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Der Strom der Menschheit

E. H. Carr schreibt in seinem Buch What is History (Was ist Geschichte), "Ohne Tatsachen ist der Historiker ohne Wurzeln und nutzlos; die Tatsachen sind ahne Historiker tot und bedeutungslos." Der Historiker läßt bei seinem schöpferischen Bemühen das Beweismaterial durch den Destillierkolben seines Gemütes gehen, und was dann zum Vorschein kommt, erscheint in der Form seines eigenen Verstehens. Mit anderen Worten, seine Einschätzung der Vergangenheit richtet sich nach seiner Anschauung über die Gegenwart. Wenn er den Menschen nur als Körper betrachtet, der zu sein aufhört, wenn der Körper stirbt, wird er es nicht verstehen können, daß Zivilisationen verschwinden und die Arbeit von Generationen in Staub zerfällt. Deshalb ist der Mensch selbst der Schlüssel zur Geschichte: er bleibt übrig, wenn Nationen hinweggerafft werden und jede Spur verschwindet. Wenn auch die Zeit, jener stille Dieb, das Gegenwärtige hinwegrafft und verbirgt; alles, was dahingegangen ist, wurde vorher der menschlichen Seele tief eingeprägt.

Es besteht ein bedeutender Unterschied zwischen der Vergangenheit und dem, was über sie in Büchern geschrieben wird. Das Letztere kann nicht voll befriedigen, wenn auch nur deshalb, weil sie in Worte gezwängt ist; und ganz gleich wie aufrichtig das Bemühen war, wird alles unweigerlich von den allgemein verbreiteten Vorstellungen beeinflußt. Vor einigen Jahrhunderten wurde das westliche Gemüt zum Beispiel von religiöser Engherzigkeit beherrscht; andersdenkende Menschen wurden als Heiden betrachtet und ihre beachtlichen Leistungen wurden herabgesetzt. Später, als dann das Zeitalter der Wissenschaft kam, wurden die Alten als unsere 'evolutionären' Vorfahren in dem Sinne angesehen, daß alle früheren Kulturen nur vorbereitende Stufen darstellten, die zum Gipfel der unsrigen emporführten. Beide Einstellungen stellen die unbewußte Selbstüberhebung der 'Gegenwart' dar, die dazu neigt, die Landschaft der Geschichte in unseren Lieblingsfarben zu malen, statt ihr zu gestatten in ihren eigenen Farben zu leuchten. Das Ideal wäre bestimmt eine unpersönliche Überlieferung. Aber ist eine solche möglich? Und würde ein solcher Bericht wahrhaft schildern, was vor sich ging? Wie können wir die Vergangenheit kennen, wenn wir die Menschen nicht verstehen, die sie schufen? Die nur den Tatsachen entsprechende Schilderung - wenn sie nicht von Einsicht belebt und durch menschliche Sympathie erwärmt wird - stellt die Ereignisse und Menschen anderer Zeitalter nur im Zerrbild dar.

Die entgegentretenden Probleme sind für den vermeintlichen Historiker enorm. Nehmen wir an, er versucht eine frühere geschichtliche Periode neu zu beleben, wohin soll er sich um Material wenden? Wird er genug davon finden, um daraus ein Bild zu schaffen, das irgendwie der Wahrheit entspricht? Ist es möglich, die Dinge, wie sie tatsächlich waren, in Worten zu schildern? Viele Historiker beschäftigen sich heute mit diesen Fragen. Ausgezeichnete Studien werden gemacht, aber wichtiger ist es vielleicht, die Ziele und Zwecke des historischen Schriftstellertums nochmals zu überprüfen. Wir scheinen von der sogenannten prosaischen und wissenschaftlichen Ära in eine andere überzugehen, die, was die Tatsachen anbetrifft, weniger genau ist, aber mehr den ganzen Menschen, seine Bestrebungen und Aspirationen im Verlauf der Zeit, einschließt. Es wird eine größere Anstrengung gemacht den alten Genius zu schätzen und von ihm zu lernen; die älteren Glaubensbekenntnisse und Gebräuche umgebende Schale zu durchbrechen, damit wir die alte Welt einigermaßen so sehen könnten, wie ihre Bewohner sie sahen. Man sucht zu entdecken, ob der Aufstieg und Verfall menschlicher Zivilisationen auf diesem Planeten nicht von bestimmten Naturgesetzen regiert wird, und wenn das der Fall ist, was diese Gesetze sein könnten. Diese Entwicklung widerspiegelt auf dem Felde historischen Schriftstellertums jene befreienden Einflüsse, die nahezu auf jedem Gebiet menschlichen Bestrebens wahrgenommen werden.

