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Die endlosen Hierarchien der Natur

Wer kann die Konstitution des Universums erklären, oder wer kennt jenes Mysterium, das die Philosophen und die wissenschaftlichen Gemüter seit Zeitaltern zu deuten versuchten? Das meiste, was irgendein Mensch sagen kann, ist, daß er über gewisse Aspekte unseres Sternenheimes, in dem unsere eigene Sonne lebt und sich bewegt, und in dem Millionen ähnlicher Sonnen leben und sich bewegen, ein klein wenig Bescheid weiß. Während sich der Wissenschaftler dem Gegenstand von einem Standpunkt aus nähert und der Philosoph von einem andern, haben die Religionslehrer von Zeit zu Zeit der Menschheit Schlüsselideen überlassen, die die Gewohnheiten der Natur und beachtbare Erscheinungen in einer Weise beleuchtet haben, die die breiten Umrisse von noch größeren Wahrheiten erkennen läßt und widerspiegelt.

Einer von diesen Schlüsseln ist, daß das ganze Leben im Universum - und sie erklärten, es gibt nichts als Leben - in Form von Hierarchien existiert. Kurz, eine Hierarchie besteht aus einer abgestuften Reihe von Wesenheiten. Innerhalb seiner Grenzen hat jeder Grad seine besonderen Kräfte und Verantwortlichkeiten; das gesamte System wird von einer höheren Autorität, die selbst ein Glied einer anderen Hierarchie, die höher ist als die, die diese Autorität überwacht, zusammengehalten, beseelt und geleitet.

Das Wort Hierarchie selbst hat eine ziemlich begrenzte Anwendung; es beschränkt sich fast ganz auf die kirchliche Organisation. Jedoch sind überall, wohin man sich wendet, Beispiele von Hierarchien zu finden. Die Armee eines Landes ist eine solche Hierarchie; jede ihrer Einheiten hat ihren eigenen Befehlsbereich, ist aber einem höheren Rang untergeordnet. Jede geschäftliche Körperschaft ist eine Hierarchie, wie es die Regierungen von Nationen sind mit ihren Staffeln von verantwortlichen Abgeordneten. Natürlich sind dies von Menschen gemachte Einrichtungen, aber sie sind nichtsdestoweniger auf jener notwendigen Organisation gegründet, die im Innern des Menschen wie des Universums besteht. Tatsächlich würden die menschlichen Angelegenheiten ohne Organisation rasch in Verwirrung und zum Schrecken ausarten, und der erhabene Rhythmus des Kosmos würde ins Chaos zurückfallen.

Selbst abgeschlossene Behausungen, wie die der Bienen und Ameisen, sind solche Hierarchien. Die Bienen haben ihre Königin mit ihrer riesigen Familie von Söhnen oder Drohnen und von Töchtern oder Arbeitern. Die letzteren sind ferner in Ammen für die jungen Bienen, in Ehrendamen für die Königin, in Bauleute, in Sammler des Blütenstaubes und des Nektars für die Honigerzeugung und in noch eine andere Gruppe eingeteilt, deren Aufgabe es ist, den Bienenstock zu lüften, zu erwärmen oder zu kühlen. Einige sind Wachen am Eingang, um die unerfahrenen Jungen zu ihrem Bienenstock zu geleiten und sie gegen Feinde zu schützen. Alle scheinen ihre verschiedenen Pflichten zu kennen und zu erfüllen, alle arbeiten zusammen in harmonischer Gemeinschaft. Eine andere komplexe Form des Lebens stellen die Ameisen dar, die in mancher Hinsicht sogar noch erstaunlicher ist als die der Bienen. Dann gibt es die Termiten, die nicht nur eine klare Einteilung der Pflichten haben, sondern auch eine auffällige Veränderung der körperlichen Struktur in den verschiedenen Klassen. Zu diesen Darstellungen sei noch die wunderbare Gestaltung der verschiedenen Arten von Kristallen zu glitzernden Einheiten hinzugefügt; die Gruppierung von Pflanzen und Tieren zu Familien und natürlichen Ordnungen und vieles andere, das erwähnt werden könnte.

All das Angeführte stellt jedoch nur eine Phase dieses Gegenstandes dar. Es gibt noch einen anderen und tieferen Aspekt, der in Betracht zu ziehen ist, wenn wir die Bedeutung erfassen wollen, die die Völker früherer Zeiten und Kulturen dem Begriff der Hierarchien zugemessen haben. Es ist nicht möglich, sich auch nur eine annähernde Idee von diesem grundlegenden Gesetz zu bilden, es sei denn, wir verstehen klar, daß die Alten das Universum als ein organisches Ganzes betrachteten. Sie lehrten, daß alle Dinge, bis herab zu den allerkleinsten, zusammen als Teile eines lebendigen Bauwerkes, lebensverbunden sind. Nun meinen wir nicht solche menschlichen Vereinigungen, wie die Körperschaften mit ihren Präsidenten oder die Armeen mit ihren Generälen, die nur Reflexionen der Natur sind. Die Idee gleicht vielmehr unserer Beziehung zu unserem Körper. Wir wissen, daß er ein wesentlicher Teil, eine äußere Bekleidung, die Rinde ist, die alles verbirgt, was in ihm pulsiert. In seiner Vollständigkeit ist das Ganze die Hierarchie, die wir mit Mensch bezeichnen, der mit Bewußtsein oder einem inneren Wesen als sein regierendes Haupt begabt ist, dessen Wille für jede natürliche Lebensperiode alle seine Millionen von Elementen zusammenhält.

