling im Osten auf. Bis zur Sommersonnenwende rückt der Aufgangspunkt am Horizont nach und nach weiter nach Norden. Dann beginnt sie ihren rückwärtigen Lauf. Im Herbst geht sie wieder im Osten auf. Dann bewegt sie sich bis zur Wintersonnenwende nach Süden, kehrt dann zurück, um den Jahreszyklus zu wiederholen. Der Punkt für den Mondaufgang bewegt sich komplizierter am Horizont hin und zurück, als der der Sonne. Für jede seiner Schlüsselstellungen war eine Karte vorhanden. Nach wiederholten Vermessungen wurden über 200 Positionen von Steinen und Durchblicken dem Elektronengehirn zur Auswertung übergeben. Diese Positionen wurden in gleichwertigen Entsprechungen verwendet und die Richtungen, in die sie am Horizont wiesen, wurden berechnet. Die Antwort kam in 60 Sekunden von der Maschine. Sterne in diesen Richtungen - keine Verwandtschaft; Planeten keine; aber für die Sonne fand die Maschine zehn zutreffende Richtungen. Und dann die Überraschung: Vierzehn von den in Stonehenge festgelegten Richtungen deuten direkt auf die Hauptpunkte für den Aufgang und Untergang des Mondes. Vierundzwanzig genaue Richtungsanweisungen, die alle auf die Berechnung begründet waren, daß die Sonne zur Sommersonnenwende direkt über dem Schlußstein aufging. Der Historiker Diodorus aus Sizilien schrieb 50 v. Chr.:

Auf der Insel Hyperborea gibt es ein stattliches, dem Apollo geweihtes, heiliges Gebiet und einen merkwürdigen kreisförmigen Tempel. Wenn man auf dieser Insel den Mond betrachtet, scheint er nur wenig von der Erde entfernt zu sein. Es wird auch berichtet, daß der Gott die Insel alle 19 Jahre besucht.

Könnte England dieses Hyperborea gewesen sein? Ein Archäologe sandte Hawkins das Zitat und fragte, ob sich mit dem Mond alle 19 Jahre etwas Sensationelles ereignen könnte. Hawkins reagierte schnell - eine Finsternis, vielleicht über dem Schlußstein?

Für die Menschen des Altertums war eine Finsternis in Stonehenge einfach schrecklich. Selbst heute schlagen primitive Völker auf Pfannen und schießen mit Flinten, um die bösen Geister zu vertreiben, die den Mond verschlingen wollen. Ein Steinzeit-Priester, der wußte wann eine Verfinsterung stattfinden würde, hatte eine gewaltige Macht.

Hawkins wandte sich wieder mit den Berechnungen an das Elektronengehirn, um etwas über die Vollmonde herauszufinden, wann sie verfinstert waren, und wann sie über dem Schlußstein waren. Die erste Zahl aus der Maschine war die, die er suchte - 19 Jahre. Der Vollmond zur Wintersonnenwende kreiste über dem Schlußstein in Intervallen von 19 Jahren - 19 Jahren - und 18 Jahren. Der ganze Zyklus 56 Jahre.

