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Unser druidisches Erbe

Am sogenannten dunklen Zeitalter, sagen wir, vom Niedergang des römischen Reiches, etwa 400 n. Chr., an bis ungefähr 1200 n. Chr. oder dem Beginn des Mittelalters, befand sich Europa wirklich in einem barbarischen Zustand. In den Klöstern gab es eine Art toter Gelehrsamkeit. Selbst unter den Königen konnten wenige mehr als ihren Namen schreiben; ihre Untertanen konnten nicht einmal das. Es gab wenig oder nichts, das man Bildung nennen konnte, keine nennenswerten Anstandsregeln; nur ein Volk in Europa hatte die überspannte Gewohnheit, seine Zähne zu putzen - und das waren die Waliser. Die Gemüter schliefen in der Regel vollkommen; die Armen waren Sklaven, die Reichen ungebildet. Äußerlich gab es keinen Fortschritt; innerlich keinerlei Ideale. Gewiß, ich verallgemeinere hier, um ein umfassendes Bild von den Zuständen zu geben, die im kontinentalen Europa und in England herrschten.

Im zwölften und dreizehnten Jahrhundert fingen dann die Dinge an in Bewegung zu geraten. Ich spreche nicht von der materiellen Zivilisation, die aus der mohammedanischen Welt einzusickern begann, sondern von einem Anflug von Idealismus, einem spirituellen Impuls, dessen Einfluß viel dazu beitrug die Menschen von rohen Streitern in vornehme Menschen, in Adelige zu verwandeln, aber nicht im Sinne einer Gesellschaftsklasse. Diese Bewegung trägt die Bezeichnung Rittertum. Das Rittertum war nicht länger nur Muskelkraft, Stärke und Grausamkeit; es schloß auch Edelmut, Großherzigkeit und Beschützung des Schwachen ein. Es brachte Pflichten und Verantwortlichkeiten mit sich; das Wort "Edelmann" allein beschreibt den Geist dieses neuen Idealismus.

Den Mittelpunkt für diese Zeit des Rittertums bildete die Legende vom Heiligen Gral. Es wurde angenommen, daß das der Kelch sei, aus dem Jesus beim letzten Abendmahl trank. Durch große Reinheit des Lebens und Stärke und Edelmut des Charakters konnte ein Ritter eine Vision vom Heiligen Gral erlangen, was ihm Ruhm, Frömmigkeit und Glück verlieh. Die Gemüter der Ritter und Freiherren, die damals die einflußreichen Leute waren, waren von der Geschichte von König Arthurs Tafelrunde durchdrungen. Einer seiner Ritter - der reinherzige und tapfere Parzival - hatte die Frage nach dem Gral erfolgreich gestellt. Überall trachteten die jungen Männer danach Parzival zu werden. Woher kam diese Bewegung und Inspiration? Was war der Heilige Gral in Wirklichkeit?

Die Artussage wurde von einem walisischen Mönch namens Geoffrey von Monmouth, der ein Buch schrieb mit dem Titel History of the Briton Kings (Geschichte der Könige von Britannien) in Europa verbreitet. Seinen eigenen Angaben nach übersetzte er die Legende in seiner Jugend aus dem Lateinischen ins Walisische und im hohen Alter wieder zurück ins Lateinische. Sie wurde so populär, daß sowohl Frankreich als auch England ihre eigenen Nationalhelden vergaßen und an ihre Stelle den walisischen Anführer Arthur setzten, der im sechsten Jahrhundert einige wichtige Siege über die Engländer errungen hatte. Er wurde die Zierde der Könige, der "König, der war, und der König, der sein wird", denn er sollte wieder kommen. Für die Waliser bedeutete das, daß er zurückkehren und die Engländer besiegen; und für das übrige Europa, daß er der Grausamkeit und Unterdrückung ein Ende bereiten würde. Mir der Artussage kam die Legende vom Heiligen Gral.

Als die Römer im ersten Jahrhundert n. Chr. die südliche Hälfte Britanniens eroberten, verboten sie die einheimische Religion, den Druidismus. Aber als sie im Jahre 410 das Land verließen, lebte dieselbe Religion naturgemäß wieder auf. Die Menschen wechseln ihre Überzeugungen nicht, weil ihre Besieger es befehlen, sie halten heimlich an ihnen fest. Mittlerweile war das Christentum erschienen und hatte viele bekehrt. Auch das wurde von den römischen Kaisern verboten, obwohl es später zur Religion Roms wurde. Daraus können wir leicht ersehen, daß der Druidismus, an den die Edlen von Britannien während der Besetzung durch die Römer glaubten, ohne Widerstreit und in der Tat mit einem guten Teil Sympathie Seite an Seite mit dem Christentum lebte - beide waren von den Eroberern verboten. Jener damals geschaffene Zustand der Sympathie machte ein Zusammenleben ohne aktive Gegnerschaft, ohne Verfolgung des Druidentums durch die Christen während der Jahrhunderte möglich. Deshalb ist die walisische Literatur so voller druidischer Hinweise.

