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Ererbte Gelegenheiten

Vor kurzem hatte ich Gelegenheit, einem Freund etwa folgendes zu schreiben: Mir gefällt Deine Beschreibung der Geonomie, als der gesamten Wissenschaft des Lebens, die nicht nur den physischen Bereich, sondern auch "das Reich des Geistes" einschließt. Jedoch Deine zum Ausdruck gebrachte Hoffnung, "die Hilfsquellen Herz, Seele, Gemüt und Tatkraft zu benutzen, ... um hier und jetzt auf dieser Erde einen wirklichen Himmel zu schaffen" ist, wie mir scheint, aussichtslos. Diese Überzeugung stammt aus der Erfahrung der letzten Monate, in denen ich nicht nur die Hoffnung der Menschen auf einen Weltfrieden, sondern auch auf den Rassenfrieden in unserem eigenen Lande zerstört sah. Eine Betrachtung des Verlaufs der Weltgeschichte und das Buch The Chinese Looking Glass von Dennis Bloodworth bekräftigten meine Anschauung. Die Chinesen, die die gleichen oder noch mehr Hilfsquellen wie wir zur Verfügung haben, versäumten in mehr als tausend Jahren, in denen sie abwechselnd Erfolg und Mißerfolg hatten, einen dauernden Fortschritt zu erzielen. Das ist in der menschlichen Rasse deutlich zu sehen. Die Geschichte der westlichen Welt setzt den traurigen Bericht fort.

Als Resultat dieses Denkens kam ich zu dem Schluß, daß wir beim Aufbau des Lebens auf diesem Planeten nicht die Elemente benutzen, die notwendig sind, um eine ununterbrochene menschliche Wohlfahrt zu erlangen. Meine grundlegenden Argumente dafür folgen.

Explosionen der Bevölkerung sind regelmäßige, normale Nachkriegswirkungen, für die es, normales menschliches Verhalten vorausgesetzt, kein voraussagbares Ende gibt. Der Effekt dieser Explosionen besteht darin, daß eine große Anzahl unerfahrener Menschen in das Leben dieser Welt eingeführt werden müssen, was zur Folge hat, daß an die bestehenden Einrichtungen (Erziehung durch die Eltern, die Schulen und Kirchen) übermäßige Anforderungen gestellt werden, Weisheit und Erfahrung des Lebens zu übermitteln.

Menschen, die in Weisheit und Erfahrung gereift sind, - jene, die man die "Alten" zu nennen pflegt - treten bald durch den Tod von der Szene ab, ehe sie genügend Gelegenheit hatten, diese Weisheit weiter zu geben. Dazu kommt, daß ihr Wirken als Berater immer weniger geschätzt wird - in vielen Fällen ist das wegen ihrer persönlichen Fehler berechtigt. Eine Ausnahme darin zeigt die kürzlich in der Saturday Review erschienene Artikelreihe "Was ich gelernt von meinen Vätern".

Die keinesfalls vollständigen menschlichen Fähigkeiten zur Übermittlung der Weisheit werden immer geringer. Es gibt immer mehr Schulen, Universitäten, Journale, Autobiographien, Lehrbücher, Enzyklopädien, Bibliotheken, sowie elektronische Einrichtungen, die zur Registrierung, Reproduzierung und Auswertung von Informationen dienen. Aber ohne die richtige Perspektive, das Material auswählen zu können, es zu organisieren und darzubieten, und ohne die Anregung, es vorteilhaft einzusetzen und zu erklären, wird der Einfluß der Lebensweisheit in dem Maße abnehmen, wie die Bevölkerung zunimmt.

Dieses Versagen in der Verwertung der Weisheit findet sich nicht nur in unserer Ära. Je mehr wir den Verlauf der früheren Zivilisationen kennen lernen - der chinesischen, babylonischen, ägyptischen, griechischen, römischen, die der Inkas, der Azteken und der Mayas - desto mehr sollten wir erkennen, wie unzulänglich unsere eigene Übermittlung der in der Vergangenheit angesammelten Lebensweisheit von einer Generation auf die andere ist. Es scheint, daß es zur menschlichen Rasse gehört, die Fehler ihrer Lebensweise ins Unendliche zu wiederholen, seien diese nun individuelle, soziale, religiöse, kulturelle oder politische Fehler. Es hat sich nicht nur die Legende vom Goldenen Zeitalter als Mythe erwiesen, sondern auch die Hoffnung auf eine Verwirklichung von Utopien war vergeblich.