Welche Bedeutung hatte das? Dabei erinnerte er sich jener 56 weißen Male rund um den äußeren Kreis von Stonehenge. Sechsundfünfzig mit Kreide gefüllte Löcher, die nach ihrem Entdecker Aubrey-Löcher genannt werden. Die Archäologen waren nie in der Lage jene Löcher zu erklären. Sie bildeten das verwirrendste Geheimnis von Stonehenge. Zu welchem Zweck wurden sie gegraben? In ihnen steckten niemals Pfosten oder Steine. Sobald sie gegraben waren, wurden sie wieder aufgefüllt. Niemand konnte ihren Zweck oder ihre besondere Zahl erklären. Sechsundfünfzig Löcher - 56 Jahre im Zyklus der Verfinsterungen. War das nur eine seltsame Übereinstimmung? Er begann zu experimentieren. Angenommen, man steckt Markierungssteine in gewisse Aubrey-Löcher und steckte sie jedes Jahr um ein Loch weiter. Wenn ein bestimmter Stein in einem bestimmten Loch anlangte, dann würde das das Jahr einer Verfinsterung sein. Und wenn der Stein genau im überdeckten Gang des Sarsen Zirkels war, bestimmte das den Tag. Wenn man die Tage nach dem Sarsen Zirkel und die Jahre nach den 56 Aubrey-Löchern berechnet, könnte man Stonehenge als Rechenmaschine zur Voraussage der Verfinsterungen benützen. Unglaublich? Die Zahlen lagen vor ihm. Es gab keinen Zweifel, auf dem Papier stimmten sie. Würden sie sich auch in Stonehenge als richtig erweisen? Professor Atkinson war nicht sicher, daß das wirklich der Grund für das Vorhandensein jener 56 Aubrey-Löcher war.

 

Atkinson: Nun dieser Hinweis hier ist wirklich ein Weg zur Erklärung, weshalb 56 dieser Löcher vorhanden sind und nicht 55 oder 57 oder irgendeine andere Anzahl. Es deutete an, daß diese 56 Aubrey-Löcher als eine Art Rechenmaschine für einen besonderen Zweck, für die Voraussage der Verfinsterungen, benutzt worden sein konnten. Aber darum dreht es sich eigentlich gar nicht. In Wirklichkeit handelt es sich darum: wurde es so gemacht; haben sie die Aubrey-Löcher tatsächlich zu diesem Zweck angelegt und haben sie sie für die Voraussagen der Verfinsterungen gebraucht? Ich finde es sehr schwer, sich das vorzustellen. Diese Menschen waren heulende Barbaren, wie ich sie nennen würde. Sie waren praktisch Wilde und alles andere, was wir über sie wissen, deutet an, daß sie für einen solchen Grad wissenschaftlichen und technologischen Folgerungsvermögens ganz unfähig waren.

Collingwood: Dr. Glyn Daniel, Professor für Vorgeschichte, Cambridge-Universität:

 

Daniel: Wenn Sie lesen, daß Menschen sie als Barbaren oder als "heulende Wilde" beschreiben, dann ist das ein vollkommen falscher Begriff von Ihnen.

Collingwood: Waren sie so intelligent wie die heutigen Menschen?

Daniel: Ich möchte meinen, daß die Menschen zur Zeit von Stonehenge nicht nur in der Bearbeitung von Stein geschickt waren, sondern Menschen, die auf dem Meere vom östlichen Mittelmeer nach Britannien reisen konnten. Sie müssen daher gute Seefahrer und gute Schiffbauer gewesen sein. Ich glaube, sie waren sehr intelligent.

Collingwood: Eine Theorie kann in Harvard, vom Schreibtisch aus, stimmen, aber an Ort und Stelle mag es vielleicht etwas anders sein. Konnte Hawkins die Antworten bekommen, die er zur Sommersonnenwende in Stonehenge zu erhalten wünschte? Er flog nach England, um seine Theorie am Ort nachzuprüfen und unterhielt sich mit dem Berichterstatter Alexander Kendrick.

 

Kendrick: Es sieht nicht wie ein Observatorium in unserem Sinne des Wortes aus, nicht wahr? Wie arbeitete es?

Hawkins: Sie würden es nicht als ein Observatorium erkennen. Die modernen Observatorien haben Teleskope und Kuppeln. Die alten Briten arbeiteten mit dem einzigen Material, das ihnen zur Verfügung stand, und das war Stein. Diese Steine sind an sehr genau bestimmten Stellen aufgestellt. Sie markieren den Aufgang und den Untergang der Sonne und des Mondes das Jahr hindurch und die Genauigkeit, mit der diese Steine gesetzt sind, ist bemerkenswert. Ich bezweifle, daß wir das heute ohne eine Menge sorgfältiger Prüfungen könnten. Indem sie nun die Sonne und den Mond beobachteten, konnten sie ihren Kalender einstellen, sie konnten das Jahr verfolgen und was noch wichtiger ist, dessen bin ich sicher, sie konnten damit Verfinsterungen voraussagen. Es ist ein Instrument, mit dem sie die Bewegung der Sonne und des Mondes so sorgfältig verfolgen konnten, daß sie sogar die Finsternisse voraussagen konnten.