Was für das Christentum das Kreuz ist, war für die Druiden ein anderes Symbol. Es wurde in Wales Pair Dadeni oder der "Kessel der Wiedergeburt" genannt. Die Geschichte von Parzival und dem Heiligen Gral ist walisischen Ursprungs. Dort ist der Name des Helden Peredur, und für den Gral haben wir den Kessel. Peredur bedeutet Diener des Kessels; und was bedeutet Parzival? Pair Cyfaill, Freund des Kessels. So sehen wir, wo die Legende vom Heiligen Gral mit ihrem starken Einfluß auf die Reinheit der Lebensführung, den Adel des Charakters und auf Sanftmut statt Grausamkeit ihren Ursprung nahm. Sie ist ein Erbe des Druidismus, der alten Religion Britanniens, die in ihrer eigenen Sprache die kymrische und im englischen die walisische genannt wurde.

Wir müssen verstehen, daß ehe die Männer die Macht der Druiden brachen, für diese das Symbol des Kessels so heilig war, wie für einen frommen Katholiken das Kreuz. Selbst als es im dunklen Zeitalter und im Mittelalter nach Europa kam, als seine ursprüngliche Bedeutung vergessen war und ihm eine christliche Bedeutung beigemessen wurde, war es wirksam genug, das Leben der Menschen umzugestalten. Wie hätte das geschehen können, wenn die um dieses Symbol, den Kessel der Wiedergeburt, gesammelten druidischen Lehren so grausam und barbarisch gewesen wären, wie man uns glauben machen will? Wir wollen vor allem die alte Vorstellung von den Menschenopfern aufgeben; das stützt sich alles auf das Zeugnis eines einzigen Menschen, von Cäsar, der aus persönlichem Ehrgeiz die Druiden bekämpfte und Gallien, eines der drei Länder, in denen sie regierten, eroberte. In diesem unprovozierten und ungerechtfertigten Krieg wurden drei Millionen Gallier getötet. Cäsar nahm ihren König, den heldenhaften Vercingetorix, gefangen und ermordete ihn; und was Cäsar über die Druiden schrieb war ein Versuch, seinen eigenen Angriff auf sie zu rechtfertigen. Wenn er sagt, daß sie ihre Verbrecher in großen Weidenkörben verbrannten, vergißt er im Enthusiasmus seiner Kriegspropaganda, daß er selbst vorher dargelegt hatte, daß die strengste Strafe, die von den Druiden, die Richter und Priester zugleich waren, verhängt wurde, die Ausstoßung war.

Wir wollen zu dem Symbol des Kessels zurückkehren, der in der walisischen Geschichte Eigentum von Ceridwen, der mächtigen Mutter, der Göttin der Natur war. "Ein toter Mensch, der in den Kessel getan wurde, wurde wieder lebendig; aber er war stumm" sagt Taliesin, der große druidische Barde des sechsten Jahrhunderts. "Ich empfing meine Inspiration im Kessel von Ceridwen." In einem seiner Gedichte erzählt er uns, wie Arthur mit drei gläsernen Schiffen in die Unterwelt eindrang, um in den Besitz des Kessels zu gelangen. Dieser befand sich in Caer Pedryfan - dem vierseitigen Schloß auf Ynys Pybyrddor - der Insel der starken Tore - unter der Obhut der Könige der Unterwelt. Auf ihrer Fahrt besuchten sie verschiedene Planeten und "nur sieben kehrten wieder zurück." Arthur steht hier für den Geist; die Materie ist das vierseitige Schloß (vier ist die Zahl der Materie, wie drei die des Geistes) und Arthur fuhr mit drei Schiffen ab. So bildete der Kessel als Symbol für Wiedergeburt und Initiation die Hauptlehre des Druidismus: daß ein Mensch mit Hilfe der "Initiation" oder einer "zweiten Geburt" - dadeni - ein Gott wurde.

bild_sunrise_41966_s133_1Die Überlieferung spricht von zwei Orten in Wales, wo "Initiationen" stattfanden: eine Höhle auf dem Snowden und ein Fels auf dem Cadair Idris; und daß wenn ein Mensch eine Nacht in der Höhle oder auf dem Felsen verbringen würde, er am Morgen entweder tot, wahnsinnig oder ein eingeweihter Barde wäre. Für die Druiden war es selbstverständlich, daß einer solchen Erfahrung eine lange Schulung vorausging, um den Kandidaten von Leidenschaft und selbstischem Begehren, von der Täuschung des persönlichen Selbstes, von dem Gefühl andere Interessen zu haben als solche für die ganze Menschheit zu befreien.

Im ersten Jahrhundert v. Chr. war der Kessel der Initiation für jeden religiös gesinnten Menschen das Symbol seiner höchsten Ideale. Es erinnerte ihn an das Ziel, das er erstrebte, nämlich durch Selbstbesiegung "vollkommen" zu werden, wodurch er das heiligste aller Ereignisse in seinem Leben erfahren konnte - die "Initiation", durch die der Mensch ein Gott wird. Zu jener Zeit wußte jedermann, daß Pair Dadeni das Göttliche in ihm selbst bedeutete: seine eigene innere Kraft, sich selbst zu erlösen und ein Diener der Welt zu werden.

