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Symbologie der Evangelien

Oft haben wir betont, daß die Heilige Schrift dreifach verstanden werden kann: historisch, moralisch und mystisch. Und wir wissen, daß in der Heiligen Schrift ein Körper, eine Seele und ein Geist ist.

- Origenes

 

 

 

Vor etwa dreihundert Jahren wurde der holländisch-jüdische Philosoph Spinoza aus der jüdischen Gemeinschaft ausgestoßen, weil er gewisse kritische Darlegungen über die Ungereimtheit einiger Bibelstellen veröffentlichte. In unserem zwanzigsten Jahrhundert wurde wieder in Holland ein Priester einer orthodoxen Kirche seiner Stellung enthoben, weil er erklärte, er glaube nicht daran, daß die Schlange der Genesis, Kap. III, in menschlicher Sprache zur Eva sprach! Das ist gelinde gesagt außerordentlich, denn eines der ersten Dinge, die uns bei einem unbefangenen Studium des Alten und des Neuen Testamentes offenbar werden, ist, daß unsere Heilige Schrift voll von Inkonsequenzen ist. Tatsächlich kann niemand, der folgerichtig denken will, die Worte der Bibel weiterhin buchstäblich und daher als direkt vom Höchsten eingegeben hinnehmen. Ein längeres Studium bestätigt, daß die Bibel ein menschliches Dokument ist, das von Menschen geschrieben und überarbeitet wurde, von Menschen, die wahrscheinlich mit den besten Absichten bestrebt waren, ihren Text zu verbessern, indem sie hinzufügten, wegließen, veränderten und neu schrieben. In mancher Hinsicht mag das erfolgreich gewesen sein; in anderer Hinsicht war das Resultat eine Verdrehung der ursprünglichen metaphysischen Ausdrücke und Geschichten.

Um zu den Fundamenten vorzudringen, auf denen der Oberbau des Christentums errichtet wurde, muß man die historischen und kulturellen Hintergründe des Zeitraums studieren, in dem die Bücher der Bibel geschaffen worden sind, und das waren vor und nach dem Entstehen des Neuen Testamentes ganz allgemein gesprochen insbesondere die Jahrhunderte von 200 v. Chr. bis 300 n. Chr. Diese fünf Jahrhunderte können wir in drei Abschnitte einteilen: 1.) den der Vorbereitung und der Einführung von 200 v. Chr. bis 100 n. Chr.; 2.) den der Propaganda und der Errichtung des Fundamentes von 100-200 n. Chr.; und 3.) von 200-300 n. Chr. den der Festigung. Die Jahrhunderte der Vorbereitung und der Einführung können offensichtlich nicht in dem allgemein gebräuchlichen Sinne christlich genannt werden. Nichtsdestoweniger war es die Zeit, in der die Messianischen Erwartungen unter den Juden hauptsächlich in den Träumen von nationaler Befreiung aus fremder Unterdrückung zum Ausdruck kamen, ebensogut wie in den unter anderen von den verschiedenen Gemeinschaften der Essener genährten Hoffnungen, daß der "Gesalbte" Jehovas, der ein König, ein Priester oder beides sein konnte, eine allgemeine Erlösung der Menschheit zustande bringen werde.

Zur gleichen Zeit wurden die sogenannten Mysterien-Religionen, wie die Mithras-Mysterien persischen Ursprungs, jene des Serapis von Ägypten und auch die Orphischen Gemeinden über das römische Reich verbreitet. Sie gehörten zu den vielen Faktoren, die das im Entstehen begriffene Christentum sehr beeinflußten und manche Sachverständige behaupten, daß das Christentum ursprünglich selbst eine dieser Mysterien-Religionen war, sicherlich waren es die gnostisch christlichen Gemeinschaften - wenn wir den Kirchenvätern glauben können. Der grausame Kampf, der mehrere Jahrhunderte zwischen der Kirche und ihren gnostischen Rivalen wütete, ist ein unleugbarer Beweis für die große Ähnlichkeit der beiden. Der Hauptpunkt, worin sie sich im Laufe der Zeit unterschieden, war, daß die Kirche allmählich der Träger des Volksglaubens wurde, während die Gnostiker verwickelte Systeme der Mysterienlehre in schwierigen Symbolen ausgedrückt betonten und entfalteten. Den Getreuen und Würdigen sind sie in einer Reihe von Initiationen enthüllt worden. Wir kommen nun zum zweiten Abschnitt, in dem die Evangelien allmählich Gestalt annahmen.