 

Kendrick: War die Sonne wirklich so beständig? Hat sie damals hier mehr geschienen als jetzt?

Hawkins: Es ist keine Übertreibung zu sagen, daß man Stonehenge heute nicht hätte bauen können. Das Wetter ist in England leider nicht gut genug. Nein, sie müssen bessere Bedingungen gehabt haben; und wenn man die Aufzeichnungen studiert, so kommt man immer mehr zu der Überzeugung, daß um 2000 v. Chr. in England sehr mildes Wetter war. Sie wird die hypothermale Zeit genannt. Ob wir es glauben oder nicht, es herrschte fast ein mediterranes Klima hier.

 

Kendrick: Wenn wir jedoch mit dem Vorsprung von heute Rückschau halten, so stellen wir uns vor, daß Stonehenge nach einem Plan angelegt wurde. Ist es denkbar, daß kein Plan vorhanden war und es sozusagen einfach gewachsen ist?

Hawkins: Wenn auch nur ein Beobachtungspunkt markiert wäre, so hätte es Zufall sein können, aber ich fand Dutzende solcher Positionen. Das kann man unmöglich dem Zufall zuschreiben. Es bestand also ein Plan, und zwar ein sehr grandioser Plan. Alles ist bei diesem Monument mit dem Aufgang und dem Untergang der Sonne und des Mondes verbunden, und das ganze Unternehmen diente einem einzigen Gedanken und einer kulturellen Idee.

 

Kendrick: Sie bezeichnen es sozusagen als eine einem Zweck dienende Basis. Könnte es nicht auch eine religiöse Bedeutung gehabt haben?

Hawkins: Sicherlich. Wenn wir von der Sonne und dem Mond sprechen, dürfen Sie nicht vergessen, daß ich Astronom bin. Für die Menschen von Stonehenge war die Sonne wahrscheinlich der Gott und der Mond vielleicht die Göttin. Ohne Zweifel beobachteten sie ihre Götter, wie sie aufgingen und untergingen; sie folgten ihnen am Himmel und hatten das Gefühl, daß sie mächtige Wesenheiten sind.

 

Kendrick: Aber könnten sie diese dann nicht eher einfach als mächtige Wesenheiten betrachtet haben, und nicht als einen Kalender, der sich Jahr für Jahr wiederholt.

Hawkins: Ja, sie folgten ihnen, weil sie sich vor ihnen fürchteten, und ich sage auch nicht, daß sie lediglich und einfach nur Astronomen waren. Die Astronomie kam vielleicht erst tausend oder zweitausend Jahre später auf. Aber sie hatten Sinn für Präzision und sie brauchten immer wieder die Beruhigung, daß ihre Götter in der bestimmten Richtung waren. Ich glaube, wenn die Sonne an der falschen Stelle aufgegangen wäre, wären sie erschrocken, und ich glaube, auch wir heute hätten ein merkwürdiges Gefühl, wenn sich die Sonne seltsam benähme.

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Bildtext: Luftaufnahme von Stonehenge: Schlußstein außen links, Aubery-Löcher bilden den äußeren Kreis.

Kendrick: Aber, Professor, diese Menschen waren Menschen des Steinzeitalters, und das archäologische Beweismaterial zeigt, daß sie ein recht rohes und barbarisches Leben führten. Ist es möglich, daß ein Volk, das in anderen Aspekten so weit zurück ist, in diesem einen, das heißt in der Anwendung angesammelten wissenschaftlichen Wissens so weit fortgeschritten ist?

