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Die Erwecker

Es ist eine eigenartige Tatsache, daß wir jene Erfahrungen selten als angenehm empfinden, die wir zurückblickend als die wertvollsten und heilsamsten in unserem Leben erkennen. Das menschliche Gemüt ist empfänglich für paradoxe Ausflüchte und eine beinahe universale Undankbarkeit gegenüber jeder Person oder jedem Ereignis, die oder das ihm etwas wirklich Wertvolles gegeben hat. Warum ist es so, daß ein Mensch diejenigen am unerbittlichsten hassen kann, denen er sich hoffnungslos verpflichtet weiß, und diejenigen liebt und bewundert, denen er eine Wohltat erweisen durfte? Dies ist ganz allgemein ein psychologisches Rätsel, so daß sich wenige bemüht haben, es zu analysieren und sein Prinzip auf die Dinge anzuwenden, die unserem Seelenleben am nächsten stehen und alle Gebiete der menschlichen Evolution umfassen.

Jede Mythologie enthält unter ihren legendären Charakteren einen, der ein ganzes Heer von Wesen versinnbildlicht, die in der Morgendämmerung des menschlichen Lebens ein Opfer vollbracht haben. Die Großartigkeit dieser Tat können wir nur in dem Maße würdigen, in dem wir selbst streben und versuchen, ihrer Größe nachzueifern.

Vor langer, langer Zeit, als die menschlichen Wesen sich aus ihrem dunklen Bewußtseinszustand erhoben, verschmolzen sich die 'Erwecker' mit ihren halbbewußten Vehikeln und brachten ihnen den selbstbewußten Zustand der Erkenntnis. Seit dieser Zeit bis zur Gegenwart ist die menschliche Rasse fähig, zwischen dem Selbst und der umgebenden Welt zu unterscheiden. Sie benutzt letzteres, um für ersteres Erfahrungen zu gewinnen und lernt, den Horizont der Seele immer mehr auszudehnen und zu erweitern, bis endlich in ferner Zukunft das menschliche Gemüt fähig sein wird, das universale Bewußtsein zu enthalten, oder besser gesagt, sich mit ihm zu verschmelzen, mit ihm, von dem jedes Gemüt nur ein einzelner Tropfen ist.

Diese 'Erwecker' sind es, die so grausam mißverstanden und geschmäht worden sind. Der größte Segen, den die menschliche Rasse besitzt, das, was uns von der Tierwelt mit ihrem vagen und dunklen Instinkt unterscheidet, unser edles und hochstrebendes, selbstbewußtes Gemüt, wird nicht nur nicht geschätzt, sondern oft heruntergesetzt und mißbraucht. Ohne es würden wir dahintreiben, unverantwortlich und stumm die Ergebnisse einer Art Glücksfall oder Fehlschlag der Evolution erleiden, so wie es die Tiere heute tun, die der Gnade der Elemente und der stärkeren Tiere ausgeliefert sind. Mit ihm sind wir fähig, unser Schicksal zu gestalten und mit Würde und Sinn zu leben, der Ursache und Wirkung unserer Handlungen bewußt, fähig den Lauf des Lebens zu lenken und ein stets wachsendes Empfinden der Schönheit, der Wahrheit und der Größe, die in der menschlichen Seele wohnen, zu erlangen.

Seht, wie einfach uns die Weisen aller Zeitalter die Geschichte erzählen, Prometheus, der großherzige Titan, stahl das Feuer von den Göttern, denen es ausschließlich gehörte, und beschenkte seinen Schützling, den Menschen, damit. Die Götter im hohen Olymp nahmen diesen Eingriff des Menschen in ihre Rechte übel, und auf Befehl des Zeus (dem eifersüchtigen Gott) wurde Prometheus gezwungen, sein Verbrechen dadurch zu sühnen, indem er für diesen Lebenszyklus an den Felsen der Materie gekettet wurde. Seine Befreiung wird kommen, wenn Herakles, der vollkommene Mensch, endlich erscheinen wird und ihn von seinen Banden und von der Qual der ständig zermürbenden Leiden erlöst, die ihn während seiner Gefangenschaft im Reich der Materie verzehren.

