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Eine altmodische Anschauung

Die Prophezeiung, daß in Kürze die Hälfte der Bevölkerung aus jungen Leuten bestehen wird, die noch nicht zwanzig Jahre alt sind, hat in jenen von uns, die etwas älter sind, ohne Zweifel widerstreitende Gefühle erweckt. Die Geschäftswelt hat diesen in Aussicht stehenden Markt schnell entdeckt und ihr Hauptaugenmerk der Jugend zugewandt. Eine regelrechte Überschwemmung von Spielsachen, von denen viele wenig erzieherischen Wert haben, wird auf die immer begierigen Kinder ausgeschüttet. Millionen Schallplatten von augenblicklichen Teenager-Idolen werden hergestellt, die dann in drei Jahren in irgendeiner vergessenen Ecke verstauben. Mit den verschiedensten Mode- und Schönheitsartikeln werden die heranwachsenden Mädchen angesprochen und mit den elektronischen Geräten und rasanten Motorrädern die frühreifen Burschen. Im Hintergrund aber manipulieren die Fabrikanten immer weiter einen künstlichen, ausgedehnten Markt, um Wünsche zu wecken, deren Befriedigung unter dieser Jugend bald als unerläßlich notwendig betrachtet werden wird. - "Sei der erste in deinem Viertel, der das besitzt", "Laß dich beneiden in deiner Nachbarschaft" - und die etwas älteren werden überzeugt, daß ihre zart knospende Liebe nur mit Hilfe besonderer Shampoos, desodorierender Mittel, Zahnpasten, Mundwasser und Haarpflegemittel blühen kann.

Auf diese Weise steht die heranwachsende Generation, die lautstark ihren Platz an der Sonne beansprucht, einem materiellen Überfluß gegenüber, der ihrem, in seinen Launen wechselnden Geschmack angepaßt ist. Sie ist bereit, unverzüglich alle nur denkbaren Taschen mit Nichtigkeiten vollzustopfen, die ihre hin- und herflatternden Wünsche herbeischaffen. Der leichte Unterton der Kritik in diesen Worten ist beabsichtigt. Die Kritik gilt jedoch nicht unserer Jugend, nicht einmal dem "Geschäft", sondern uns selbst, denn wir sind für die äußeren Lebensbedingungen verantwortlich, die wir unseren Nachkommen als zweifelhafte Erbschaft hinterlassen.

Der Ausdruck "Entwicklungskrise" bedeutet fast soviel wie überreizt sein und vermittelt den Eindruck, daß wir Erwachsenen in unserem überspannten Streben von materiellem Ehrgeiz und materiellen Wünschen hoffnungslos in Anspruch genommen sind, während wir einem engherzigen und dogmatischen Glaubensbekenntnis nur Lippendienst erweisen. Auf der anderen Seite dieser Kluft bewegen sich die jungen Leute einer, wie sie glauben, besseren Welt entgegen. In einem verzeihlichen Durcheinander verwerfen sie alles Alte, aber die Fackel des Idealismus tragen sie hoch. Uns wollen sie einreden, daß wir beschämt den Kopf hängen lassen und ihnen, falls wir es vermögen, hinkend folgen müßten. In diesem Zusammenhange können wir eine interessante, und meiner Ansicht nach höchst tragische Erscheinung beobachten: Erwachsene, die so lange selbstgefällig in der Annahme lebten, durch ihre harte Arbeit ihren Kindern alles gegeben zu haben, was sich diese auch nur irgendwie wünschen konnten, sind durch diese Ablehnung erschüttert. Sie warten ab, werden unschlüssig und versuchen dann, sich der Safari der Jugend anzuschließen. Viele dieser Bemühungen sind zweckloser und grotesker als eine würdige Matrone im Minirock. Damit meine ich nicht die Profitmacher, die um ihres eigenen, finanziellen oder politischen Gewinnes wegen die Exzesse unter der Jugend schüren, sondern jene aufrichtigen intellektuellen Menschen, Schriftsteller, Geistlichen, Psychiater - und auch Eltern, die der Jugend erlauben sie zu führen, sei es aus übertriebenem Schuldgefühl, weil sie sich weigern, die Verantwortung des Erwachsenen zu übernehmen, oder einfach aus der irregeleiteten Idee heraus, die Jugend habe alle Antworten parat.