Obgleich keines der Bücher des Neuen Testamentes vor dem letzten Viertel des ersten Jahrhunderts in seiner jetzigen Form existiert haben kann, sind ihre embryonalen Bestandteile wahrscheinlich viel älter. Zum Beispiel sind die Stellen, die Prophezeihungen über das Kommen des Christus zum Inhalt haben, selten, wenn überhaupt, sind sie direkt aus dem Alten Testament entnommen. Essener und andere Anhänger des Erlösergedankens suchten beständig in den Büchern der Propheten und im Pentateuch nach Hinweisen auf den zukünftigen König, der Israel zum religiösen und politischen Mittelpunkt der Welt machen würde. Ihre Literatur, die zum Teil als 'Apokryphen' des A. T. bekannt sind, war voll solcher Zitate, die die Herausgeber des Neuen Testaments fast in Bausch und Bogen übernahmen. Eines davon, das Buch Henoch, das selbst aus zusammengewürfelten, sehr alten und späteren Fragmenten besteht, war unter den ersten Christen weit verbreitet und von Paulus wird gesagt, daß er, seinen Briefen nach zu urteilen, auf seinen Reisen immer ein Exemplar davon in der Tasche gehabt haben muß. Der Autor der Offenbarung benützte dieses Buch ohne Zweifel ebenfalls als eine seiner Hauptquellen.

In diesem Zusammenhang erweist sich das Studium der Rollen vom Toten Meer als sehr nützlich, da einige von ihnen bezeugen, daß die Mitglieder des jüdischen Bundes, die sie schrieben, die Ankunft zweier Messiasse erwarteten, eines priesterlichen und eines königlichen. Es ist tatsächlich bemerkenswert, daß sich Paulus in seinem Brief an die Hebräer sowohl auf Jesus als König als auch als Hohenpriester bezieht. In anderer Hinsicht scheint der Jesus der Evangelien einen Versuch darzustellen, einzelne sehr alte und voneinander abweichende Begriffe zu verbinden. Außer dem König Messias, der er ist, und als König, der Sohn Gottes, ist er der von der Heiligen Jungfrau durch ein Wunder empfangene körperliche Sohn Gottes, und außerdem der Sohn als zweite Person der Dreieinigkeit! Diese Dreieinigkeit wird im Neuen Testament nicht direkt erwähnt, sie ist aber bei Johannes deutlich erkennbar, der Christus den Logos nennt, was unrichtig mit "Wort" übersetzt wurde. Wenn Johannes Jesus erklären läßt, "ehe Abraham war, BIN ICH", so deutet das Präsens "bin" - an, daß sein Wesen jenseits von Zeit und materiellem Dasein war -. Es ist hier in demselben Sinne gebraucht, wie das "ICH BIN" oder der Mysterienname von "Jehovah". Gewisse Autoritäten erkennen darin ein Bemühen der frühen Kirche, den Vateraspekt der Dreieinigkeit mit dem Jehovah des Alten Testamentes zu identifizieren, während die Gnostiker im allgemeinen jede Verbindung zwischen dem sehr persönlichen Schöpfergott Jehovah und dem in hohem Grade abstrakten "Vater" von Jesus verneinten.

Ohne darüber und über andere Dinge zuviel zu spekulieren, können wir sicher sein, daß das Neue Testament eine Anzahl Stellen enthält, die eher darauf abzielen gnostische Ansprüche zu widerlegen, als die christliche Lehre klar darzulegen, (wie es den Anschein hat). Es ist auch wahrscheinlich, daß andere Stellen weggelassen worden sind, die nach Meinung späterer Herausgeber sie zu sehr an gnostisches Wissen erinnerten. Daß die Kirche letzten Endes auf der äußeren Ebene siegreich war und die Gnostiker von der Bildfläche verschwanden, beweist nicht, daß die Kirche die höchsten christlichen Lehren predigte. Man ist sogar versucht zu sagen, bestimmt nicht, denn man braucht nur die Schriften der Kirchenväter zu lesen, um zu ersehen, wie sie ihre Gegner durch empörendste Beschimpfung niederhielten, oder weiter die Geschichte der Kirchenkonzile zu studieren, um zu begreifen, daß für sie kein Mittel, nicht einmal die Anwendung physischer Gewalt zu gemein war, um eine Streitfrage in ihrem Sinne zu entscheiden.