Wenn wir in die Zukunft schauen, so fragen wir uns: Was kann ein vollkommenes Erziehungssystem mit einem vollkommenen, in elektronischen Geräten aufgestapeltem universalem Wissen wert sein, wenn keine Vorsorge getroffen wird, weise und gütige Gemüter zu inspirieren, die das so erlangbare Wissen aufnehmen und verwerten? Was für einen Wert haben bis ins letzte geplante Gemeinschaften, wenn die in ihnen lebenden Menschen nicht dazu gebracht werden, einander wohlgesinnt zu sein?

Die gegenwärtige westliche Kultur ist weitgehendst dadurch gekennzeichnet, daß der Mensch seine wahre Natur als geistiges Wesen nicht erkennt. Seine Bestimmung ist es, weit über diesen Bereich hinaus Erfahrung zu sammeln. Unsere Literatur, Kunst, Musik, Philosophie, Ethik und selbst unsere Theologie spiegeln eine Einstellung wider, die dadurch verdorben ist, daß man annimmt, im Leben sei nur eine physische und mentale Betätigung ohne Aussicht auf Beständigkeit möglich.

Die Gedankenrichtung, der wir folgten, läßt jedoch Raum für eine Schlußfolgerung: Das Leben auf diesem Planeten existiert nicht um seiner selbst willen, sondern ist eine Stufe in einer universalen Planung. Anstatt es als alleinstehend und als Mittelpunkt im organischen System eines physischen Unisums zu betrachten, ist sein wahrer Platz etwas Einleitendes und Elementares in der kosmischen Erleuchtung der Gemüter, der Herzen und des Willens in der Gemeinschaft der Schöpferischen Quelle und mit anderen Geschöpfen zusammen, die nach dem gleichen Vorbild geschaffen sind.

Eine solche Betrachtung wurde in der Vergangenheit verschiedentlich zum Ausdruck gebracht. Die allgemeine Idee ist, daß diese schöpferische Macht ewig damit beschäftigt ist, empfindende Wesen aus ihrem eigenen Keimpotential für eine kurze Lebensspanne auf Erden einzuführen und ihnen dann nach und nach weitere Erfahrungsgebiete zur Entfaltung und Bereicherung ihrer Natur zu eröffnen. Der alte buddhistische Begriff der Reinkarnation weist auf diese Anschauung hin. Ebenso die hebräischen Schriften, die durch die Aussprüche Jesu ergänzt wurden: "In meines Vaters Haus sind viele Wohnungen. ... Ich gehe einen Platz euch zu bereiten, damit ihr sein könnt, wo ich bin. Und wenn ich gehe, werde ich wieder kommen. ..." Diese bildhaft wiedergegebene Anschauung existiert in verkümmerter Form in der katholischen Lehre. Dort folgt auf das irdische Leben das Fegefeuer und dann der Himmel oder die Hölle. In der unzureichenderen und unklareren protestantischen Auffassung über das Leben nach dem Tode erscheint sie als Alternative von Himmel oder Hölle.

Das menschliche Leben hat nur mit dem Hintergrund dieser erweiterten Perspektive einen wirklichen Wert. Er liegt in der Gelegenheit, die es dem einzelnen ermöglicht, im Verlauf der Zeit seinen richtigen Platz in einem universalen Plan der schöpferischen Erfahrung kennen zu lernen und dieses Wissen zu verwerten und zu entwickeln. Aber die Bausteine solchen Wissens liegen nicht auf dem Gebiet der Wissenschaft, die sich auf die Beobachtung der Materie und der Kräfte gründet, die physikalisch gemessen werden können. Sie fußen auf der Erkenntnis, jener inneren Individualität, die verschiedentlich das Selbst, die Seele oder der Geist genannt wird, und der die verschiedenen Fähigkeiten des Bewußtseins innewohnen: Anteilnahme, Unterscheidung, Erkenntnis, Wollen, Zusammenarbeit etc. Wie Carl Jung es ausdrückte, hat dieses Wesen, das Selbst, keine räumliche Ausdehnung. Auf diese Weise, in sich selbst, vor sich selbst verborgen, kann es nicht durch physikalische Hilfsmittel analysiert werden. Aber die unbeweisbare Annahme seiner Existenz ist der Ausgangspunkt für jede verständige Darstellung und für jeden Meinungsaustausch.