Kürzlich wiesen mehrere Psychologen, Soziologen und Erzieher, wegen der großen Zahl milieugestörter junger Leute tief besorgt, mit zur Anklage erhobenem Finger auf die allzugroße Nachgiebigkeit hin. Diese Nachsichtigkeit wurde für die vielen Übel verantwortlich gemacht, so wie man früher die allzugroße Strenge dafür verantwortlich gemacht hatte. Die Eltern sind natürlich bestürzt. Welchen Experten hätten sie Gehör schenken sollen? Welchen Weg hätten sie einschlagen sollen? Hätte man den Säugling nicht sofort stillen dürfen, als er schrie, sondern hätte er lernen müssen zu warten? Hätte man der kleinen Susie nicht erlauben dürfen die letzte Wochenzeitschrift zu zerreißen, und hätte ein junger Bobby seine Neugierde nicht darin befriedigen dürfen, indem er einer lebenden Grille die Beine ausriß? Ähnliche Zweifel gibt es in jedem Stadium der Entwicklung, und die Suche nach der besten Lösung geht bei den ängstlichen Eltern und Fachexperten weiter. Neue Theorien werden entwickelt und begeistert befolgt, Vorträge werden gehalten und pflichtgetreu besucht, Bücher werden geschrieben und gründlich studiert und doch...

Werfen wir einen kurzen Blick auf diese "nachgiebige Zeit" und was sie hervorgebracht hat. Das, was am meisten in die Augen springt, beachten wir natürlich dabei zuerst: das Negative und Extreme, den Lärm der Rebellion, die hedonistischen Neigungen, die groben Ausschweifungen. Wir wissen jedoch, daß diesen ganzen Verwicklungen zum größten Teil Leere und Verzweiflung zugrunde liegen. War es die Nachgiebigkeit der Eltern an sich, die diese verhältnismäßig kleine, aber wichtige Gruppe junger Leute zum "Ausbrechen" trieb? Wie bei allen Verhaltensmöglichkeiten ist es im wesentlichen das Motiv, das den Mißerfolg bestimmt. Das Motiv wird jedoch wiederum durch alles, was aus früheren Erfahrungen an Weisheit gewonnen wurde und durch die Festigkeit des Entschlusses, nach den Geboten dieser Weisheit zu leben, gestaltet. Es besteht ein gewaltiger Unterschied zwischen einfachem Verwöhnen und törichter, übergroßer Nachsicht, zwischen einem gelegentlichen Verzeihen irgendeiner kleinen Übertretung und einer offenen Bestechung. Die unachtsame, lässige, ja oft lieblose Nachgiebigkeit wird vom Kinde als Verlassenheit empfunden, genauso wie unvernünftige Forderung oder launenhafte Strenge als Mangel an Anerkennung seines eigenen inneren Wertes aufgefaßt wird. Allgemein gesprochen, es ist Armut, gefühlsmäßige und seelische Armut, die - ähnlich wie die niederdrückende materielle Armut, ihre Rebellion eigener Art erzeugt - in dem heranwachsenden jungen Menschen eine nagende Unzufriedenheit verursacht, besonders wenn er von einem Reichtum weiß, der jenseits seiner Reichweite liegt. Dann lehnt er nicht nur das Heim ab und alles, was es bedeuten sollte, sondern die ganze äußere Welt.

Trotzdem müssen wir uns ins Gedächtnis zurückrufen, daß in dieser jungen Generation, wie in jeder anderen vor ihr, nicht nur die Verzweifelnden und Schwächlinge, die Ziellosen und sogar die zukünftigen Verbrecher vertreten sind, sondern auch die Führer, die Idealisten und die Starken, denn in dieser Zeit wird eine große Anzahl jener geboren, die wegen ihrer aufrichtigen Einstellung hervorstechen. Sie sind freier, intelligenter und nehmen die starken und die schwachen Seiten der sie umgebenden Welt besser wahr. Sie sind ehrlicher mit sich selbst als es frühere Generationen waren und haben ein ausgeprägteres und ernsthafteres Interesse an ihrer eigenen, aktiven Teilnahme am Ganzen. Auch sie wuchsen in einer "nachgiebigen" Gesellschaft auf. Worin liegt der Unterschied?

