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Ein Licht in der Wildnis

Die Jugend beginnt heute ein neues Gesicht zu zeigen. Manche bezeichnen sie als die "heimatlose Generation", als Opfer der Tatsache, daß allgemein anerkannte Sicherheiten der Vergangenheit - Patriotismus, Familienbande und Religion - fast vollständig zusammengebrochen sind. Die Bindungen der Tradition scheinen sich auf jedem Gebiet des modernen Lebens gelöst zu haben. Sie wurden in die erschreckenden Wasser der Verwirrung und des Verlassenseins geworfen.

Es ist wahr, globale Umbrüche treten in Formen in Erscheinung, die beunruhigen, weil sie uns fremd sind. Gleichzeitig müssen wir uns ihnen aber schneller anpassen als in der Vergangenheit. Es ist natürlich durchaus menschlich, dem schroffen Wechsel gut erprobter Prinzipien gegenüber konservativ zu sein. Das dient als natürliche Bremse bei der Alternative, die zu einem vom Zufall bestimmten, entwurzelten Lebensstil führt, bei dem sich die Gesellschaft nach allen Richtungen austobt und sich keine Zeit nimmt, mit Intelligenz oder ein wenig Weisheit, die Annahme einer neuen Lebensweise und neuer Beziehungen zueinander, schmackhaft zu machen. Wenn wir außerdem die Sache mit dem ruhigen Blick einer größeren Perspektive betrachten, ist die Aussicht vielleicht nicht so ernst, wie uns die Unruhe an der Oberfläche glauben läßt.

Wenn wir es gründlich betrachten, so scheint eine andere Ethik geboren zu werden. Eine tiefer reichende Bedeutung auf dem Gebiet der Beziehungen von Mensch zu Mensch und vom Menschen zum Universum wartet darauf, erforscht zu werden. Zusammen mit einem aufregenden und abenteuerlichen Wunsch, in die Bereiche des äußeren Raumes vorzudringen, besteht offensichtlich ein Suchen nach unerprobten Methoden und Freiheiten im sozialen Verhalten und nach neuen Normen menschlichen Handelns. Das dringende Verlangen nach Selbstidentität und Zielbewußtheit scheint manche Jugendliche von heute zuweilen zu gewaltsamen Methoden des Selbstexperimentierens und des Ausdrucks der eigenen Persönlichkeit zu drängen. Und dahinter, in und rund um diese desperaten Handlungen, äußert sich eine kolossale Energie, die auf irgend etwas zutreibt, auf irgendeine Art inneren Durchbruch, den viele von jenen, die höchst innig mit seiner äußeren Entwicklung verbunden sind, nicht beim richtigen Namen nennen oder selbst nicht begreifen können.

Wir möchten gerne glauben, daß diese ganze Unruhe nur oberflächlich ist und wir, weil wir durch die Vergangenheit so geartet sind, erwarten können, daß gewisse Formen fortbestehen. Doch diese jungen Leute wollen das Leben selbst entdecken, ohne die Einmischung der überlieferten Autorität. Sie fühlen die drückenden Beschränkungen anachronistischer Erwartungen und verfolgen, vielleicht unbewußt, einen Weg zur Freiheit, der ihrem aufgeschlossenen und verschiedenartigen Geiste entspricht. Sie werden mitwirken, eine noch unbekannte Phase menschlicher Erfahrung einzuleiten und müssen die Notwendigkeit empfinden, mental, physisch und psychologisch richtig ausgerüstet zu sein, um diesem neuen Ausdruck des Lebens zum Durchbruch zu verhelfen. Sie müssen mit einer ehrlichen Selbstanalyse beginnen, übliches Rüstzeug auf seinen Wert hin überprüfen, und Unzulängliches und Veraltetes feststellen. Doch sie müssen auch das Gesunde dort erkennen, wo es vorhanden ist.

Das ist ein ungeheures Unternehmen, aber die jungen Leute von heute scheinen eine besondere Veranlagung, eine gewisse Stärke für und ein selbstvertrauendes Eingehen auf die Spannung zu besitzen, die durch diesen Ruf aus der Wildnis der sich entfaltenden Zukunft entsteht. Sie wollen bewußt den Weg gehen, den sie gehen müssen, aber sie begreifen auch, daß die Mittel und Wege dazu gegenwärtig noch verworren und unbestimmt sind. Doch durch einen inneren Drang dazu gezwungen, kämpfen sie, um einer neuen Ära für die Menschheit Leben einzuflößen, helfen sie, erweiterte Regionen des Bewußtseins zu erreichen. Die jungen Leute fürchten die Veränderung nicht und wollen sie nicht nur haben, sondern wollen auch noch unbedingt ihre Bedeutung wissen. Das ist ihre Aufgabe, und der ganze Bereich der vertrauten Dinge könnte ohne Zweifel davon betroffen werden, bevor sie damit fertig sind.

Immer mehr Menschen, jugendliche wie ältere, finden viele religiöse Standpunkte der Vergangenheit als wirklichkeitsfremd und unzulänglich. Sie sehen die in konventionelle Formen gekleidete Religion zu sehr mit unrealistischem und verschimmeltem Dogma beladen und unhaltbar, weil sie sich auf "äußere" Kräfte und Rituale stützt. Irgendein intuitiver Impuls scheint ihnen anzudeuten, daß die Schätze des Geistes unter den starren Bekenntnissen vorgefaßter Begriffe über das, was Gott ist, begraben liegen.