Welche Hilfsmittel historischer Forschung gibt es? Sie sind zahlreich. Vor allem gibt es schriftliche Aufzeichnungen, amtliche Dokumente, persönliche Korrespondenz, Memoiren und allgemeine Literatur jener Zeit, dazu Plaketten, Münzen, Inschriften etc. Es gibt auch aktuelle Geschichtswerke, die von Zeitgenossen oder später aus der Erinnerung zusammengestellt wurden. Auch benachbarte Länder können Berichte hinterlassen haben. Das alles setzt voraus, daß es damals eine Schriftsprache gab und wenigstens etwas von dem literarischen Material heute noch vorhanden ist. Das Beweismaterial dieser Art wurde sorgfältig gesichtet und sowohl auf seinen Inhalt als auch auf die Einblicke, die es in die Kultur im allgemeinen geben kann, die wir zu beschreiben versuchen, festgelegt. Schriften auf Palmblättern oder Papyrus können, gute Bedingungen vorausgesetzt, Jahrhunderte erhalten bleiben, aber aus der Anfangszeit des Christentums und vorher wurden wahrscheinlich über neunzig Prozent zerstört. Die in Stein gemeißelt sind oder in Ton geprägt wurden, können Jahrtausende überdauern. Die letzten Funde in Osteuropa und Kleinasien enthüllten zu unserem Erstaunen nicht nur die Geschichte von Nationen und Städten, sondern das Panorama einer Reihe von Reichen, deren Herrschaft sich in einem Hin und Her über jetzt dünn besiedelte Gebiete ausbreitete und wieder zusammenschrumpfte. Die "Hettiter" waren bis zur Entdeckung ihrer Schätze nur ein Name in der Bibel. Das gleiche gilt für die Sumerer, die kaum bekannt waren, bis in diesem Jahrhundert ihre Städte und ihre Bibliotheken ausgegraben wurden.

Andere geschichtliche Quellen sind die erhalten gebliebenen Bauten und Kunstwerke, Kanäle und Brücken eingeschlossen, Kunstgegenstände aller Art, besonders Juwelierarbeiten, Gemälde und Statuen; auch Waffen verschiedener Art, Tempel und Grabmäler, die häufig mit wertvollen Inschriften bedeckt sind. Sie alle liefern einen Reichtum an Information über alte Baumeister und Künstler, über ihre Geschicklichkeit als Kunsthandwerker, Architekten und Ingenieure. Wir können ermessen, wie tief ihr Wissen in Metallurgie, Chemie, Medizin, Ackerbau, u.s.w., war. Auch können wir aus den Überresten eines Zeitalters etwas über die Geschmackskultur des Volkes, das sie erzeugte, lernen, und das ästhetische Milieu, in dem es lebte, neu erstehen lassen.