Spätere Generationen haben guten Grund, dankbar zu sein, daß der Gnostizismus nicht gänzlich aus den christlichen Heiligen Schriften ausgelöscht wurde, und daß Spuren davon durch gnostische Abhandlungen, die die Jahrhunderte überlebten, nachträglich ergänzt werden können. Moderne Theologen mögen die Schlußfolgerungen gewisser freisinniger Gelehrter ignorieren, es ist jedoch bemerkenswert, daß dieselben wesentlich niemals widerlegt wurden, wenn auch einige der Resultate ihrer Forschungen verworfen worden sind. Ein in Deutschland von dem deutschen Gelehrten Hermann Raschke neu herausgegebenes Buch trägt den bedeutsamen Titel: Das Christusmysterium, Wiedergeburt des Christentums aus dem Geiste der Gnosis. Obgleich der Autor sorgfältig nach den von der Wissenschaft vorgezeichneten Richtlinien vorgeht, wird der Leser doch bald von seiner Ansicht über die gegenwärtige Beschaffenheit des Christentums stark beeindruckt. Er betrachtet alle Sakramente als bloße "sichtbare Zeichen göttlicher Dinge", die nicht länger notwendig sind, wenn sie einmal in ihrer "geheimen Bedeutung" verstanden wurden. So verhält es sich mit allen religiösen Symbolen oder Bekenntnissen - sie sollten symbolisch betrachtet werden, nicht buchstäblich. Weil "die Kirche selbst im Besitz des geheimen Wissens gewesen ist", war es erlaubt, konfessionelle und erzieherische Methoden zu gebrauchen.

Sie konnte diese Mysterien nur solange mit reinem Gewissen beibehalten, als sie im festen Besitz dieses geheimen Wissens war. Sie wurde jedoch zu einer leeren Scheide und verlor das innere Vorrecht der Autorität, als sie dieses geheime Wissen verlor und dann unfähig wurde, ihre priesterlichen Mysterienhandlungen zu erklären.

- Seite 36

Dr. Raschke fügt dann hinzu, daß heute die "Kirche, die früher die geheime Wahrheit bewahrte", das "mit Recht so genannte Geheimnis" verloren hat und jetzt "irrtümlicherweise die Mythe für die Wahrheit selbst hält".

Das sind vielleicht heftige Worte, aber ihre Gültigkeit wird nach dem Studium der Werke einer Reihe Kirchenväter klar, die betonen, daß sie überzeugt sind, daß jedes Wort in der Bibel neben der äußeren Bedeutung einen verborgenen Sinn hat, der, wenn er einmal erfaßt wird, den exoterischen weit übertrifft. Ein sorgfältiges Studium der Paulus-Briefe enthüllt die anscheinend seltsame Tatsache, daß Paulus nur von dem gekreuzigten Christus spricht und niemals von den Evangelien noch von den Evangelien Jesu! Können wir daraus den Schluß ziehen, daß er nichts von ihnen wußte, besonders wenn wir uns erinnern, daß die Kreuzigung einen tieferen und mehr esoterischen Sinn hat als ihre bloß äußere Bedeutung, der zugleich die Einkerkerung des Geistes im körperlichen Dasein zeigt und seine Befreiung aus dieser Knechtschaft? Und wenn solch ein zentrales Merkmal wie die Kreuzigung symbolisch ausgelegt wird, wie sollen wir dann das Übrige der Evangelien verstehen? Selbst die Hinweise auf den Messias im Alten Testament wollen eher als symbolische Äußerungen gesehen sein, denn als direkte Prophezeihungen zukünftiger Ereignisse. Vor allem wurden diese Stellen zumindest drei Jahrhunderte vor unserer Zeitrechnung und auch nachher hinsichtlich anderer sogenannter Messiasse verwendet. Mehr noch, die Verfasser von Hiob und Jonas betrachten ihre Helden niemals als historische Personen; sie waren in demselben Sinne 'Schöpfungen', wie Cervantes Don Quichote und Shakespeares Hamlet - so unglaublich das den modernen Christen scheinen mag.

