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Das unsterbliche Opfer

Wenn im Herzen eines jeden Menschen eine Gottheit ist, und wenn diese Gottheit so große Anstrengungen gemacht hat sich in die Materie einzuhüllen, damit wir einen Tempel erhalten, in dem wir auf dieser materiellen Erde leben können, und wenn es, wie die heilige Überlieferung erklärt, die Bestimmung eines jeden Menschen ist, eines Tages bewußt ein Mitarbeiter seines eigenen inneren Gottes, seines inneren Vaters, zu werden - dann sind bestimmt sehr lange Zeiträume der Anstrengung notwendig, um solch einen erhabenen Plan auszuführen. Weil alles in der Natur seine Ebbe und Flut hat, müssen wir annehmen, daß nicht nur die menschliche Rasse, sondern auch alle anderen Lebensformen durch wiederholte Erfahrungen in Zyklischer Weise wachsen müssen. Denn dieses Gesetz der Zyklen, das periodische Werden und Vergehen der Naturphasen, ist sicherlich nicht nur auf den Menschen oder nur auf unseren Erdball beschränkt. In der Tat scheint die rhythmische Wiederkehr von Eindrücken, Erfahrungen und Ereignissen eine der allgemeinsten Gewohnheiten der Natur zu sein - der Ablauf der Jahreszeiten mit der jährlichen Wiedergeburt der Sonne gibt die Gewißheit, daß sich der Saft in den Bäumen erneuert, daß Blatt und Blüte zurückkehren und der Frühling in den Sommer übergeht. "Kann der Frühling fern sein wenn der Winter kommt?" - wenn Krokus und Wanderdrossel zurückkehren, wissen wir dann nicht, daß nach einem Winter des Todes der Frühling einer Wiedergeburt sicher ist?

Können wir glauben, daß der Meister Jesus, als er sagte: "Ich und der Vater sind eins" und "diese meine Werke, die ich tue, werdet ihr auch tun und noch weit größere", mit diesen Worten nur die unmittelbare Zukunft meinte? Nein. In seiner tiefgründigen Weisheit überschaute er die weitgespannte Bestimmung der menschlichen Rasse. Er gab sein Leben, und auch den 'Tod', nicht nur als ein erhabenes Zeugnis für das, was wir können, sondern für das, was jeder von uns eines Tages erfolgreich verwirklichen muß. Für jeden aufwärts führenden Impuls zu einer engeren Zusammenarbeit mit der Göttlichen Intelligenz muß jedoch etwas geopfert werden. Dies gilt für jedes lebendige, wachsende Wesen. Ist nicht gerade das die Grundlage der zeitlosen Überlieferung, die in der Bhagavad-Gîtâ von Krishna Arjuna gegenüber zum Ausdruck gebracht wird? - "Ich erzeuge mich selbst unter den Wesen... jedesmal wenn ein Verfall der Tugend und ein Überhandnehmen des Lasters und der Ungerechtigkeit in der Welt stattfindet; auf diese Weise verkörpere ich mich von Zeitalter zu Zeitalter für die Erhaltung der Gerechten, die Vernichtung der Boshaften und die Aufrichtung der Gerechtigkeit."

Wie viele Heilande sind während der Jahrtausende währenden Lebenszeit unseres Tagesgestirnes in ihren Opfern gekommen und gegangen? Und wieviel mehr werden noch kommen und gehen, ehe auch wir jenen Funken der Gottheit zur vollen Blüte bringen werden, der im Herzen eines jeden von uns ruht? Das ist die Ostergeschichte: das Opfer, das großartige Opfer der Gottheit, die Christus erfüllte, damit die Menschheit wieder einmal ein Aufleuchten des Lichtes erfahren möge, "des wahrhaftigen Lichtes, welches alle Menschen erleuchtet, die in diese Welt kommen".

Gibt es irgendeinen Menschen auf der Erde, der nicht irgendwann in seinem Leben die Auswirkung der spirituellen Kraft dieser vielen Heilande verspürt hat? Es ist unbedeutend, welchem speziellen Glaubensbekenntnis ein Mensch anhängen mag oder auch gar keinem - die Kämpfe der Seele müssen geführt und die Ergebnisse auf das Kreuz des Geistes gelegt werden. Die Passion des Meisters Jesu, seine große Versuchung während der Frühjahrs-Tagundnachtgleiche oder der Osterzeit, die "Kreuzigung", der der "Tod, das Begräbnis und der Abstieg ins Reich des Todes" folgten - sind das nicht in vergrößerter und verstärkter Wiedergabe gegebene Darstellungen der spirituellen Prozession von Begebenheiten, denen zu unterziehen jeder Mensch zur gegebenen Zeit sich das Recht erwerben wird? Geprüft, versucht zu werden und die tiefsten Gründe des Leidens zu durchqueren, und im Falle des Erfolges, glorifiziert aufzuerstehen - wahrhaftig die Auferstehung zu kennen?

Auf diese Weise haben die Wächter der Menschheit den Menschen beschützt, seit er sich seiner Verantwortung bewußt wurde. Diesen Wächtern wurden verschiedene Namen gegeben, aber in jedem Land und zu jeder Zeit ist das Wissen über ihren Einfluß sorgfältig bewahrt worden. Durch ihre eigene individuelle Anstrengung haben sie einen Punkt der Evolution erreicht, der über der menschlichen Stufe liegt; trotzdem bleiben sie. Das ist ihr Opfer; sie haben sich das Vorrecht erworben, bis zum Ende des großen Zyklus unseres Heimuniversums aktive Teilnehmer an der Allwissenheit der Gottheit zu werden, sie weisen jedoch ihre Belohnung zurück, bis es der geringste ihrer Brüder ebenfalls mit ihnen verdient hat. Darum werden sie Meister des Mitleids genannt und deshalb "inkarnieren sie von Zeitalter zu Zeitalter".

Dieses gesamte Drama des Mitleids sollte dem Menschen ungeheuren Mut geben, denn auch er ist ein Teil des Herzschlags der Natur, deren universale Ströme immer aufwärts und vorwärts in die Zukunft drängen. Wie oft er auch stolpern mag, während er durch die Täler des Schmerzes wandert, er kann sich immer mit zur Sonne gerichtetem Blick erheben, denn das unsterbliche Opfer der Großen Vorbilder bleibt bestehen - als Aufforderung und Wegweiser.