Weitere verheissungsvolle Hilfsmittel sind für den Historiker die Epen, Mythen und Legenden, die überliefert wurden. Wirklich vollkommene Beispiele dafür sind die Iliade und die Odyssee. Sie führten nicht nur zur Ausgrabung Trojas, auch die Paläste von Agamemnon, Nestor und anderen griechischen Helden wurden entdeckt. Sie zeigen, daß Homers Erzählungen, die bis zu ihrer Aufzeichnung in der Dämmerung des klassischen Griechenlands jahrhundertelang mündlich überliefert wurden, eine überraschende Menge reichen historischen Materials enthalten, abgesehen von den moralischen und spirituellen Hinweisen, die sie ebenfalls in sich bergen mögen. Wieviele Seiten vergessene Geschichte sind wohl in der universal verbreiteten Geschichte von der Sintflut, der Edda, dem Mahâbhârata und unzähligen anderen Quellen enthalten? Dieses Gebiet wird erst jetzt systematisch erforscht.

Die Wissenschaft hat viel zur geschichtlichen Forschung beigetragen, wie zum Beispiel mit der Bestimmung des Alters eines Gegenstandes durch das Karbon-Testverfahren. Ebenso durch die geduldige und mühevolle Arbeit, in der die Kampfstätten der Alten freigelegt und erhalten werden. Unsere gegenwärtigen wissenschaftlichen Fortschritte machen es uns auch möglich zu schätzen, wie hoch entwickelt die archaische Wissenschaft war. Wenn Steine, die viele Tonnen wiegen, auf das genaueste zugehauen wurden, dann 450 Fuß hoch emporgehoben und beim Aufbau der Cheopspyramide genau eingefügt wurden, ein Kunststück, das unsere heutigen Fähigkeiten auf die Probe stellen würde - so lernen wir allein daraus, wie bewandert die Ägypter in einer Anzahl Wissenschaften waren. Wenn wir ferner entdecken, daß sie keinen Stahl, sondern auf irgendeine geheimnisvolle Weise gehärtetes Kupfer kannten, so daß ihre Instrumente bei einem Vergleich mit den unsrigen günstig abschneiden würden, so wird unsere Bewunderung noch größer. Die große Pyramide schließt genügend wissenschaftliche und religiöse Zeugnisse in sich ein, um jede Idee für immer zu verscheuchen, daß der moderne Mensch seinen vor tausend Jahren lebenden Vorfahren de facto überlegen ist.

Wir wollen für einen Augenblick die Kräfte betrachten, die das Zeugnis der Vergangenheit so zerstören, daß es nicht wieder hergestellt werden kann. Die augenscheinlichsten davon sind Krieg und Eroberung. Es wird gesagt, wenn Dschingis-Khan Städte eroberte, tötete er alle Einwohner, riß jedes Gebäude Stein um Stein nieder und ließ über das ganze Gebiet Salz streuen. Wieviele tausend Städte in allen Teilen der Welt sind wohl auf diese Weise untergegangen? Dann haben wir die Plünderung. Wertvolle Kunstwerke wurden dabei zerstört, Gegenstände aus Gold und Silber wurden eingeschmolzen (wie es die Spanier in Peru und Mexiko taten), Bibliotheken verbrannt, etc., und so diese Stimmen des alten Genius zum Schweigen gebracht. Außerdem gibt es den Verfall an geistiger Größe: Im Verlauf vieler Jahrhunderte kann ein Volk so verkommen, daß wir in späteren Zeiten ein verhältnismäßig einfaches Volk zwischen Ruinen wandeln sehen, die es nie aufgebaut haben konnte, eine Sprache sprechen hören, die es nicht schreiben kann, von Wissen und Gelehrsamkeit umgeben sein kann, die es vergaß - wie die Eingeborenen von Peru und Mittelamerika zum Beispiel.