Wir dürfen einen weiteren mitbestimmenden Einfluß auf das Urchristentum nicht übersehen. Philo Judaeus, der alexandrinische Jude, der im selben Jahrhundert lebte, in dem, wie gesagt wird, Jesus lehrte und litt, wußte nicht nur in den im Alten Testament verborgenen mystischen und allegorischen Bedeutungen gut Bescheid, sondern er war auch ein eifriger Schüler und Verfechter Platos. Seine religiös-philosophischen Abhandlungen sind tatsächlich eine bemerkenswerte Synthese jüdischer und hellenistischer Philosophie und wenn er selbst kein Gnostiker war, so stand er doch in enger Verbindung mit den Gnostikern seiner Zeit. Wenn wir die Kirchenväter konsultieren, finden wir, daß Philo ein Autor war, der von einer Anzahl der ersten Christen unablässig studiert wurde. In der Tat, wenn wir nach den Quellen des Christentums suchen und dabei Philo übergehen, würde das gleichbedeutend sein mit einem Suchen nach den Quellen unserer Flüsse, wobei wir von den Gebirgen keine Notiz nehmen.

Nach dem oben gesagten kann das unvoreingenommene Gemüt nicht nur darauf schließen, daß die allgemein angenommene Anschauung, der Gnostizismus sei eine Ketzerei des zweiten Jahrhunderts gewesen, eine in das Heidentum abgleitende Bewegung, eine Verdrehung der Wahrheit ist. Im Gegenteil, der Gnostizismus ist eine der Hauptwurzeln, aus denen das Christentum entsprang, und es ist die Kirche, die von der ursprünglichen Botschaft abschweifte, indem sie predigte, daß die Schilderungen, aus denen sich die Evangeliengeschichte aufbaut, wirkliche, historische Tatsachen wären und auf diese Weise das, was symbolisch verstanden werden sollte, zu geschichtlichen Begebenheiten machte. Dadurch verlor sie nach und nach den Schlüssel zu dem tieferen Sinn, der in den Worten verborgen ist.

Zeugen über Christus aus dem ersten Jahrhundert glänzen durch Abwesenheit. Moderne, freisinnige Theologen, die die Ansicht vertreten, daß Jesus ein volkstümlicher Neuerer war, der in der Sprache des Volkes zum Volke redete, begnügen sich hauptsächlich mit Dokumenten aus dem zweiten Jahrhundert, die alle von derselben Kirche stammen, die jede "ketzerische" Schrift, die sie in die Hand bekommen konnte, durch Feuer zerstörte. Daß ihr eigenes Zeugnis nicht allzu verläßlich ist, wurde durch keinen anderen als durch den leidenschaftlichen Tertullian reichlich bewiesen, als er zum Beispiel Marcion anklagt, er habe das Evangelium verdreht! Bei ruhiger Überlegung zeigt es sich jedoch nicht nur, daß sich die von ihm verteidigte Kirche selbst mit dem Evangelium abgegeben hat, sondern daß wir auch die kürzlich entdeckten gnostischen Manuskripte eifriger studieren sollten, besonders wenn sie so alt sind, wie das sogenannte "Thomas-Evangelium". Wenn die Evangelien Stellen enthalten, die anders übersetzt sind, oder solche, die in den Manuskripten überhaupt nicht zu finden sind, dann müssen wir uns vergewissern, wenn es überhaupt möglich ist, warum sie darin stehen. Sie können uns zwingen, unser Neues Testament mit kritischeren Augen zu betrachten und zum Beispiel zu prüfen, warum das Wort paradidonai im ursprünglichen griechischen Evangelium, welches "befreien" bedeutet, in den von Judas handelnden Sätzen mit "verraten" übersetzt wurde, in allen anderen Sätzen aber mit "befreien". Diese Anwendung geht auf die lateinische Übersetzung der Bibel von Hieronymus im vierten Jahrhundert zurück. Kam es daher, weil das rätselhafte Wesen des Apostel Judas nicht mehr verstanden wurde? Der Tatsache nach zu urteilen, daß ihn das Evangelium nur in Verbindung mit der Auslieferung Jesu an seine Verfolger erwähnt, erregt schon der bloße Name Verdacht nach römischem Antisemitismus. Überall eröffnet der Gnostizismus neue Perspektiven. Zwischen Judas und dem Apostel Thomas scheint eine besondere Beziehung zu bestehen, denn in beiden, dem Thomas-Evangelium und in den apokryphen Urkunden wird er für dasselbe Judas Thomas genannt, was offenbar sein richtiger Name ist. Nebenbei gesagt fügen einige der ältesten Kirchenväter, wenn sie Matthäus zitieren, vor Thomas den Namen Judas ein. Johannes sagt von Thomas, daß er auch Didymos genannt wurde. Das bedeutet Einzahl, denn beide, Didymos und Thomas, bedeuten 'Zwillingsbruder'. Thomas ist daher in der gleichen Weise ein Beiname wie Ischariot. Warum Thomas hinzugefügt wurde, wird in der Geschichte von Thomas klar, die uns informiert, daß er der Zwillingsbruder von Jesus war!