Unabhängig von der griechischen Mythologie erzählen die alten Skandinavier, daß Loki das goldene Haar der Sif, der Gemahlin des Donnergottes, stahl. Sie erfreute die Götter, wenn sie ihnen nach ihren Festen in Walhall die goldenen Äpfel der Unsterblichkeit reichte. Wegen seines Verbrechens wurde er an den Felsen der Materie gekettet, und zwei giftige Schlangen träufeln ständig ihr Gift auf seine Stirne. Sein ergebenes Weib hält eine Schale unter die triefenden Giftzähne, aber wenn sie die Schale ausleeren muß, krümmt er sich vor Qual, bis sie zurückkommt, und mächtige Erdbeben erschüttern die Erde. Da all diese Legenden zum Verständnis sieben Schlüssel haben, ist viel mehr in diesen Mythen enthalten, als es zuerst den Anschein hat. Sie haben sowohl ihre kosmische, geologische und astronomische Bedeutung als auch einen Aspekt, der den Menschen und seine Evolution auf diesem Globus betrifft. Es ist zur Gewohnheit geworden, dem Charakter dieser sogenannten 'Diebe' ein Brandmal des Bösen aufzudrücken; aber indem wir dies tun, stellen wir uns eigentlich auf die Seite unserer Feinde, der 'eifersüchtigen Götter', deren Tätigkeit nach der Erschaffung der niedrigeren Prinzipien des Menschen endete, und die ihrem Geschöpf die Verleihung einer Eigenschaft übel nahmen, welche den Menschen womöglich zu einem Gott von größerem Format als sie selbst machen würde.

In der Bibel ist der eifersüchtige Jehova ein schwacher Abglanz des Vaters im Himmel, der niemandem als dem Sohn bekannt ist. Dieser Sohn ist ein Strahl jener stets unerkennbaren Göttlichkeit, der individualisierte Gott im Menschen, der gegenwärtig schlummert, doch möglicherweise eine aktive Kraft im individuellen menschlichen Wesen wird. Und das Kreuz, an welches das Christus-Prinzip während des ganzen Lebenszyklus einer Wesenheit, eines Planeten, einer Sonne oder eines Menschen gekettet ist, ist das Reich der Materie, in welchem jener Prometheus, Loki oder Christus gefangen ist, bis zu jener Zeit, wo der Mensch bewußt sein Erbe der Göttlichkeit antritt und sich seiner Gottheit bewußt wird.

Dies könnte niemals erreicht werden, außer durch das große Opfer jenes göttlichen Wesens, das in das unvollkommene menschliche Tier eintritt und es möglicherweise göttlich macht. Die 'Versuchung' im Garten Eden, wo alles glückselige Unbewußtheit war, war die natürliche und unvermeidbare Empörung gegen den Stillstand einer Wesenheit am Beginn eines Lebenszyklus und die Wahl, zu leben und zu leiden, um Vollkommenheit in seiner Klasse zu erlangen. Der 'Erwecker' war die weiße Schlange, der Initiierte, der dem Menschen die unschätzbare Gabe der Erkenntnis von Gut und Böse brachte und damit die Verantwortung und die Fähigkeit zum Fortschritt, wahrer Unsterblichkeit entgegen. Ohne den Teufel kann kein Gott sein. Ohne den 'Widersacher', was die Hindus die 'Paare der Gegensätze' nennen, die Unterscheidung zwischen Gut und Böse, gibt es kein Wachsen des Bewußtseins. Gleichbleibende Unschuld ist nicht Vollkommenheit. Es müssen Stürme über die unruhigen Wasser des Lebens kommen, damit wir die Wechselbeziehungen aller Dinge verstehen und Meister über die Gesetze von Leben und Tod werden. Das Erwachen zur Erkenntnis ist nötig, um die Wahrheit, die aus allen Gegensätzen zusammengesetzt ist, zu erlangen und die Tauglichkeit eines jeden Dings an seinem Platz zu erkennen.

Laßt uns deshalb nicht Luzifer, Loki und Prometheus verleumden - die Lichtbringer, jenen Christus im Menschen, dem wir zutiefst Dank schulden. Aber laßt uns die Notwendigkeit des richtigen Gebrauchs dieser göttlichen Gabe erkennen und die Würde, als menschliche Wesen, die die Eigenschaften der Götter besitzen, edel zu leben. Wir können unsere Dankbarkeit am besten in der Hoffnung zum Ausdruck bringen, daß wir die Vollkommenheit von Herakles, unserer menschlichen Seele, schneller herbeiführen und dadurch die Großen von ihrer schweren Aufgabe befreien, so daß wir in einem zukünftigen Zyklus diese Aufgabe erfüllen können, jener würdig, die unseren Fußtapfen folgen.