Wie äußert sich der religiöse Geist? In einem Suchen nach Befriedigung durch völlige Einheit mit irgendeiner Art übersinnlicher Macht, verbunden mit dem inneren Wunsch ein spirituelles Selbstvertrauen zu erlangen, das den ganzen Menschen befähigt, alle Aspekte des Lebens kennenzulernen. Es genügt nicht nur darüber zu sprechen oder es nachzuempfinden, indem man die Meinungen anderer annimmt. Die religiöse Erfahrung ist für jeden anders, aber die grundlegenden Elemente sind die gleichen und ebenso das Verlangen. So kann auch die Wahrheit nicht begrenzt, nicht gekauft, verkauft, gelehrt oder erlangt werden. Sie kann nur erkannt werden; und individuelle Erkenntnis ist der einzige effektive Weg, die Welt zu ändern.

Die Wissenschaft hat das nukleare Potential in der natürlichen Substanz der Erde enthüllt und hat unbewußt ebenfalls damit die unendliche Möglichkeit für das Wachstum des persönlichen Bewußtseins im Organismus des Menschen gefunden. Einige der ständigen Bemühungen über die "Ausdehnung des Bewußtseins" durch den wahllosen Gebrauch der "das Bewußtsein verändernden" Drogen sind rohe und oft unheilvolle, ungeeignete Methoden, um zu versuchen diese Entdeckung zu erreichen und Erfahrungen zu machen. Von einem LSD-Praktiker wird sogar der ernsthafte Versuch gemacht, den als möglich angenommenen Vorgang der Bewußtseinserweiterung durch Drogen, als das Universalheilmittel für die ruhelosen Sehnsüchte der heutigen Jugend zu verherrlichen. Derart auffallende und falsch widergegebene Ankündigungen führen gewöhnlich zu pseudomystischen und äußerst gefährlichen Erfahrungen, aber sie werden nie eine Berührung mit der wirklichen Natur der Dinge zustande bringen, wenn sie auch auf eine Wendung zu neuen Richtungen hinweisen können. Es ist wie die Illusion mit dem indischen Seiltrick. Durch die erwartungsvolle, psychologische Einstellung hält das Auge das Seil tatsächlich für eine Schlange. Das Seil ist von der Schlangenvorstellung überlagert wie die Wahrheit von der Illusion. In dieser Hinsicht ist die, als Folge sogenannter religiöser Erfahrung entstehende Bezauberung, wie schon angedeutet wurde, nur die Ausweitung bereits im Gehirngemüt und in der Psyche vorhandener physischer Substanzen und psychischer Kräfte und Bilder. Es ist nicht möglich, daß durch künstliche Induktion von außen im Charakter der Seele des Menschen etwas Neues oder Revolutionäres oder Dauerndes geschaffen werden kann. Nur der Geist im Inneren kann durch inneres Wirken Veränderungen dessen hervorbringen, was der Quelle ursprünglicher schöpferischer Energie entspringt, die viele den Gott im Inneren nannten.

Religion bedeutet etymologisch "zurückbinden". In dieser genauen und buchstäblichen Bedeutung könnten wir sagen, daß sich vieles von der Theologie zu starren Formen des Denkens und Verhaltens kristallisierte. Wo Vorurteile, Bigotterie, Konformität und Unterschiede zwischen Gruppen gebilligt werden, kann es für einen Menschen, der bemüht ist, sich mit der lebendigen Natur zu identifizieren, keine wahre religiöse Tätigkeit geben. Es muß für jedermann Freiheit bestehen, eine lebendige und beständig herausgeforderte Freiheit, die fähig ist, sich an die Wandlungen und den Strom des Lebens in seinem zuverlässigen und von innen heraus erfolgenden Prozeß des Werdens anzupassen.

Die Zeitschrift Look hielt kürzlich eine Umfrage unter der Jugend (20. September 1966) und zeigte, daß die jungen Leute von heute "religiös sind, aber dazu neigen organisierte Religion abzulehnen." Der größte Teil von ihnen glaubt an Gott oder an ein höchstes Wesen, aber die "Gott ist tot"-Kampagne hat sie veranlaßt den allgemeinen religiösen Glauben neu zu bewerten, und eine Auffrischung ihrer eigenen Überzeugungen zu fördern. Sie sind nicht gleichgültig oder rebellisch. Sie erheben ihre Forderungen und prüfen und bezweifeln aufgestellte Thesen. Ein 19-jähriger junger Mann sagte: "Gott ist kein Großer Mensch irgendwo draußen. Er ist im Innern; vielleicht ist er die Liebe... Auf keinen Fall möchte ich durch Furcht vorwärts getrieben werden, sondern eher durch etwas Positives." - indem man beginnt, sich mit irgend etwas hinsichtlich sozialer- und Weltprobleme zu beschäftigen.

Diese nachdenklichen jungen Erwachsenen, die in nächster Zukunft die Verantwortlichkeit für die Weltereignisse übernehmen werden, haben das stürmische Gefühl, daß sie auf einer breiteren Ebene individueller Freiheit und Erkenntnis leben wollen, beherrscht und geführt von einer Realisation dessen, wer und was sie sind und wo sie in der Ordnung der Dinge "ihren Platz haben." Ich bin fest davon überzeugt, daß die meisten von ihnen wirklich verstehen wollen, und der überzeugenden Stimme ihres eigenen inneren Mahners vertrauen, sich irgendwie bewußt, daß sich die Menschheit auf eine neue Facette der Reife zubewegt, wobei sie keine wahren Werte, sondern nur jene kindischen, abschirmenden Scheuklappen abzulegen braucht, die die Orthodoxie auf jedem Gebiet geschaffen hat. Ich glaube, daß sie einen wirklichen Scharfblick für die hinter allem Leben stehende transzendentale jedoch durchdringende Kraft besitzen, ob sie ihr nun einen Namen geben oder nicht, und gerne an den edelsten menschlichen Aufgaben bedeutsamen Anteil nehmen würden - an der Aufgabe, den Schatten und das Licht zueinander in Harmonie zu bringen.