Gnostisch ausgelegt mag es offenbaren, daß des Menschen Erlöser, Christus, des Menschen höhere spirituelle Natur ist, die durch seine eigene niedere Natur - ihrem Zwillingsbruder und Apostel - in der Kreuzigung dem Leid des Fleisches ausgeliefert wird. Das ist vielleicht eine kühne Auslegung, aber sie ist sicherlich nicht kühner, als die kategorische Forderung zu glauben, daß Jesus die zweite Person der Heiligen Dreieinigkeit war, im ersten Jahr unserer Zeitrechnung als Mensch geboren wurde und 31 Jahre später am Kreuze starb.

Beinahe jedesmal, wenn uns eine Stelle in unserem Neuen Testament hinsichtlich ihrer genauen Bedeutung, ihrer Verständlichkeit oder ihres Sinnes im Zusammenhang im Zweifel läßt, können wir die Lösung in dem einen oder anderen gnostischen Dokument finden, da sie den allgemeinen Einfluß, unter dem wichtige Teile der Evangelien verfaßt wurden, wiedergeben. Dieser Einfluß ist die Gnosis - das "Wissen" über spirituelle und mystische Dinge, oder über die innere Bedeutung des Lebens und des Todes. Die Paulus-Briefe erscheinen wie ein fortgesetzter Kommentar dieser Gnosis. Das mag in Wirklichkeit auch der Hauptgrund dafür sein, warum die Evangelien Evangelien genannt wurden, was im griechischen Originaltext wörtlich "frohe Botschaft" oder "eine gute Botschaft bringend" bedeutete. Sie waren sicherlich dazu bestimmt die Botschaft der Gnosis zu überbringen. Der immer wiederkehrende Ausdruck "Wer Ohren hat zu hören, der höre" schließt in sich, daß derjenige, der verstehen möchte, den Schlüssel zu den Worten besitzen muß, in denen jene 'Botschaft' ausgedrückt wurde. Das bildete sicherlich die erste Ursache für den Streit zwischen den Pharisäern und den Christen, was wiederum im Thomas-Evangelium höchst klar ausgedrückt ist: "Die Pharisäer und Schriftgelehrten haben die Schlüssel zur Weisheit (gnosis) empfangen. Sie haben sie verheimlicht. Sie sind nicht in sie eingedrungen und liessen auch jene nicht eindringen, die es wollen" - Sätze, die jeden Zweifel in bezug auf die Bedeutung von Matthäus XXIII, 13 und Lukas XI, 52, ausschließen.

Das alles bekräftigt das Grundthema, daß das Christentum im wesentlichen eine gnostische oder eine philosophische Religion ist, deren tieferen Lehrsätze nur durch eine gründlichere Schulung verstanden werden können. Die Schlüssel dazu sollten in den Händen jener sein, die fähig und bereit sind zu lehren. Wenn heute gesagt wird, daß die Bibel nicht in einer Mysteriensprache geschrieben ist, dann kann das nur als ein Geständnis ausgelegt werden, daß sich die Kirchen in derselben Lage befinden, wie die alten Pharisäer und Schriftgelehrten: entweder haben sie den Schlüssel zur Erkenntnis verloren, oder sie sind nicht gewillt ihn zu benützen.