Eine weitere Kraft, die das Vergangene zerstört, ist die Natur selbst. Verlassene Gebäude werden bald durch Verwitterung zerstört. Erdbeben verwandeln Steinbauten zu Trümmerstätten oder alles wird vom Dschungel überwuchert, der durch sein fruchtbares Wachstum selbst die massivsten Bauwerke zerbricht, wie Angkor in Kambodscha oder die Ruinen der Mayas in Südmexiko und Guatemala. Auch die vordringende Wüste kann möglicherweise ein Volk zwingen, seine Wohnstätten zu verlassen, so daß dort, wo früher Städte in Kultur Handel und Kriegführung wetteiferten, heute eine entsetzliche Einöde herrscht - wie in Teilen Kleinasiens, den Oasenstädten der Sahara, oder in den geheimnisvollen Regionen der Gobi. Es ist unmöglich, sich vorzustellen, wieviele Städte unter dem Flugsand oder unter den Ozeanen der Erde nach einer plötzlichen verheerenden Umwälzung oder einer Sintflut begraben sein mögen.

Schließlich ist da noch der Mensch selbst: nach Sterben und Wiedererneuerung seiner Zivilisationen baut er über dem vorher Zerfallenen auf. Ein Zeugnis dafür ist das in vielen Schichten übereinander immer wieder aufgebaute Troja oder das heutige Alexandrien, wo das Material der ursprünglichen Stadt schwer zu finden ist. An tausend Orten grast das Vieh über alten Landsitzen oder der Pflug bringt Waffen oder Schmuck aus vergessenen Zeiten an den Tag. Aufnahmen aus der Luft enthüllen deutlich den Verlauf alter Straßen und die Anlage von Gebäuden, wo sich jetzt ein friedlicher Landstrich ausdehnt. Selbst in dem seit langem besiedelten England bedurfte es eines Fluges über Glastonbury, um den großen, sich über die Landschaft erstreckenden Zodiak zu entdecken; ebenso um die Markierungen des Avebury Kreises festzustellen.

Doch es gibt subtilere Einflüsse, die die Vergangenheit wirkungsvoller abriegeln, als die Zerstörung materieller Überreste - jene Hindernisse, die uns den alten Geist nicht erkennen lassen. Trotz umfassender physikalischer Zeugnisse geraten wir oft durch das Hindernis der Sprache in Verlegenheit. Die Sprache der Etrusker, der Mayas, das kretische Linear A - diese müssen erst noch vollkommen entziffert werden. Doch selbst wenn wir sie entziffert haben, werden wir wahrscheinlich immer noch nicht fähig sein, jene inneren Beweggründe, Gewohnheiten und Maßstäbe zu erfassen, die zu den Ausdrucksweisen und daher zu den Taten von ehedem führten und sie logisch machten. Wir können ganze Wörterbücher zusammenstellen, aber verstehen wir auch richtig wie diese Wörter verwendet wurden?

Wenn wir uns diesem Problem zuwenden, finden wir uns in die Welt alten Denkens und alter Psychologie versetzt. Fast alle früheren Kulturen besaßen ein Reservoir an geheimer Lehre, aus dem die Inspiration für ihre Errungenschaften floß. Öffentliche Zeremonien stellten symbolisch dar, was im Heiligtum offen verkündet wurde. Diese Geheimlehre war ohne Zweifel das hinter den alten Göttern stehende magische Element. Ihr Besitz könnte uns helfen, ihr anscheinend seltsames Verhalten zu erklären. Die in den Mythen und Märchen verborgene gleiche archaische Wahrheit ist der Grund ihrer immer lebendigen Anziehungskraft und ihrer Universalität. Die Sprachen früherer Zeiten spiegeln diese Mysterienlehren wie in einem Spiegel wider und von uns heute prosaisch übersetzte Worte können für die Eingeweihten jener vergangenen Zeiten eine göttliche und ehrerbietige Nebenbedeutung enthalten haben.