Eine Antwort, so glaube ich, kann in dem Grad der Reife und der Hingabe gefunden werden, mit der sich die Eltern ihrem Kinde widmeten, als es jung war. Vom ersten Tag der Geburt an ist dem Säugling ein gewisses Maß an physischer Freiheit gegeben, um seine Umgebung in immer größerem Maße prüfen und erforschen zu können. Gleichzeitig braucht er jedoch den Schutz jener, die für ihn sorgen - und das bedeutet nicht nur physisches Beschirmen. Während der Wachstumjahre nimmt das Maß seiner Unabhängigkeit zu, und so kann das Kind seine Flügel erproben und seine eigene Form finden. Ohne Hindernisse und Einschränkungen kann es seine Kräfte nicht erproben. Es muß nun lernen, diese Freiheit im Rahmen der Familie und der Gesellschaft, deren Teil es ist, zu gebrauchen. Und hier können die Eltern einen Beweis ihrer aufrichtigen Fürsorge geben, indem sie diesen Spielraum weise umgrenzen und durch ihre eigene Lebensweise, in ihren vertrauten Verhältnissen, taktvoll den Ausgleich zwischen Unabhängigkeit und weitgehender Rücksichtnahme auf andere zeigen.

Mit jeder Unze Freiheit ist ebensoviel Verantwortlichkeit verbunden. Zuviel Verantwortung führt zu einengender Härte, wie sie in der Vergangenheit vorherrschte. Zuviel Freiheit führt zur Zügellosigkeit mancher junger Leute von heute. Hinter allem sollte jedoch, während der ganzen Entwicklungsjahre, die Wärme des Heimes stehen, - immer bereit, immer großmütig - der Balsam wirklichen Verstehens, die Geduld zuzuhören, der Mut zur Bestrafung, die Weisheit zu führen, ohne das Kind in eine Richtung zu zwingen, die nicht seine eigene ist. Jeder junge Mensch ist ein von allen anderen verschiedenes Individuum, durch das Sonnenlicht seiner eigenen Zukunft nach aufwärts gezogen, vorwärts, um sich zu entfalten, genährt durch die Wurzeln seiner ureigensten Vergangenheit.

Tatsächlich kommt jede Seele mit ihren besonderen Qualitäten, ihren angesammelten Erfahrungen, ihrer besonderen Struktur von positiven und negativen Eigenschaften in diese Welt. Das neugeborene Gemüt ist keine tabula rasa, kein unbeschriebenes Blatt, auf das Umweltereignisse schreiben können, was sie wollen. Auch die Charakterzüge (die ohne Zweifel von Anfang an vorhanden sind!) können nicht einfach durch die Gesetze der Vererbung erklärt werden. Vererbung spielt eine Rolle, aber nur insofern, als sie die Seele befähigt, in einem richtigen und tauglichen Werkzeug physisch, mental und emotional Ausdruck zu finden; Vererbung bestimmt nicht die Eigenschaften des Vehikels.

Wenn eine lebende Wesenheit in eine neue Inkarnation eintritt, fährt sie fort, ihre eigene Struktur und gleichzeitig ihre eigene Zukunft zu gestalten. Sie entwickelt sich zuerst physisch und zwar außerordentlich schnell, und indem sie reagiert und handelt, entfaltet sie sich bald emotional und mental, und die ganze Zeit über lernt sie. In späteren Jahren liegt der Schwerpunkt auf spirituellem Wachstum, auf Weisheit und Selbstdisziplin. Wenn schließlich der vitale Impuls von diesem Dasein auf Erden zurückgezogen wird, scheidet die Seele, voller Hoffnung, ein wenig bereicherter, ein kleines Stück weiter fortgeschritten, auf ihrem endlosen Weg zur Vollkommenheit.

Wenn wir auf die Menschheit als Ganzes blicken, auf den beständig wogenden Zustrom von Seelen auf die Erde, so ist es die Kontinuität, die uns beeindruckt, eine immer bestehende Erfahrung, an der alle teilhaben, von den sehr Jungen bis zu den ganz Alten. Wie ein riesiger Fluß fließt die Menschheit dahin, zuweilen ruhig, zu anderen Zeiten vorwärtsstürmend, über Steine und Klippen. Es gibt atemberaubende Stromschnellen und gefährliche Strudel. Dann kommen wieder ruhige Strecken, wo sich kaum eine kleine Welle zeigt. Sie hat auch ihre Zyklen: die stille, friedliche Zeit des Sommers, die frostige Kristallisation des Winters und den ungeduldigen, zuweilen destruktiven, aber immer kraftvollen Anbruch des Frühlings. Wir alle gehören zu diesem riesenhaften Strom und werden auf unsere Weise durch seine Vitalität dahingetragen, beeinflußt (wenn auch selten bewußt) vom Auf und Ab des pulsierenden Lebens, das uns vorwärts bringt.