Hawkins: Nun, barbarisch ist ein hartes Wort. Sie waren keine Barbaren. Sie waren keine rasenden Verrückten oder unkultivierte, schwerfällige Menschen ohne Verstand. Sie waren sehr intelligent, sonst konnten sie dieses Werk nicht ausführen, und es ist ungerecht, sie nur auf Grund der einzigen bisher gedeuteten wenigen Tonscherben und Überreste aus Stein zu beurteilen. Wenn man nichts davon versteht, könnte man es barbarisch nennen. Der Archäologe gräbt Knochen aus, aber nicht das Gehirn. Was wäre, wenn wir in tausend Jahren nachgraben und Scherben von Kaffeetassen und Steinkrügen finden würden. In zweitausend Jahren könnte das als Beweis angesehen werden, daß wir Barbaren waren. Sie sehen, diese Menschen konnten nicht lesen, weil sie nicht schreiben konnten, aber ich glaube nicht, daß sie unintelligent waren. Ich betrachte diese Steine und die Art, wie sie aufgestellt wurden, als ein sehr dauerhaft geschriebenes Dokument. Jeder Stein, jeder größere Stein und jeder Durchblick an diesem Monument kann durch die einfache astronomische Theorie erklärt werden; und so bin ich der Meinung, daß wir etwas ganz Kompliziertes vor uns haben, das einfach nicht zufällig entstanden sein kann. Die Wahrscheinlichkeit, daß ich Unrecht habe, steht tatsächlich Millionen zu eins zu meinen Gunsten. Alles spricht sehr für mich.

 

Daniel: Professor Hawkins Theorie ist sehr interessant und niemand sonst kann mir erklären, warum es gerade 56 sein sollten. Wenn Sie einen Kreis aufteilen, ist 56 dabei eine sehr sonderbare Zahl. Ich habe in Cambridge mit hervorragenden Mathematikern wie Fred Hoyle und Ray Littleton darüber gesprochen und beide sagten, es sei durchaus möglich. Es ist durchaus möglich, daß Menschen, die nicht schreiben können, eine Rechenmaschine dieser Art hatten und deshalb war Stonehenge nicht zufällig errichtet worden. Deshalb besteht auch ein Grund für diese 56 Punkte. Ob es der Grund ist, den Professor Hawkins angibt, wissen wir nicht; aber Zufall ist es nicht.

Collingwood: Hawkins Theorie ist die aufsehenerregendste und mutigste, die je über Stonehenge aufgestellt wurde. Wenn unser Experiment beweist, daß er Recht hat - wenn es ein Observatorium war, wenn die Menschen vor 4000 Jahren diese furchterregende Erscheinung, eine Mondfinsternis, voraussagen konnten - dann würden sie eine Intelligenz, eine Fähigkeit besessen haben, von der wir nie träumten. Konnten sie es? Um die volle Bedeutung von Hawkins Theorie zu verstehen, müssen wir die uns verbliebenen Anhaltspunkte studieren: die Überreste von Stonehenge.

Wenn Sie, wie so viele Menschen der ganzen Welt, nach Stonehenge gehen, können Sie das Geheimnis wahrnehmen. Der Platz an sich ist so bemerkenswert, daß Sie anfangs dieserhalb überhaupt keine Fragen stellen. Doch je länger Sie beobachten, desto mehr möchten Sie wie Professor Hawkins gerne wissen: "Welchem Zweck diente es, wer hat es errichtet und wie wurde es gemacht?" Sie können Stonehenge in einer halben Stunde 'erledigen' und einen Aschenbecher als Andenken mitnehmen. Doch den meisten Menschen geben diese Ruinen mehr. Die täglichen Besucher erkennen, daß sie hier mit Großem in Berührung kommen.