Die Verschmelzung des Mythologischen mit dem Wirklichen, die häufige Nichtbeachtung der Nützlichkeit, die Gründe hinter den Studien der Alten, können in dem grellen Licht rein mechanischen Forschens nicht gesehen werden, sondern werden ihre glänzenden Farben nur jenen enthüllen, die eine Kraft auf sie richten, ein gleichgestimmtes, ihrer eigenen Natur entsprechendes Suchen. Die im geschichtlichen Schriftstellertum erwachende Neigung geht in diese Richtung; aber es besteht ein Widerstreit zwischen Historikern der 'alten Schule' und jenen, die (wie Professor Toynbee) nach umfassenderen Erklärungen suchen. Dieser Konflikt läßt erkennen, was das heutige Dilemma genannt werden könnte. Augenblicklich beherrschen westliche Psychologie und Technik die Welt. Was bedeutet das? Wenn wir zurückblicken, sehen wir, daß gerade vor dem Mittelalter ein dunkler Schleier über Europa fiel, und als das jetzige Christentum entstand, wurde es seiner kosmischen Beziehungen entkleidet. Das Gedeihen der Wissenschaft endete in einer unnatürlichen Spaltung zwischen dem 'Spirituellen' und dem 'Materiellen': die Wissenschaft nahm an, daß alles Leben hier physisch verursacht und erzeugt wird; die sichtbare Welt wurde zum Gipfel und zum Endziel des Daseins. Die aufkommenden modernen industriellen Methoden förderten die Nützlichkeitslehre als einen Maßstab, mit dem einzelne Menschen und Rassen beurteilt wurden, und unsere westlich gerichteten Augen wandten sich in zunehmendem Maße nach außen, bis es zweifelhaft wurde, ob es ein Inneres gibt.

Die Situation wurde durch die Tatsache verschlimmert, daß die christliche Philosophie, die die meisten ihrer universalen Begriffe verloren hatte, keine Seele in die von der Wissenschaft vorbereiteten Haut stecken konnte. Deshalb sahen wir die Formen des Lebens, konnten aber in Wirklichkeit nicht erkennen, wie sie geboren, wie sie aufrechterhalten wurden oder wo sie hervorgingen. Die Evolutionstheorie übte einen mächtigen Einfluß auf unsere Anschauung aus, und wir sprachen nicht nur mit Leichtigkeit über die Abstammung des Menschen von irgendeinem Primaten, sondern nahmen auch die zu früh aufgestellte Entwicklungslehre solcher vagen Dinge wie Zivilisation, Religion, Kultur, etc. an, Ideen, die sich im Verlaufe der Zeit als höchst trügerisch erweisen werden.

Wo ist in der menschlichen Geschichte der für die Evolution notwendige ununterbrochene Verlauf? Denn er geht nicht gleichförmig von der Wildheit zur feinen Lebensart über. Eine Stadt, eine Nation oder eine Rasse nach der andern ist vielmehr aus den dunklen Anfängen emporgestiegen, hat ihr Licht über die Welt leuchten lassen, um wieder anzufangen zu altern, während andere emporkommen und mächtig, reich und zivilisiert werden. Wenn es auch so scheinen mag, daß irgendein Volk im Verlauf einiger Jahrhunderte das Barbarentum aufgab und Sitten und Zivilisation 'entwickelte', so ist es doch zweifelhaft ob der Ausdruck Evolution wegen der vorübergehenden und in der Tat schnell dahinschwindenden Art der Zivilisationen, die den nachfolgenden Generationen doch offensichtlich keine dauernden Verbesserungen übertragen, in seiner gewöhnlichen Bedeutung in diesem Zusammenhang gebraucht werden kann. Oder können wir sagen, daß ein Evolutionsprozeß weiter geht, wenn eine bedeutende Nation oder Rasse von ihrem hohen Platz stürzt und oft in ein Nichts versinkt? Wenn ja, dann müssen wir unser Verständnis dahingehend ändern und erweitern, daß jenes Wort Aufstieg und Verfall einschließt, gefolgt von anderen Aufstiegen und Niedergängen, nur in anderen Rassen und an anderen Stellen der Welt. Professor Toynbees Theorien mögen nicht die letzte Antwort sein, aber sie sind ein Schritt vorwärts in der Erkenntnis über die wellenartige oder spirale Form der Evolution.