Wenn wir die Reise des Menschen als ein Kontinuum ansehen, bekommen wir eine dunkle Ahnung von unserer eigenen Aufgabe und Verantwortung. Obwohl wir alle Zeitalter hindurch an diesem erhabenen Pulsieren des Universums teil hatten, wissen wir leider sehr wenig über seine Zyklen und Rhythmen. Daher kann es sein, daß wir uns persönlich nach der Ruhe des Sommers sehnen, während ein Großteil des menschlichen Lebens rund um uns wogt und kocht und die eisige Kruste einer vorhergegangenen Phase aufbricht. In der Geschichte der Menschheit erkennen wir leicht Punkte, an denen eine bestimmte Wende, eine bestimmte Veränderung in der Atmosphäre eintrat, als hätte ein Wirbelsturm die Überreste der Vergangenheit hinweggefegt. In manchen Fällen scheint es, als wäre dies durch eine berühmte, führende Persönlichkeit zustande gebracht worden, in anderen durch eine große Revolution, immer fand jedoch ein Kampf zwischen den Extremen des Neuen und des Alten statt. Einige Jahrzehnte später, wenn sich der Staub gelegt hat, sehen wir, daß sich, trotz ernster Irrtümer, ein beträchtlicher Nutzen für den Fortschritt einer Nation, einer Gruppe von Nationen, oder sogar für die ganze menschliche Rasse ergeben hat.

Kommen wir nun wieder zurück auf die Unruhe in unserer jetzigen Zeit. Niemand ist immun gegen ihren Einfluß, niemand kann abseits stehen. In den letzten Jahrzehnten wurde wieder die gebieterische Forderung nach mehr Freiheit erhoben - Freiheit von der Bürde kolonialer Vorschriften, von törichtem und unwissendem Vorurteil, von veralteten religiösen Dogmen, von bedeutungslosen Regeln sogenannter Moral, von bedrückenden Forderungen im Beruf oder seitens der Regierung. Die Jugend hat sich natürlich lärmend angeschlossen, denn sie ist nicht durch Erinnerungen an die Vergangenheit gehemmt und fühlt den Antrieb des Frühlings intensiver. Während ihres langen, langen Bestehens hat die Menschheit, oder haben große Teile von ihr oft solche Aufbrüche des winterlichen Eises erlebt, und immer wurde der Impuls durch den Eifer der Jugend unterstützt. Das ist natürlich und gut, aber es bedeutet nicht, daß wir "Philister" uns zurückziehen und passiv verhalten sollen, denn auf der anderen Seite des Freiheitsbanners steht in großen Buchstaben: Verpflichtungen. Wir Erwachsenen haben das gelesen oder sollten es gelesen und unserem Denken und Handeln einverleibt haben.

Worte wie Pflicht, Verpflichtung, Aufgabe, Verantwortlichkeit haben einen kalten, unnachgiebigen Klang, wenn sie für sich allein stehen. Nur wenn sie im Zusammenhang mit den dazugehörenden Gedanken, Freiheit, innerer Befriedigung, Begeisterung, Dienstleistung angewandt werden, werden sie geschmeidig und angenehm. Eine der ersten Verpflichtungen die wir haben, ist es, unser Kind mit der Dualität dieser Begriffe bekannt zu machen, Das geschieht aber nur durch unsere Handlungen, so daß es sie in sich aufnehmen kann und schließlich seinen richtigen und nützlichen Platz in der menschlichen Gesellschaft findet.

Jede Wesenheit im Universum muß lernen, daß es keine unbeschränkte Freiheit gibt. Selbst der sich hoch in den Himmel emporschwingende Vogel erreicht schließlich die Grenze seiner Kraft und muß zur Erde zurück, meistens zu seinem eigenen Baum oder zu seinem besonderen Fleck auf der Wiese. Genauso stößt jeder Mensch, obwohl er bereits viel weniger eingeschränkt ist als der Vogel, sogar im spirituellen Bereich, beständig auf die in seinem ganzen Wesen liegenden Grenzen. Die erhebende Macht seiner höchsten Ideale, seine erhabensten Gedanken, werden bestimmt durch seine innere Charakterstärke, seine Bereitschaft zu dienen, seine Bereitwilligkeit, einen Teil seiner selbst für die Wohlfahrt des Ganzen zu opfern.