Einen Augenblick wollen wir der wissenschaftlichen Leitung folgen und davon abstehen zu glauben, daß die Dinge das sind, was sie zu sein scheinen. Unsere begrenzten Sinne versehen uns mit der Kenntnis, die für unser gegenwärtiges physisches Leben notwendig ist, aber die Vorstellung, daß sie die Natur völlig offenbaren, ist reine Phantasie. Weil z. B. der Raum leer zu sein scheint, berechtigt uns das nicht anzunehmen, daß dies eine Tatsache ist. Maschinen oder Wesenheiten, die auf andere Schwingungsverhältnisse reagieren, könnten wahrnehmen, daß unser scheinbar leerer Raum mit 'festen' Objekten angefüllt ist; und dasselbe kann man von einer unendlichen Anzahl von aufeinanderfolgenden Flächen oder Ebenen der Substanz und Energie vermuten, die entweder über oder unter dem liegen, was wir wahrzunehmen imstande sind. Daraus, daß wir Menschen uns von einander unabhängig bewegen, folgt nicht, daß wir abgesondert sind; denn wir sind auch physisch durch viele unsichtbare, starke Fäden verbunden. Solche Fäden sind die Begrenzungen, unter denen wir leben, und weil uns die Natur zuweilen zum Zweck der Bemeisterung eine Reihe von Bedingungen stellt, ist es kindisch anzunehmen, daß unzählige andere nicht ebenfalls vorhanden sind. Die alten Hindus schilderten das gesamte objektive Sein als Maya - Illusion - was bedeutet, daß die essentielle Wirklichkeit des Seins nicht das ist, was sie zu sein erscheint.

Wenn die Menschheit als Ganzes anstatt als einzelne Individuen betrachtet wird, erkennen wir auf einmal, daß wir ein Teil der größeren Hierarchie der Erde sind. Dieser Gedanke wurde in die Theologie verschiedener Religionen einbezogen. Die unterschiedlichen Stufen von Wesen, die einen Planeten aufbauen und unterhalten, sind zuweilen als Gottheiten, Götter, Halbgötter, Helden, Menschen, Tiere, Pflanzenwelt, Mineralwelt und Elementarwelt klassifiziert worden. Für die meisten Menschen früherer Zeiten gab es in der Natur keine Lücken, sondern eine unendliche Reihe von Wesenheiten, die von den Atomen bis zu den Herren unseres Universums aufwärts führte; es existieren endlose Hierarchien aller Grade der Vollkommenheit und Unvollkommenheit. Der Pseudo-Dionysius des 5. Jahrhunderts z. B., der die christliche Theologie stark beeinflußte, lehrte das System der Neu-Platoniker, verkleidet mit den Namen Gott als dem Gipfel, dann Seraphim, Cherubim, Throne, Herrschaften, Tugenden, Mächte, Fürstentümer, Erzengel und Engel. Die Stoiker, die Syrier, Ägypter, Chinesen und viele andere gebrauchten andere Namen, aber das Prinzip der Hierarchien war allen gemeinsam.

Wenn wir diese Ideen im Gemüt behalten, während wir zum nächtlichen Himmel aufblicken und unsere Gedanken aufwärts richten und nach außen wenden, so erreichen wir einen Punkt, von dem aus wir uns das erhabene Wesen an der Spitze unseres Inseluniversums stehend vorstellen müssen, als den höchsten Hierarchen, der das Sonnensystem, das buchstäblich den weiten Ozean des Raumes erfüllt, zusammenhält. Dieses Wesen können wir uns als Funktion unter den Gesetzen vorstellen, das mit seinen Teilen harmonisch wirkt, Teile, die tatsächlich das Wesen selbst sind, genau wie unser eigener Körper ein Teil von uns ist. Während es alle seine niederen Welten in seiner Gewalt hält, sendet es ewig und unausgesetzt Leben und Kraft bis zu seinen äußersten Grenzen. Und dennoch betrifft dies nur ein Universum, eines unter vielen anderen, die die Wissenschaft entdeckt hat und die sich vereinen können, um etwas noch größeres zu bilden.