Die neuen Entwicklungen in historischen Schriften sind direkt ein Hinauswachsen über gewisse Gegenkräfte, den heutigen Materialismus und Egoismus. Der weltweite Impuls für Freiheit unterminiert kulturelle Autoritätsansprüche, was zur Folge hat, daß sich die Historiker jetzt bemühen frühere geschichtliche Perioden weniger als Abendländer oder Christen, Wissenschaftler oder als in die Vergangenheit zurückblickende Moderne zu studieren, sondern mehr so wie man den Himmel betrachtet. Durch den Kontakt mit allen Rassen und Kulturen wird das westliche Denken mit religiösen und philosophischen Ideen aus dem fernen und nahen Osten überschwemmt. Während "wir" einerseits im Westen den Osten abendländisch beeinflussen, so daß er oft nur ein Spiegelbild von uns selbst ist, wird andererseits die Geschichte seiner vielen großen Völker, ihrer Kulturen, Philosophenschulen und Kunst weitgehend bekannt und geschätzt und haben einen gestaltenden Einfluß auf unser Leben und auf unsere Vorstellung. Es bereitet sich eine Ausdehnung des Bewußtseins vor, die eine umfassendere und weniger parteiische geschichtliche Perspektive erfordert.

Erstaunlicherweise wird ein weiterer Gegenfaktor von der Naturwissenschaft geliefert, in der ein starker metaphysischer Zug zu beobachten ist. Dieselbe Neigung ist in den anthropologischen Wissenschaften zu bemerken: Millionen Jahre alte menschliche Überreste wurden entdeckt, und wenn das auch unglücklicherweise nicht unseren Begriff über das Alter der Zivilisation erweiterte, so hat es ihr doch einen enormen Zeitabschnitt für ihre Heranbildung eingeräumt. Die armseligen paar tausend Jahre, die dem Menschen für seine zivilisatorischen Bemühungen zugestanden werden und in denen, wie angenommen wird, beinahe aller Fortschritt gemacht wurde, fangen tatsächlich an gegen den Hintergrund der Millionen von Jahren, in denen sich praktisch nichts ereignete, lächerlich zu erscheinen. Die Einführung der Psychologie übte einen sich ausweitenden Druck fast auf jede Phase der Kultur des zwanzigsten Jahrhunderts aus. Die Psychologie nimmt in zunehmendem Maße eine mehr spirituelle Ansicht über den Menschen an, und das erlaubt eine tiefere Auslegung von Religion, Mythe und Symbol - in der Tat aller Phasen des menschlichen Daseins der Vergangenheit und der Gegenwart.

Das Resultat dieser sich ausdehnenden und befreienden Einflüsse ist, daß mehr alles in sich einschließende, wirkliche, lesenswerte Geschichte geschrieben wird. Die Menge neuen archäologischen und anderen Beweismaterials zwingt zu beständigen Revisionen von Theorien in bezug auf das Alter und den Stand von Zivilisationen in fast allen Teilen der Welt. Hinsichtlich der menschlichen kulturellen Anfänge, die, gelinde gesagt, geheimnisvoll und sehr alt sind, ist eine gesunde Ungewissheit im Wachsen. Die Geschichte der Wissenschaft, der Philosophie, Religion und Kunst enthüllen, daß sich unsere Vorfahren in früheren Zeiten mit viel mehr befaßten, als mit Kriegführung und Anbetung heidnischer Götzenbilder! Heute sind wir gezwungen, unsere Welt als eine Einheit zu betrachten. Diese Feststellung veranlaßt uns den alten Zeiten gegenüber die gleiche Haltung einzunehmen, das zyklische Erscheinen und Verschwinden der goldenen Zeitalter des Menschen zu beachten, die Universalität religiöser Wahrheit zu studieren, die Prinzipien hinter der sogenannten Evolution des Menschen zu erforschen; vor allem aber die Völker lang vergangener Zeiten mit uns zusammen als Teile des großen Stromes der Menschheit anzusehen.