Freiheit ohne innere Disziplin führt zu der heute so auffallenden Verwirrung und zwar nicht nur bei der Jugend. In einem ausgezeichneten Essay der Time vom 15. Dezember 1967 kommt das zum Ausdruck:

"Disziplin heißt ein Disciple zu sein, ein Gefolgsmann", sagt der Psychoanalytiker Bruno Bettelheim: beide Worte kommen vom lateinischen Wort für Schüler. Kinder werden Schüler der Eltern, die sich gut verstehen und einander achten; deren gegenseitige Achtung und deren freimütiges Lob für gut getane Arbeit die Kinder veranlaßt, sich selbst in einem positiven Bild zu sehen. Das Verhalten muß jedoch echt sein, das junge Gemüt erkennt sofort das Unechte.

In Familien, in denen jeder Lernender ist, wird "nein" genauso liebevoll ausgesprochen wie "ja." Die Kinder lernen zu warten; die Eltern lehnen es ab, ihnen dies oder jenes zu kaufen, bis sie beweisen, daß sie reif genug sind, es richtig zu gebrauchen.

Sehr viele junge Menschen lehnen die Welt der Erwachsenen ab, weil diese, trotz der scheinbaren Verhätschelung des Kindes sie durch eine unbeabsichtigte, aber dennoch verheerende emotionale und spirituelle Hungerdiät ablenken. Hier reicht unser Vermächtnis für die Jugend nicht. Wir Erwachsenen waren selbst in den Aufruhr verwickelt, der viele tote Äste von den Bäumen der Überlieferung und der Gewohnheit abbricht und baufällige Strukturen des Glaubens und der Moral bedroht. Wir werden die Erinnerung nicht los, daß die gleichen Zweige einmal grün und wundervoll, und die gleichen Strukturen einst heiliger Boden waren. In der Erinnerung kleidet sie unser geistiges Auge in ihren früheren Glanz. Doch dann kommt die Jugend und spottet über unsere Illusionen. Wenn wir jetzt abseits stehen und der Jugend die Aufgabe der Läuterung allein überlassen, wird unser Versagen vollständig sein: wenn wir ihr blindlings folgen, werden in der herrschenden Verwirrung viele grüne Äste abgerissen. Nein, zusammen müssen wir die bleibenden Werte aus dem Vermächtnis der Menschheit herausdestillieren. Es ist unsere heilige Aufgabe, die gesunden ethischen Begriffe, die universalen Prinzipien in religiösen Glaubensformen zu bewahren und sie an die Nachkommenschaft weiterzugeben.

Diese grundlegenden Ideen und Ideale haben die Menschheit von Kindheit an begleitet und können überall angewendet werden, sowohl auf die kleinen täglichen Angelegenheiten in unserem Leben als auch auf die verwickelten Beziehungen in der menschlichen Gesellschaft in der Gesamtheit. Wenn wir uns einmal entschieden haben, an der Vorwärtsbewegung teilzunehmen, können wir nicht mehr länger den leichten Weg wählen, auch nicht den selbstischen oder kurzsichtigen. Wir werden begreifen, daß wir alle, selbst der schreiende Säugling, die Susi, die so gerne Papier zerreißt und Bobby mit seiner Grille, jeder für sich, individuelle Schüler in der Schule des Lebens sind. Wir sind aber auch Lehrer und Erzieher, nicht mit Worten, sondern durch unsere Handlungen. In der Vergangenheit haben wir wahrscheinlich viel von dem, was wir hatten mit unseren Kindern geteilt; jetzt müssen wir mit ihnen teilen, was wir tief im Innern, in den edelsten Bereichen unserer Seele sind. Das ist der Reichtum, den wir unserer Jugend von heute vorenthielten und von dem sie intuitiv fühlt, daß er ihr zusteht.

Die pulsierende Verheißung des Frühlings kann uns alle entflammen und niemand ist zu alt dazu. Wir müssen den inneren Reichtum finden: die Hingabe an ein hohes Ideal, Selbstvergessen in warmen und bedeutungsvollen menschlichen Beziehungen, aus der Tiefe kommendes Begreifen, daß der Mensch, alle Menschen, gemeinsam auf ein erhabenes Ziel hinarbeiten. Weder wir noch die unmittelbar nach uns kommende Generation werden dieses Ziel erreichen, aber wir und mit uns die Jugend, werden in zunehmendem Maße einen Teil jener unermesslichen Freiheit der Seele erwerben, die auf uns wartet.

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