Die alte Lehre besagte nicht nur, daß Leben Leben hervorbringt, sondern, daß das Leben dabei einem hierarchischen Plan folgt. Ein ähnliches, aber keineswegs identisches Muster wird endlos wiederholt; das Universum baut sich auf den Stufen oder Aspekten des Bewußtseins auf. Jede Wesenheit steht entweder aktiv oder potentiell mit diesen Zuständen in Beziehung. Die Tiere z. B., haben das Prinzip des Gemütes noch nicht entwickelt. Es liegt offensichtlich latent in ihnen; sie haben die Möglichkeit, gemütsbewußt zu werden. Auf die gleiche Weise wurde der Mensch als ein möglicher Gott betrachtet. Jedes Wesen trägt die Samen von etwas Erhabenerem in sich, das die Zeit und die Entwicklung entfalten werden.

Wir können uns das große Wesen, das unsere Milchstraße ist, so vorstellen, als wäre es die Wurzel eines mächtigen Baumes, dessen Zweige sich bis zu den Grenzen seines weiten, wirbelnden Kreises von Sonnen ausbreiten, und die alle durch ein Gewebe von lebendiger Kraft verbunden sind - in einem Maß, wie das Bindegewebe unseres Körpers die Körperteile mit ihren Arterien und Venen, die das Ganze ernähren, verbindet, und seine Nerven jeden Punkt im Bewußtsein mit dem Ganzen vereint. Wie ein Baum wächst der Kosmos, er trägt seine Früchte und stirbt. Wie bei einem Baum liegen seine Wurzeln in jenem grenzenlosen, zugrundeliegenden Prinzip. Dieses Symbol ist so bedeutungsvoll, daß es universell angewandt wird. Es wurde gesagt, daß der Aswattha-Baum der Hinduphilosophie mit seinen Wurzeln nach oben und mit seinen Zweigen nach unten wächst. (U. a. wird der seltsame Banyan-Baum, dessen Zweige zur Erde reichen und dort Wurzeln schlagen, so daß ein Baum ganze Äcker bedeckt, heilig gehalten). Dann gibt es den Weltenbaum der altnordischen Legende, der nicht eher sterben kann, bis der letzte Lebenskampf ausgefochten ist. In den skandinavischen Mythen wächst außerdem nach der Dunkelheit, während der Große Unbekannte schläft, Yggdrasil, der Baum des Universums, der Zeit und des Lebens, wieder und erfüllt den gesamten Raum.

In dem Vergleich mit einem Baum haben wir den Stamm und alle aus dem Mutterstamm wachsenden Äste; die Zweige breiten sich aus und verzweigen sich noch weiter, gefolgt von den Blättern - was in diesem Zusammenhang bedeutsam ist, weil jeder Teil aus dem andern hervorwächst und von dem der Wurzel entströmenden Saft ernährt wird. Von einigen archaischen Völkern, die Lehre von den Emanationen genannt, weist diese wunderbare alte Lehre auf das untereinander Verbundensein aller hin; jede Stufe von Wesenheiten bildet die Ursache der unter ihr befindlichen Stufe und ist das Kind der darüberliegenden. Das System erstreckt sich nach allen Richtungen in das Unendliche; die Anzahl der Hierarchien ist zahllos und so wunderbar vermischt, daß die höchste einer Reihe die unterste der über ihr befindlichen ist und umgekehrt.

So durchdringt der göttliche Plan die Wesenheiten, die den Lebensbaum bilden. Wir empfinden ihren Willen und ihre Energie in dem, was wir die Naturgesetze nennen, wie Licht, Elektrizität und Magnetismus. Dies schließt nicht sklavischen Gehorsam einer höheren Autorität gegenüber ein, weil der freie Wille in angemessenem Grad in allen Wesen manifestiert ist. Das beweist selbst die einzellige Amöbe innerhalb der Grenzen ihres geringen beschränkten Lebens. Wenn dann die Skala der Evolution hinaufreicht und das Leben immer verwickelter wird, weitet sich der Kreis der Begrenzung, und der freie Wille hat größeren Spielraum - solange er nicht dem Willen des im Menschen wohnenden inneren Gottes oder des "Vaters im Himmel" zuwiderläuft.

Oft hören wir sagen, daß sich die Natur niemals wiederholt, aber sie wiederholt sich immerwährend. Auf der einen Seite sehen wir die phantastische Mannigfaltigkeit der Formen mit einer Vielfalt an Schönheit, Färbung und Zeichnung; und auf der anderen Seite einen kosmischen Prozeß von Ordnung und Gesetz. Der Mensch, der dies empfindet, obwohl er es nicht immer erkennt, unternimmt, ohne seine Anstrengungen entsprechend auszurichten, keinen ernsthaften Versuch. In der einen belebenden Substanz ist jeder Punkt im Raum so lebendig vereint, daß kein Mensch einen andern schädigen kann, ohne sich selbst Schaden zuzufügen oder daß ein Mensch Schaden erleiden kann, ohne dabei andere in Mitleidenschaft zu ziehen; keine noch so geringe oder noch so bedeutende Wesenheit kann bestehen, ohne daß der vitale Strom des Bewußtseins in und durch jede Sprosse der hierarchischen Leiter des Seins fließt.