Die traditionelle Besichtigung von Stonehenge beginnt am Schlußstein. Dreihundertfünfzigtausend Menschen kommen jedes Jahr hierher, um ihn zu bestaunen. Professor Atkinson erzählte mir, daß Sarsen ein besonderer Stein ist, ein alter Sandstein vom Meeresgrund, der härter ist als Granit. Dieser Felsblock wiegt 35 Tonnen. Der Schlußstein ist von Anfang an da gewesen. Die steinzeitlichen Ackerbauer stellten ihn außerhalb des frühesten Stonehenge auf.

Der breite Graben und der Erdwall umschlossen das erste Heiligtum, ein Kreis mit 115 m Durchmesser. Genau innerhalb des Walls liegen die 56 Aubrey-Löcher 4,30 m auseinander. Sie sind so genau angeordnet, daß man heute Vermessungsbeamte brauchte, um sie anzulegen. Um ihr Geheimnis noch zu vergrößern enthielten einige der Aubrey-Löcher die Asche von Menschen, die erst in späteren Jahren dorthin kam. Eine Anlage für Berechnungen? Hawkins will versuchen, das zu beweisen. Stonehenge's zweite Phase, lange vor der Zerstörung und dem Wiederaufbau, bestand einmal aus einem doppelten Kreis kleinerer blauer Steine. Davon wurden achtzig, von denen jeder etwa vier Tonnen wiegt, von Prescelly, einem 140 Meilen entfernten heiligen Berg an der Küste von Wales, hergeholt. Am Gipfel dieses Berges bilden die blauen Steine Zinnen und an seinen Hängen scharfe Kanten. Unten an den Hängen befindet sich viel Geröll aus Felsblöcken, aus denen die Erbauer von Stonehenge die Steine aussuchten, die sie brauchten. Von den prescillianischen Bergen mußten die Steine über Land zum Milford Haven, dem großen geschützten natürlichen Hafen im Süden von Pembrokeshire, geschafft werden. Dort wurden sie wahrscheinlich auf irgendwelche Floße oder Boote verladen und der größte Teil des Weges nach Stonehenge auf dem Wasser zurückgelegt. Zuerst auf See entlang der Südküste von Wales, dann auf verschiedenen Flüssen in England, zum Schluß den Fluß Avon hinauf bis ungefähr zwei Meilen vor Stonehenge. Vom Ufer des Avon machten sie den letzten Teil ihrer Reise wahrscheinlich wieder auf Schlitten. Sie kamen über das Hügelland und die Stonehenge Allee herunter und endeten am Eingang des Erdwalles von Stonehenge.

Die blauen Steine des zweiten Stonehenge wirken neben den drei großen Sarsen klein. Ihr Name kommt von "Saracen" oder fremder Stein. Früher waren es 30 solche Steine, aufgestellt in einem gewaltigen Kreis, mit Quersteinen darüber und hufeisenförmig aufgestellten großen überdeckten Gängen im Zentrum. Die Sarsen wurden vom Hügelland von Marlborough, ungefähr 20 Meilen nördlich, hierher gebracht. Marlborough ist ein hügeliges Kreideland, wo man noch an vielen Stellen auf der Oberfläche dicht verstreut große Sarsenblöcke im Grase liegen sehen kann. Wir können uns wirklich nicht vorstellen, wie diese Blöcke hierher geschafft wurden, aber unsere Phantasie kann uns dabei helfen. Vor allem mußten die Steine zur passenden Größe zugerichtet werden, um sie mit ihrem außerordentlichen Gewicht sicher transportieren zu können. Sie könnten die Ränder erhitzt und dann kaltes Wasser auf die erhitzte Linie gegossen haben, um ihn zu spalten und schwere Felsbrocken darauf fallen gelassen haben, um ihn zu zerteilen. Hernach konnten sie auf große Holzschlitten verladen und über Schienen aus Walzen aufgestapelt werden. Mit 1500 Menschen würde es zehn Jahre gedauert haben, die Steine nach Stonehenge zu bringen. Dieses verblüffende Meisterstück verlangt nach einer weiteren Erklärung durch Dr. Atkinson.

 

(Fortsetzung folgt)