Die nicht-räumliche Natur des Selbstes ist für die Tatsache verantwortlich, daß Denker, die auf die physischen Aspekte der Welt eingestellt sind und sich nur mit ihnen beschäftigen, schließlich die Existenz der Seele überhaupt in Frage stellen, nicht an die Fortdauer glauben und den Ursprung und Zweck des Universums als das Werk eines Schöpferischen Geistes bezweifeln. Der nicht-räumliche Charakter des göttlichen und des menschlichen Geistes erklärt auch, warum andere Denker auf einer Anfangsstufe des Verstehens das, was Gestalt annimmt - ein Bild, eine Institution, eine Schrift oder eine Theorie, die alle vergänglich sind - vom überdauernden Geist, der sie bildet und der andere Formen erfüllen und schaffen wird, solange sie von Nutzen sind und die dann verschwinden, nicht unterscheiden.

Manche wesentlichen Bestandteile der Weisheit des Geistes, die der Prüfung der Zeit standhielten und dem bescheidenen, aufrichtigen und ergebenen Sucher noch enthüllt werden können, sind in mehreren Religionen verschiedenartig zum Ausdruck gebracht worden. Sie sind in den folgenden Abschnitten unvollkommen umrissen.

Der Mensch ist ein von einem universalen, bewußten schöpferischen Wesen gepflanzter spiritueller Same des Höchsten. Gepflanzt mit der Absicht, daß die menschliche Erfahrung auf Erden ein kontinuierliches Leben auf verschiedenen Ebenen des Bewußtseins vorbereiten soll, die ihm alle Gelegenheit bieten, seinen Willen zu betätigen, um in schöpferischen Beziehungen zu seinem Ursprung und zu seinen Mitmenschen an Weisheit und Verständnis zu wachsen.

Daraus folgt, daß - um dem Fortschritt seines spirituellen Wachstums und dem Ausdruck solcher Beziehungen zu dienen - alles, die spirituelle Begabung des Menschen, sein physischer Körper und seine materiellen Lebensbedingungen, in Verbindung mit seinen Mitmenschen benützt werden soll. In dem Maße, in dem er es versäumt, seine Hilfsquellen derart zu gebrauchen, leidet er und die ganze Menschheit an Beeinträchtigung, Verlust und Verzögerung des Wachstums. Solches Leid ist ein Anzeichen für Verstöße und wird solange bestehen, bis jedes Menschenwesen die richtige Lebensweise lernt, wenn nicht auf dieser irdischen Reise, dann auf jenen, die folgen.

Die Begrenzungen, die dem Leben auf diesem Planeten gesetzt sind, zeigen, daß es nicht das wichtigste Ziel der Anstrengungen des Menschen ist, dauerhafte Gebäude oder Institutionen zu errichten, - nicht einmal prächtige Städte, große Gemeinschaften, rassischen Zusammenschluß oder den Weltfrieden - weil alle irdischen Erfolge meist fehlschlagen. Des Menschen höchstes Ziel im Verlauf all seines schöpferischen Wirkens, des bescheidensten wie des ehrgeizigsten, ist es vielmehr, persönliche Kontakte unter den Menschen herzustellen. Was sich mit Menschen in Verbindung mit anderen Menschen ereignet, ist wichtiger, als was mit irgendwelchen unpersönlichen Einrichtungen oder Bauwerken geschieht, die er zu schaffen sucht.

Wie immer seine physischen oder sozialen, äußeren Lebensbedingungen sein mögen, jede Tätigkeit, in die ein Mensch verwickelt wird, ist eine Gelegenheit, die inneren Fähigkeiten, mit denen er ausgestattet ist, zu entdecken, sie auszuüben und zu entwickeln. Das Wichtigste dabei ist, die Natur und die Absicht jenes schöpferischen Geistes, durch dessen Willen er existiert, zu verstehen. Die zweite wichtige Fähigkeit ist die Erkenntnis, daß seine Mitmenschen aus der gleichen Quelle stammen und dieselben Möglichkeiten und Gelegenheiten haben. Das wird ihn dazu führen, sich mit ihnen in wachsender gegenseitiger Achtung, Hilfsbereitschaft, Geduld, Verzeihungen und Loyalität zusammenzuschließen. Er wird das ewige Erbgut der Gelegenheit zur gegenseitigen Bereicherung des Geistes erkennen, zusammenzuarbeiten, zusammenzuspielen und sich gegenseitig behilflich zu sein.

Wann und wo immer die irdische Gesellschaft der Menschen untereinander auf eine solche Haltung begründet ist, wird sie entdecken, daß diese Haltung bereits durch die Natur jener dauernden Gemeinschaft schöpferischer Geister gekennzeichnet ist, zu der der Schöpfer seine ganze Schöpfung mit unendlicher Mühe hinzieht. Daß das irdische Leben eine Gelegenheit für den Eintritt und das Wachstum in einer solchen Gemeinschaft ist, macht es in unserer Zeit - und zu allen Zeiten - unschätzbar wertvoll.