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Die Magie der Schönheit

"Etwas Schönes ist stets eine Freude". Obwohl wir von weltlichen Dingen sehr in Anspruch genommen sind, weisen diese Worte Keats doch auf eine oft übersehene Tatsache hin, nämlich, daß das Schöne ein wesentlicher Bestandteil des Lebens ist, der immer war, und der, wie ich vermute, immer sein wird. Wenn die zu ihm gehörenden Dinge entfernt würden, und sei es auch nur aus unserem alltäglichen Leben, so bliebe nur eine trübe Welt übrig. Fast alles Farbige würde verschwinden, es gäbe weder Musik, Literatur noch Kunst, sondern nur noch nüchterne Worte und geschäftliches Gebaren. Der Nutzen stünde an erster Stelle. Ohne die Schönheit hätten wir überhaupt kein Empfinden für das Schöne. Es bestünde kein Bedarf nach Blumen, Sonnenauf- und untergang würden stattfinden und unbeachtet verblassen, der Glanz der Berge und Wälder sowie des gestirnten Himmels würden allein unsere wissenschaftliche Wißbegierde in Anspruch nehmen, ebenso der Gesang der Vögel und das Säuseln des Windes.

Das alles ist wertvoll, weil es im Leben irgendwie mit dem Schönen zusammenhängt. Die meisten von uns sind keine Künstler, Kunstkenner oder Kunstkritiker, aber die Essenz all dessen scheint in unserer Seele eingepflanzt zu sein; denn das wäre ein sonderbarer und ungewöhnlicher Mensch, der nicht in irgendeiner Form auf das Schöne reagieren würde. Ist uns jemals, als wir von einer Landschaft oder von einem Kunstwerk ergriffen waren, der Gedanke gekommen, daß das was wir gerade dabei empfinden etwas außerhalb von uns selbst sei? Die Berge und Seen und die großen Kunstwerke erwecken innere Empfindungen und diese inneren Empfindungen und dieses Verstehen sind es, die den Eindruck der Schönheit hervorrufen. In Wirklichkeit ist es nicht das äußere Auge, mit dem wir sehen, sondern wir empfinden die Reaktionen in unserem Innern. Tatsächlich ist es nicht möglich, etwas außerhalb zu sehen, wenn wir es nicht bereits in uns haben. Das Schöne würde weder seinen harmonischen Akkord noch das Häßliche seine mißtönende Note anschlagen, wenn diese Eigenschaften nicht in uns wach und bereit wären, darauf zu reagieren.

Diese Tatsache birgt eine ganze Philosophie in sich. Es hilft, wenn man sich vergegenwärtigt, daß Größe niemals Ehrfurcht erwecken könnte, wenn ihre Samen nicht auch in uns lägen. Andererseits werden wir in der Einsicht bestärkt, daß die Fehler anderer, die uns erzürnen und die tausenderlei mißlichen Umstände, die uns zuweilen zur Verzweiflung treiben möchten, einfach ein uns vorgehaltener Spiegel sind, in dem wir uns, oder vielmehr einen Teil von uns erblicken und zwar den Teil, der erweitert, oder kontrolliert oder einfach emporgehoben werden müßte. Das bedeutet nicht, daß die Fehler anderer in Wirklichkeit keine Fehler sind, oder daß Bäume und Hügel lediglich in der Vorstellung vorhanden sind; denn sie existieren tatsächlich, sonst könnten sie keinen Eindruck auf unser Bewußtsein ausüben. Aber wir sehen von der Welt und von unsern Mitmenschen nur das, worauf wir vorbereitet sind, nichts weiter. In diesem Sinn ist das Leben ein Vorgang, um das, was in uns ist immer mehr zu erwecken, damit es sich entfalten kann. Und diejenigen, die ein umfassenderes Bewußtsein haben, reagieren darauf und verstehen, was wir vielleicht mißdeuten oder nur dunkel wahrnehmen.

Wie viel davon wissenschaftlich anerkannt ist, hängt von den Umständen ab; wenn wir jedoch nur die Dinge um uns äußerlich betrachten, die wir innerlich verstehen könnten, so müßte man annehmen, daß die Wissenschaft auch nur in dem Maße schneller vorwärtsschreiten kann, in dem die Wissenschaftler selbst ihr Begriffsvermögen erweitern. Deshalb würde etwas, das uns helfen könnte unser Wissen zu erweitern, nicht nur ein Beitrag für die Künste, sondern auch für die Wissenschaft, sowie für das Leben selbst sein. Weil die Würdigung des Schönen und der Künste unsere Fassungskraft erhöht, kann sie sicherlich als eine direkte Unterstützung der Wissenschaft angesehen werden, und umgekehrt bereichert das wissenschaftliche Studium den, der ihre Wunder aufnehmen kann, ohne deshalb in Materialismus zu verfallen.