Wenn wir in das Jahr 300 n. Chr. zurückkehren könnten, würden wir Zeuge sein, wie die Römer Südengland regierten und das Druidentum geächtet war. Nichts an seiner Kleidung und seinem Verhalten zeigt, daß ein Mensch ein Druide oder Barde ist, aber die alten edlen Familien bestehen noch. Manche von ihnen lernen Latein und sind den römischen Beamten in allem gewachsen. Öffentlich bekennen sie sich zur Religion der Eroberer und verehren den Kaiser und die fremden Götter. Es bestand kein Grund, warum sie das nicht tun sollten. Jedoch die römischen Beamten und Offiziere sind nicht die einzigen Gäste, die sie empfangen. Wenn kein Römer anwesend ist, kommt eine sehr einfach gekleidete Person an ihre Tür; vor der Dienerschaft wird sie wahrscheinlich ihrem scheinbaren Stand gemäß aber zuvorkommend behandelt, aber wenn die Familie allein mit ihr ist, ist sie die Respektperson, der "Druide" oder der "Barde".

Er hat ihnen viel zu erzählen und besitzt viel Weisheit, in der er sie belehrt: vor allem über den mit dem Kessel der Initiation verbundenen hohen Idealismus. Er fragt, ob sie von Menschen zu Göttern werden möchten? Dann müssen sie lernen an die Göttlichkeit ihrer eigenen Seelen zu glauben. Er erzählte ihnen, wie der Geist herabstieg und sich mit der Materie verband, der positive Pol des Daseins mit dem negativen; wie das Leben begann, wie sich die auf diese Weise beseelten Atome durch Verkörperung in allen möglichen und vorstellbaren Formen und durch die große Tiefe von Annwn oder der Unterwelt, den Welten unterhalb der menschlichen, entwickelten, bis diese Leben, diese sich entwickelnden Wesenheiten, in diesem Universum, in diesem Zyklus der Manifestation - den sie Menwantura nannten - die menschliche Stufe erreichten. Er beschreibt, wie diese Universen ihre Tage und Nächte, ihre Perioden der Manifestation und der Tätigkeit und ihre entsprechenden Perioden der Zurückgezogenheit und der Ruhe im Unsichtbaren haben; daß jeder solche Zyklus der Tätigkeit für sich entwickelnde Wesen die Gelegenheit ist Göttlichkeit zu erlangen. Denn wenn sie sich selbst vervollkommneten, schritten sie weiter oder entwickelten sich empor in die Welt über der menschlichen, die sie Gwynfyd nannten. Von dort brauchten sie nicht zur Verkörperung in die Menschenwelt zurück zu kehren; aber sie konnten es, wenn Mitleid sie bewegte, ihren Mitmenschen zu helfen.

Er erklärt ihnen auch, daß das Leid etwas sei, das geduldig und heldenhaft ertragen werden muß, über das man sich wirklich freuen sollte. Denn es bedeutet Vergeben für die Seele, das Abtragen und Befreien von Wirkungen und Bürde alten falschen Denkens und Übeltuns, vielleicht aus diesem Leben, vielleicht aus vielen früheren Leben. Und beständig muß die Seele durch hohen Idealismus und Mißachtung des niederen Selbstes stärker werden. Immer muß der Seele, ihrer Größe und ihrer Göttlichkeit vertraut werden: niemals äußeren Dingen, niemals materieller Stärke und materiellem Besitz, niemals einem außerhalb von uns befindlichen Gott - immer und nur der Göttlichkeit im Menschen. Das war Druidismus; jener Zuflucht gewährende, edle, frohlockende Glaube an die Vortrefflichkeit des Geistes: ein Glaube und ein Idealismus, die von ihren Barden lebendig erhalten wurden und die zu zerstören eine vier Jahrhunderte währende römische Regentschaft unfähig war.

Im sechsten Jahrhundert, dem geheimnisvollsten in der Geschichte unserer Insel, haben die Römer sie verlassen. Junge Abenteurer von jenseits der Nordsee strömten herein; die ganze südliche Hälfte von Britannien war in Aufruhr. Aber es bestand auch ein gewisses Maß an Frieden. Es bildeten sich hier große Colleges: eines in Llantwit Major, ein anderes in Bangor, im Norden. Dann - nachdem das alles war - erschienen überragende Dichter. Vier berühmte Namen sind uns überliefert; zwei davon, Taliesin und Myrddin Gwylt, sind Kämpfer für das Druidentum. Die reiche, symbolisch anschauliche Darstellung ihrer Legenden feuert die Imagination der Menschen an. Daß ein Mensch eine "strahlende Stirne" bekommen kann, die durch seinen in seinem und durch sein Leben geoffenbarten eigenen inneren Gott so leuchtend wird: das war das Ziel und die Lehre der Druiden. Und etwas davon haftete an ihrem Symbol Pair Dadeni, als es zum Heiligen Gral wurde, und von dem sterbenden Wales gingen seine Kraft und sein Einfluß auf Europa über, um rohe Menschen in Menschen umzuwandeln, die danach strebten edel und vornehm zu werden.