Es gibt ein tiefes philosophisches Problem, das mit unserer Vorstellung vom Schönen und überhaupt mit unserer Vorstellung von allem übereinstimmt. Bischof Berkeley begründete es damit, daß alles, was wir sehen, in unserem eigenen Bewußtsein ruht und nichts sonst besteht, und daß das Universum, außer in unserem Gemüt, keinen Bestand hat. So extrem es auch klingt, so können wir doch diesen Gedanken nicht unbedingt schnell verwerfen; denn es steckt ein gut Teil Wahrheit darin. Andere Denker haben jedoch darauf hingewiesen, daß die objektive Natur existieren muß, sonst würde sie keine Wirkung auf uns ausüben. Und einige östliche Philosophien erklären, daß, obwohl die uns umgebende Welt existiert, diese in Wirklichkeit nicht das ist, was sie zu sein scheint, und daß die Natur, wie wir sie sehen, nicht das Wirkliche, sondern nur der Schleier des Wirklichen ist, dem gegenüber die sichtbare Welt nur eine Illusion ist: der 'stabile' Tisch ist in Wirklichkeit nicht so stabil; die wahre Sonne verbirgt sich hinter ihrer leuchtenden Scheibe, genauso wie der wahre Mensch mit seinen inneren Augen wahrnimmt.

Was kann man nun bei all dem Wirklichen um uns herum mit einem sicheren Gefühl der Gewißheit erfassen? Mir kommt es vor, als ob wir in dem Bestreben Nachdruck auf wirkliches Wissen zu legen, den Wert unserer inneren Vorstellungen untergraben hätten. Wir haben z. B. so zart und überirdisch über eine Blume geschrieben, über ihre Schönheit, ihre Symmetrie und über den begeisternden Eindruck, den sie auf uns gemacht hat, und alles was wir behalten haben, ist ihr botanischer Name und eine Aufzeichnung über ihre durch die Jahreszeiten bedingten Umwandlungen. Wenn ich meine Empfindungen über diese ungreifbaren Dinge wie Ehrlichkeit, Güte und echte Schönheit der Seele als unwissenschaftlich beiseite legen müßte, dann wäre alles, was ich über meine Freunde an Wirklichem aufzählen könnte, ihre Größe, ihre Farbe und ein paar "vererbte" Merkmale, aber das hieße das Kind mit dem Bade ausschütten. Und die gleiche Überlegung müßte auf der ganzen Linie angewendet werden.

Joseph Tuckerman, der Bostoner Unitarier, sagte einmal: "Die Seele, die durch den Instinkt stärker als die Vernunft ist, verbindet stets das Schöne mit der Wahrheit." Das Verhältnis zwischen dem Wahren und dem Schönen ist eng verbunden, und daher kann jemand, der die Wahrheit sucht, die Wegweiser des Schönen nicht mißachten. Natürlich liegt eine Gefahr in der Freude am Schönen nur um ihrer selbst willen, und nicht, weil es ein Symbol des Wirklichen ist. Eine derartige Berauschung ist so, als wolle man eine Reise unternehmen, aber anstatt den Wegweisern zu folgen, werden wir durch die Bewunderung der Umgebung so gefangengenommen, daß wir jeden Gedanken an unser Ziel vergessen. Doch Schönheit ist von Wahrheit erhellt, wenn wir sie nur als solche bewerten und so wie der Wissenschaftler seine Instrumente gebraucht, benützen würden, um uns über die innere Struktur und die Harmonien der Natur zu unterrichten. Statt dessen ziehen wir uns, furchterfüllt durch die Rückschläge, die uns eine den 'Tatsachen' näherkommende Anschauung zufügt, zurück, wenn beide Seiten dasselbe große Bild durch verschiedene Filter betrachten.

Ein Aspekt, der in folgenden Worten Washington Irvings zusammengefaßt ist, muß noch besprochen werden: "Das Göttliche im Innern ist es, das das Göttliche im Äußern zeigt." Denn der erhabenste und geheimnisvollste Aspekt des Schönen ist, daß er unserer Seele nicht nur eine Andeutung von den Realitäten der Natur oder von der Tatsache, daß sich in unserem Herzen all die Schönheit und Erhabenheit befindet, die wir rings um uns wahrnehmen, macht, sondern auch in unvergeßlicher Weise unsere Verwandtschaft mit allen Geschöpfen und Dingen, ja sogar unsere Einheit mit allem, das lebt, zeigt.

Wenn dann die majestätische Nacht mit ihren Millionen Augen auf uns herniederblickt und wir von der Erhabenheit, die keine Laute kennt, ergriffen sind und der Musik lauschen, die ohne Töne ist, kann es sein, daß wir mit voller Klarheit erkennen, daß das Universum unsere Heimat ist und wir lebendige Teile von ihm sind.